Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)
Reuters/Hannibal Hanschke
Kramp-Karrenbauer geht

Rücktritt löst Beben in CDU aus

Die überraschende Ankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer, auf eine Kanzlerkandidatur in Deutschland zu verzichten und den CDU-Parteivorsitz abzugeben, hat für ein Beben in der CDU gesorgt und zusätzliche Unruhe in die angespannte Koalition mit der SPD gebracht. In der CDU ist die Nachfolgedebatte bereits voll entbrannt.

Auslöser für Kramp-Karrenbauers Rücktritt ist die Affäre um die Wahl des Ministerpräsidenten im deutschen Bundesland Thüringen. Viele CDU-Mitglieder zeigten sich in den Gremiensitzungen entsetzt, dass ein einzelner Landesverband die CDU auf Bundesebene so ins Trudeln bringen kann.

Selbst der engste Kreis der Partei, darunter auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel, war nicht über Kramp-Karrenbauers Entscheidung informiert. Die Partei wurde bei der Präsidiumssitzung Montagfrüh darüber informiert. Bei einer Pressekonferenz Montagnachmittag sagte Kramp-Karrenbauer, dass sie mit ihrem Rückzug die Partei stärken wolle. Sie wolle die Partei führen, bis ein Kanzlerkandidat gefunden ist. Diesen Prozess wolle sie noch leiten, die Entscheidung solle an einem Parteitag fallen.

Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur in einer Hand

„Mit der Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz hat die Partei eine geübte Praxis aufgegeben“, sagte Kramp-Karrenbauer. Das habe die Partei geschwächt. „Damit geht eine ungeklärte Führungsfrage einher.“ Auswirkungen auf die Stabilität der Koalition mit der SPD sieht Kramp-Karrenbauer nicht. Sie werde auf Wunsch von Kanzlerin Merkel weiterhin Verteidigungsministerin bleiben.

Kramp-Karrenbauer hatte Ende 2018 den Parteivorsitz von Merkel übernommen. Sie wurde für zwei Jahre gewählt, eine Neuwahl des CDU-Vorstandes steht am Bundesparteitag Ende des Jahres an. Merkel, die Deutschland seit 2005 regiert, will bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr kandidieren. In einer Reaktion auf Kramp-Karrenbauers Rücktritt zeigte sie „allergrößten Respekt“ für diese Entscheidung: „Ich sage aber auch, dass ich sie bedaure.“

„Bollwerk gegen links und rechts“

Heftig diskutiert wurde in der Sitzung des CDU-Vorstands am Montag über die Abgrenzung der CDU zur rechtspopulistischen AfD und zur Linken. Kramp-Karrenbauer betonte, dass der Bundesvorstand einstimmig beschlossen habe, dass es keine Annäherung und Zusammenarbeit mit AfD und Linker geben werde. Jede Annäherung an die AfD schwäche die CDU, auch die Programmatik der Linkspartei stehe gegen die Werte, die das Fundament der CDU ausmachen.

CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer gibt Amt ab

Nach dem Chaos bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen kündigte die CDU-Parteivorsitzende ihren Rücktritt an. Sie will auch nicht als Kanzlerkandidatin antreten.

Die Noch-Parteivorsitzende hatte ihren Rückzug auch damit begründet, dass es „ein ungeklärtes Verhältnis von Teilen der CDU mit AfD und Linken“ gebe. Entsprechend scharf positionierte sich auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak in der Gremiensitzung: Die CDU müsse ein „Bollwerk gegen links und rechts sein“.

Indirekte Kritik an Merkel

Zahlreiche Stimmen in der Union kritisierten, dass die von Merkel entschiedene Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz die Arbeit für Kramp-Karrenbauer zusätzlich erschwert habe. Viele CDU-Vertreter sprechen sich nun dafür aus, diese beiden Funktionen wieder in eine Hand zu legen. Wer die CDU-Spitze und Kanzlerkandidatur übernehmen soll, ist noch völlig offen. Die nächste reguläre Bundestagswahl steht in Deutschland erst im Herbst 2021 auf dem Programm.

Als mögliche Kandidaten werden immer wieder Gesundheitsminister Jens Spahn und der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz genannt. Beide waren Kramp-Karrenbauer bei der Wahl zur Parteivorsitzenden 2018 unterlegen. Kramp-Karrenbauers Rivale Spahn zollte ihr am Montag „großen Respekt“: „Die Trennung von Parteiführung und Kanzleramt war eine schwierige Situation.“

Annegret Kramp-Karrenbauer mit Jens Spahn und Friedrich Merz
AP/Michael Sohn
2018 konnte sich Kramp-Karrenbauer gegen Spahn (l.) und Merz (r.) im Kampf um den CDU-Vorsitz durchsetzen

Merz: „Nachdenken wichtiger, als schnell zu reden“

Als Kandidat der Mitte könnte sich auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet präsentieren. Selbst die SPD zeigte sich ihm gegenüber am Montag offen: „Jetzt muss Laschet den Vorsitz beanspruchen, sonst ist er ein Papiertiger“, sagte SPD-Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann. Für den Meinungsforscher Manfred Güllner ist Laschet der aussichtsreichste Kandidat – aufgrund seines „politischen Kurses und der Akzeptanz in der Mitte“. Laschet selbst äußerte sich am Montag noch nicht zu einer möglichen Kandidatur. Er appellierte an den Zusammenhalt der Union.

Das traue er Merz nicht zu. Güllner: „Er ist im Augenblick der Liebling der AfD-Anhänger.“ Merz äußerte sich nach Kramp-Karrenbauers Rücktritt bisher nicht inhaltlich: „In so einer Situation ist kluges Nachdenken wichtiger, als schnell zu reden.“ Merz legte jedenfalls erst vergangene Woche seinen Aufsichtsratsposten beim Vermögensverwalter Blackrock nieder, um mehr Zeit für die CDU zu haben. Am Montag kündigte Merz via Twitter an, Kramp-Karrenbauer in ihrem Prozess, Nachfolge und Kanzlerkandidaten auszuwählen, zu unterstützen.

Der CSU-Vorsitzende Markus Söder bedauerte Kramp-Karrenbauers Rückzug, pochte aber auf eine grundsätzliche Klärung der „inhaltlichen und personellen Aufstellung der CDU“. Die rechtskonservative CDU-Parteigruppierung Werteunion wünscht sich für die Kanzlerkandidatensuche eine Mitgliederbefragung. Entscheidend sei, dass es keine lange Hängepartie gebe und sich auch Konservative und Wirtschaftsliberale mit dem Kandidaten identifizieren können. Für die Werteunion ist die CDU unter Merkel und Kramp-Karrenbauer zu weit nach links gerückt.

Situation für SPD „beunruhigend“

In der SPD, Regierungspartner der Union auf Bundesebene, gibt es nun Befürchtungen wegen eines möglichen Rechtsrucks der Christdemokraten. Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) nannte die Entwicklungen in der CDU „beunruhigend“. Es werde jetzt „noch ungewisser, ob anständige Demokratinnen und Demokraten parteiübergreifend zusammenstehen im Kampf für Demokratie und gegen Nationalismus“.

Er spielte damit offensichtlich auf Äußerungen einiger CDU-Politiker an, die das Nein der Partei zu einer Zusammenarbeit mit der AfD infrage stellen. Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel erwartet baldige Neuwahlen. Die deutsche Regierung sei erneut „paralysiert“.

AfD hofft auf Annäherung an CDU

Grünen-Chefin Annalena Baerbock erwartet nun ein größeres Machtvakuum und spricht von einer „dramatischen Situation“. Auch Katja Kipping, Parteichefin der Linken, befürchtet, dass die CDU nun Kurs auf eine Koalition mit der AfD nehme. Kramp-Karrenbauer habe bisher die Abgrenzung der Union nach rechts gehalten: „Der Kampf um AKKs (Annegret Kramp-Karrenbauer, Anm.) Nachfolge wird eine Richtungsauseinandersetzung.“

Entsprechend erfreut zeigte sich AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland. Nach Kramp-Karrenbauers Rücktritt sehe er nun Chancen für eine Annäherung von AfD und CDU. Kramp-Karrenbauer habe „die CDU mit ihrem Ausgrenzungskurs ins Chaos gestürzt“.

Keine Lösung in Thüringen

In Thüringen gibt es indes nach wie vor keine Lösung. Der mit Stimmen der AfD, FDP und CDU knapp gewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) war nach drei Tagen im Amt am Samstag zurückgetreten. Er ist nun geschäftsführender Ministerpräsident ohne Minister. SPD und Grüne beharren auf der Wahl des Linken-Politikers Bodo Ramelow zum neuen Ministerpräsidenten zumindest für eine Übergangszeit bis zu Neuwahlen. Als zurückgetretener Ministerpräsident könne Kemmerich „weder die Vertrauensfrage stellen noch Minister ernennen“, so Ramelow in der „Bild“-Zeitung (Montag-Ausgabe).

Bodo Ramelow (Die Linke)
APA/AFP/Jens Schlüter
Ramelow warnt vor einem gefährlichen Stillstand in Thüringen

Ramelow solle aber nur als Kandidat aufgestellt werden, wenn es demokratische Mehrheiten für seine Wahl gebe, so die Linke. Ramelow strebt seine Wiederwahl bereits für die kommende Woche an und setzt dafür auf „klare Vereinbarungen“ mit Teilen der CDU-Fraktion. Ein weiterer Stillstand in Thüringen sei „staatspolitisch verantwortungslos“.

Keine CDU-Stimmen für Linke

Die bisherigen Koalitionspartner Linke, SPD und Grüne haben keine eigene Mehrheit im Erfurter Landtag. Sie sind bei der Ministerpräsidentenwahl in den ersten beiden Wahlgängen auf mindestens vier Stimmen von CDU und FDP angewiesen. Für eine Neuwahl ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Sowohl FDP-Chef Christian Lindner als auch CDU-Vizechef Volker Bouffier sprachen sich für einen unabhängigen Experten als Übergangsministerpräsidenten aus.

Stimmen für Linken-Politiker widersprächen dem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der eine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD verbietet. „Es wird keine Stimmen der CDU für Herrn Ramelow oder jemand anders von der Linken geben, um Ministerpräsident zu werden“, bekräftigte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am Sonntagabend im ZDF. „Herr Ramelow hat keine Mehrheit in diesem Parlament, und deswegen gibt es auch keine Unterstützung für Herrn Ramelow von der CDU.“ Auch mit Stimmen der FDP könne Ramelow nicht rechnen, hieß es am Montag aus der Partei.