Bundeskanzler Kurz im ZiB2-Studio
ORF
Causa Justiz

Kurz bleibt bei Kritik

Die Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der Justiz hat in den vergangenen Tagen reichlich Staub aufgewirbelt, am Montag mündete diese in einen „runden Tisch“ zwischen Regierungs- und Justizvertretern und einem Maßnahmenpaket. Danach wurde zugesichert, dass in dem Gespräch zahlreiche Vorwürfe – zu angeblichen „roten Netzwerken“ – ausgeräumt wurden. Trotzdem blieb Kurz im ZIB2-Interview im Anschluss bei seiner Kritik.

Kurz hatte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) laut einem „Falter“-Bericht bei einem Hintergrundgespräch zuletzt sinngemäß angelastet, dass diese politisch einseitig agiere, besonders häufig gegen die ÖVP ermittle und vertrauliche Aktenteile an die Medien weitergebe. Kurz sagte in der ZIB2, dass er in den vergangenen Tagen drei Dinge kritisiert habe: Zum einen habe er der WKStA vorgeworfen, dass die Verfahren „teilweise“ viel zu lange dauern, weiters kritisiere er die Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), zudem wiederholte er den Vorwurf, dass die SPÖ versucht habe, Parteimitglieder in die Justiz zu bringen. Seine Kritik könne er „selbstverständlich belegen“.

Die Dominanz der ÖVP im Justizministerium ist für Kurz hierbei kein Widerspruch. Seit zwölf Jahren gibt es ausschließlich ÖVP- und von der ÖVP nominierte Justizminister, die letzte SPÖ-Justizministerin Maria Berger (ab 2007) war nur zwei Jahre im Amt. Hinsichtlich angeblicher „roter Netzwerke“ führte er als Beleg erneut ein SPÖ-internes Papier aus 1997 an, laut dem die Sozialdemokraten damals versuchten, mehr Parteimitglieder zur Richterkarriere zu motivieren. Derlei Netzwerke würden langfristig wirken, so Kurz.

Bundeskanzler Kurz: „Wir wollen eine gut ausgestattete Justiz“

Mehr Geld und Reformen soll es für die Justiz geben. Nach der „Aussprache“ mit Vertretern der Justiz ist Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in der ZIB2.

„Viel zusammengekommen“

Dass Kurz trotz seiner langen Regierungstätigkeit die Justiz erst jetzt – wo das Justizministerium nicht mehr bei der ÖVP, sondern bei den Grünen liegt – kritisiert, begründete er damit, dass „in der letzten Zeit viel zusammengekommen“ sei. Viele Verfahren seien medienwirksam geführt worden. Man könne das Gefühl haben, dass „viele Verfahren nicht nur zu lange dauern, sondern es auch zu einer medialen Vorverurteilung kommt“. Deswegen sei einer der am Montag beschlossenen Punkte der bessere Schutz von Akten.

Dass es sich bei Kurz’ Vorwürfen um eine Strategie vor möglichen Anklagen in der Causa Casinos auch im ÖVP-Umfeld handeln könnte, wies er zurück. Er habe lediglich Fragen von Journalistinnen und Journalisten beantwortet, und die von ihm angesprochenen Punkte ließen sich belegen. Mit dem Termin am Montag habe man wichtige Schritte für die Justiz gesetzt. Zu budgetären Fragen wollte sich Kurz nicht konkret äußern – die Sprecherin der Staatsanwaltschaft hatte 150 Millionen Euro gefordert. Man wolle aber „eine gut ausgestattete Justiz“, so Kurz.

Nach „Aussprache“: Mehr Geld für die Justiz

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) trafen mit führenden Vertretern der Staatsanwaltschaft zu einer Aussprache zusammen.

Experte: Leaks als „Spin“ von Verfahrensbeteiligten

Die von der Opposition angekündigte Anzeige gegen Kurz hält der Experte für Wirtschaftsstrafrecht, Robert Kert, für nicht aussichtsreich. Zugleich sagte Kert Dienstagfrüh im Ö1-Interview in Bezug auf Kurz’ Kritik an angeblichen Leaks aus der Staatsanwaltschaft, dass es vor allem die Verfahrensbeteiligten seien, die ein Interesse hätten, Informationen über laufende Verfahren an die Öffentlichkeit zu spielen, um so die Wahrnehmung zu „spinnen“ – Audio dazu in oe1.ORF.at.

„Schredder-Affäre“: Verfahren eingestellt

Indes gab Kurz in der ZIB2 auch bekannt, dass das Verfahren gegen jenen Mitarbeiter, der im Mittelpunkt der „Schredder-Affäre“ stand, eingestellt wurde. Das Verfahren sei in allen Punkten eingestellt worden, hieß es aus der ÖVP unter Berufung auf den Anwalt des Parteimitarbeiters, der Dokumente aus dem Kanzleramt von einer professionellen Firma unter falschem Namen hatte vernichten lassen.

Kurz’ Bitte sei, dass man „ein bisschen sensibler“ mit den Informationen aus der Justiz umgehe – unter anderem sei wichtig, dass nur relevante Informationen an die Medien durchdringen. Einer anderen Reformmöglichkeit im Justizsystem kann Kurz hingegen wenig abgewinnen, nämlich der Einführung einer Generalstaatsanwaltschaft gegen die Weisungsmöglichkeit der Justizministerin oder des Justizministers an die Oberstaatsanwaltschaft. Diese sehe er aufgrund ihrer Unabwählbarkeit kritisch, so Kurz.

VfGH-Ernennungen „gelebte Praxis“

Angesichts von Kurz’ Kritik an der Justiz kamen auch umstrittene Postenbesetzungen während seiner zweijährigen Kanzlerschaft innerhalb der ÖVP-FPÖ-Regierung im Verfassungsgerichtshof (VfGH) wieder aufs Tapet. Damals hatten die Nominierungen des ehemaligen ÖVP-nominierten Justizministers Wolfgang Brandstetter, des vielfach für die FPÖ tätigen Juristen Michael Rami und des Linzer Uniprofessors Andreas Hauer, der ebenfalls von der FPÖ nominiert wurde und aufgrund seiner Mitgliedschaft bei einer schlagenden Burschenschaft kritisiert wurde, für Aufsehen gesorgt.

„Dass die Verfassungsrichter von den Parteien nominiert werden, das System habe nicht ich erfunden“, so Kurz. „Das ist eben gelebte Praxis in der Republik.“ Jetzt werde es einen Vorschlag der Grünen geben, das sei zu akzeptieren.

Kurz will Van der Bellens Vorschlag umsetzen

Man wolle gegensteuern, wo das möglich sei – etwa bei der Ernennung des neuen VfGH-Präsidenten. Man wolle den von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Ex-Verfassungsgerichtshof-Chefin Brigitte Bierlein für am besten gehaltenen Kandidaten ernennen. Die Entscheidung werde zeitnah fallen. Klarer Favorit ist Christoph Grabenwarter, der seit der Kanzlerinnenschaft Bierleins den Gerichtshof interimistisch leitet. Zu besetzen sein wird im Fall der Kür Grabenwarters auch ein Vizepräsident und jedenfalls ein Richterposten.

Lob, Kritik und Anzeigen

Bei dem Maßnahmenpaket vom Montag hatte man sich auf drei Punkte geeinigt: schnellere Ermittlungsverfahren, Vorantreiben der Digitalisierung und eine Stärkung des Rechtsschutzes. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) sprach von einem „konstruktiven Gespräch“, in dem Klarheit geschaffen werden konnte. Die Opposition bezeichnete die Einigung hingegen unter anderem als „Nebelgranate“, mit der von eigenen Verfehlungen abgelenkt werden solle.

Für Kritik sorgte auch eine Randbemerkung von Kurz, mit der er seine Behauptung über „Leaks“ bei den Staatsanwälten untermauern wollte. Zwei „hochrangige“ Journalisten hätten ihm erzählt, dass ihre Redaktionen Akten auch von Staatsanwälten bekommen hätten, sagte Kurz. Und machte damit der Justiz Arbeit: FPÖ und NEOS kündigten umgehend Anzeigen wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs an, mit Kurz und den „unter Wahrheitspflicht bekanntzugebenden“ (FPÖ) Journalisten als Zeugen.