LNG-Terminal auf der Insel Krk
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Trotz „Green Deal“

Fossile Brennstoffe nicht vom Tisch

Letztes Jahr hat das Europaparlament den Klimanotstand ausgerufen und ein paar Wochen später Unterstützung zum „Green Deal“ verkündet. Doch dass „grün“ nicht sofort „klimaneutral“ heißen muss, wird diese Woche wieder einmal in Straßburg deutlich. Unter anderem beschäftigt die Abgeordneten dort eine Liste, die womöglich auch weiterhin die EU-Finanzierung klimaschädlicher Erdgasprojekte gewährleistet.

Auf Deutsch trägt die Liste den recht sperrigen Namen „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“, kurz PCI-Liste (Projects of Common Interest). Über diese ist recht wenig bekannt, doch geht es dabei um Milliarden. Die Kernaufgabe der PCI-Liste ist es, Europas Energiesystem stärker zu vernetzen. Gemäß dem neuen omnipräsenten Herzensprojekt der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem „Green Deal“, könnte man meinen, auf der Liste fänden sich nur klimafreundliche Projekte. Dem ist aber nicht so.

Von 151 Projekten sind laut EU-Kommission, die den Vorschlag zur vierten PCI-Liste in ihrer alten Formation an ihrem letzten Tag im Amt publiziert hatte, 32 Gasprojekte. Umwelt-NGOs sprechen allerdings von 55 derartigen Projekten. Außerdem auf der Förderliste stehen Projekte zu Erdöl, grenzüberschreitende Kohlendioxidnetzwerke, intelligente Stromnetze sowie Stromübertragung und -speicherung.

„Türöffner für Fracking-Gas“

Zur Abstimmung im EU-Parlament steht am Mittwoch ein Text der europäischen Grünen, der auf die Ablehnung der gesamten PCI-Liste abzielt. Kritikpunkt ist unter anderem, dass die Liste nicht unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes erstellt wurde. Sie stimme weder mit den Zielen des „Green Deal“ überein, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinenten zu machen, noch mit den Pariser Klimaschutzzielen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, heißt es. Treibhausgasemissionen durch fossile Brennstoffe sind nachweislich die schlimmsten Verursacher der Klimakrise.

Luftaufnahme des LNG-Terminals auf der Insel Krk
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Der LNG-Terminal auf Krk steht auf der vierten PCI-Liste

Als besonders prekär sehen Kritikerinnen und Kritiker die Pläne rund um Flüssigerdgas-Terminals (LNG-Terminals), etwa auf der kroatischen Insel Krk, im nördlichen Griechenland und im polnischen Gdansk. „Diese Terminals sind ein Türöffner für Fracking-Gas von den USA nach Europa“, so etwa die österreichische Umweltexpertin Frida Kieninger von der NGO Food & Water Europe im Gespräch mit ORF.at in Brüssel. Fracking ist besonders in den USA als Methode der Erdgasgewinnung beliebt, wenn auch umstritten. So können sich etwa giftige Rückstände im Grundwasser ablagern. Hinzu kommen ein großer Wasser- und Flächenverbrauch und die Gefahr von Erdbeben. Dennoch wird das US-Schiefergas in die EU importiert – sofern eben die nötige Infrastruktur und Abkommen vorhanden sind.

Laut dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) ist der Anteil an gefracktem Erdgas seit Sommer 2018 um 593 Prozent gestiegen. Derzeit werden 20 Milliarden Kubikmeter Schiefergas jährlich von den USA nach Europa geschifft, der Gesamtverbrauch von Erdgas in der EU beträgt ca. 500 Mrd. Kubikmeter pro Jahr. Dabei fand eine Studie des Forschungsinstituts Artelys heraus, dass jene Erdgasprojekte der vierten PCI-Liste gar nicht für die EU-Versorgungssicherheit notwendig wären und streicht zudem hervor, was das der EU kosten würde: 29 Milliarden Euro. Umweltexpertin Kieninger vermutet, dass „theoretisch Milliarden“ in Zukunft aus dem Steuertopf in Gasprojekte aus der Förderliste fließen könnten. Bisher waren es 1,6 Mrd. Euro.

Bürokratische TEN-E-Regulierung als Hürde

Ein Umstürzen und „Grüner-Machen“ der Liste funktioniere so einfach leider nicht, erklärte Kieninger. „Die TEN-E-Regulation (Verordnung über Transeuropäische Netze – Energie, Anm.) besagt, dass es eine PCI-Liste geben muss, und macht die Regeln“, so die Expertin. „Dabei gibt es auch Möglichkeiten alternativer, grünerer Gasprojekte. Aber keines dieser Projekte wird angestrebt, auf die Liste zu kommen, weil unter der derzeitigen TEN-E-Verordnung solche PCIs nicht zulässig sind.“ Die TEN-E-Regulierung wurde 2013 erstellt – lange bevor die EU ihre Energie- und Klimaziele festgelegt hatte.

Besonders pikant sei außerdem, so Kieninger weiter, dass auch die Europäische Investitionsbank (EIB), die sich vor Kurzem zur „Klimabank“ erklärt hatte, die fossilen PCIs finanzieren dürfe. Zwar sagte die EIB, sie wolle künftig keine Gasprojekte mehr fördern, sparte dabei Kieninger zufolge aber aus, dass jene der PCI-Liste eine Ausnahme sein könnten. PCIs seien prinzipiell „anspruchsberechtigt“, so die Umweltexpertin.

Liberale schicken Brief an Kommission

Mindestens 103 von 705 Abgeordneten wollen die Liste am Mittwoch ablehnen. Vernichtend fällt das Urteil der NEOS-Abgeordneten im EU-Parlament, Claudia Gamon, aus. Sie ist Hauptmitglied im zuständigen Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE), wo bereits am 22. Jänner gegen die PCI-Liste abgestimmt wurde. „Wir werden im Plenum gleich abstimmen“, heißt es dazu in einem NEOS-Statement an ORF.at. Als ausschlaggebend nennt die Partei die Artelys-Studie zur Versorgungssicherheit. „Die Auswahlkriterien für die PCI-Liste müssen die Klima- und Energieziele der Union und des Green New Deal widerspiegeln“, ergänzt Gamon.

Estnische Energiekommissarin Kadri Simson
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Die Estin Kadri Simson ist die zuständige Energiekommissarin der EU

„Für uns ist deshalb klar, dass es besser wäre, dieses Geld in Projekte zu investieren, die der Dekarbonisierung Rechnung tragen, wie zum Beispiel Speicherprojekte für erneuerbare Energie, um den Netzausgleich zu erleichtern“, heißt es in der NEOS-Stellungnahme weiter. Zusammen mit anderen Abgeordneten der Fraktion Renew Europe, der NEOS angehört, wurde am Dienstag auch ein Brief an Frans Timmermans, den Vizepräsidenten der EU-Kommission, und an Energiekommissarin Kadri Simson verfasst mit der dringlichen Bitte, die TEN-E-Regulierung und die PCI-Liste den aktuellen Klima- und Energiezielen anzupassen.

Sidl: „Parlament stimmt über eigene Glaubwürdigkeit ab“

Die österreichischen Grünen tragen die Ablehnung der vierten PCI-Liste ebenfalls mit. Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, pocht dabei insbesondere auf die im „Green Deal“ definierten Klimaziele, „die in allen europäischen Rechtsakten aufgegriffen werden müssen“. „Anstatt weiter Gaspipelines zu bauen, sollten wir in intelligente Netze zur Integration der erneuerbaren Energien investieren“, so Vana zu ORF.at.

Günther Sidl, SPÖ-Abgeordneter im EU-Parlament, schließt sich Grünen und NEOS an. „Als SPÖ-Europaabgeordnete stimmen wir gegen die vierte PCI-Liste“, lässt Sidl in einer Stellungnahme mitteilen. Bei einigen Gasprojekten sehe er das „neue Klima-Denken noch keineswegs angekommen“. „Wenn wir schon Milliarden ausgeben, dann für Technologien der Zukunft. Die EU-Kommission sollte deshalb schleunigst eine neue Liste vorlegen, die dem ‚Green Deal‘ entspricht“, fordert Sidl. „Das EU-Parlament stimmt auch über seine eigene Glaubwürdigkeit ab. Wir können nicht vom Klimanotstand reden und bei der ersten Gelegenheit den Befürwortern einer veralteten Energieversorgung Fördergelder genehmigen.“

ÖVP und FPÖ für Liste

Anders sieht das die ÖVP-Delegation, die die neue PCI-Liste annehmen will. In einer Stellungnahme weist die ÖVP darauf hin, dass es sich um ein „Umsetzungsgesetz“ handle, dass die Abgeordneten also ausschließlich der gesamten Liste entweder zustimmen oder diese ablehnen können. „Wir stimmen für 30 Prozent weniger geförderte Gasprojekte als bisher“, sagt dazu Othmar Karas, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Mitglied des ITRE-Ausschusses und verweist auf den Status quo der dritten PCI-Liste. Diese würde bei Ablehnung so lange in Kraft bleiben, bis die EU-Kommission einen neuen Vorschlag macht.

„Die neue Liste der prioritären Energieprojekte ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines funktionierenden Energiebinnenmarkts für eine sichere, saubere, leistbare Energieversorgung und Energiewende“, so Karas. Im „Green Deal“ sieht er Gas als „Brückentechnologie auf dem Weg zur CO2-Neutralität.“ Auch die FPÖ-Abgeordneten im Europaparlament wollen die vierte PCI-Liste „unterstützen und dahingehend den grünen Antrag ablehnen“, wie es in einem Statement an ORF.at heißt. Die FPÖ hebt als Grund die „Diversifikation der Gasversorgungsrouten“ hervor, „um Europa nicht vom russischen Gas abhängig zu machen“. „Verglichen mit Kohle und Erdöl ist Erdgas eine umweltfreundliche Variante der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen“, lautet die FPÖ-Stellungnahme.

Indes verteidigte die Kommission ihre Förderliste einmal mehr am Montag gegenüber Medien. Es handle sich um die „Übergangsphase“ im „Green Deal“, in der Erdgas eben eine Rolle spiele. Die grenzüberschreitenden Infrastrukturprojekte der PCIs sollen den Wettbewerb auf den Energiemärkten ankurbeln und die Energiesicherheit durch Diversifizierung der Quellen fördern. Die EU-Kommission weist in Aussendungen dabei immer wieder auch auf die klimapolitischen Ziele hin, wenn sie auch in diesem Rahmen nicht ausdrücklich festgelegt sind. Im Rahmen der TEN-E ermittelt die Kommission alle zwei Jahre die ihrer Ansicht nach wichtigsten Projekte, die anschließend von EU-Mitteln profitieren können.