Annegret Kramp-Karrenbauer vor einem EU-Plakat
Reuters/Fabrizio Bensch
CDU-Führungskrise

Die Folgen für Europa

Die Kooperation der CDU mit der extrem rechten AfD in Thüringen hat nicht nur für Deutschland dramatische Folgen. Spätestens mit dem angekündigten Rückzug der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer betrifft es die gesamte Europäische Union. Denn Deutschland hat den Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr und sollte wichtige Projekte vorantreiben.

Stattdessen dürfte die Kanzlerinnenpartei CDU und Deutschland insgesamt damit beschäftigt sein, den Tabubruch in Thüringen und seine Folgen aufzuarbeiten. Dort kooperierten FDP und CDU mit der AfD, um eine von der Linken geführte Regierung zu verhindern. Denn auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel, die gehofft hatte, mit der Wahl Kramp-Karrenbauers ihre Nachfolge geregelt zu haben, ist nach dem Thüringen-Debakel geschwächt.

Die Koalition mit der seit Jahren schwächelnden SPD, die vor wenigen Monaten ebenfalls ihre Führung erneuerte, ist nun deutlich labiler. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans machte bereits klar, dass seine Partei nicht automatisch einem Kanzlerinnenwechsel zustimmen werde. Die SPD habe stets klargemacht, dass sie eine Koalition „mit einer Kanzlerin Angela Merkel“ eingegangen sei, so Walter-Borjans am Dienstag im Deutschlandfunk.

Angela Merkel bei einem EU Gipfel in Brüssel
APA/AFP/Alain Jocard
Merkels Nachfolge ist wieder völlig offen

Unklarheit über Merkels Zukunft

Die kurz- und mittelfristigen Folgen für die deutsche Innenpolitik – im Bundestag arbeiten die anderen Parteien bewusst nicht mit der AfD zusammen – sind derzeit noch nicht absehbar. Klar ist, dass die Christdemokraten nun eine neue Parteichefin oder einen neuen Parteichef suchen müssen – und eine neue Kanzlerkandidatin bzw. einen -kandidaten. Noch unklarer als zuvor ist, wie lange Merkel – sie ist seit 2005 Kanzlerin – noch im Amt bleibt.

Für die EU bedeuten die Turbulenzen vorerst auch nichts Gutes. Denn die Unsicherheit in Berlin wird sich zwangsläufig auf die tägliche Arbeit in Brüssel – die Suche nach Kompromissen bei Sachthemen – auswirken. Deutschland ist allein aufgrund der Größe und der historischen Rolle im Einigungsprozess in allen Fragen ein entscheidender Faktor. Dazu kommt, dass Berlin im zweiten Halbjahr von Kroatien den EU-Ratsvorsitz übernimmt.

Verweis auf Geschichte

Allzu simple Vergleiche führen in die Irre. Freilich verwiesen zuletzt zahlreiche Medien auf die Geschichte: Es war in Thüringen, wo die NSDAP 1930 erstmals in eine Landesregierung kam. Das bürgerliche Lager kooperierte mit der NSDAP, um eine linke Regierung zu verhindern.

Drei große Themen

Offen ist noch, ob es gelingt, den derzeit tobenden Streit über das künftige EU-Budget (konkret: den siebenjährigen Budgetrahmen 2021–2027) beizulegen. Mit dem Austritt Großbritanniens fällt der drittgrößte Nettozahler weg. Können die Kroaten keinen Kompromiss über die Neuaufteilung unter den EU-27 vermitteln, dann muss diese heikle Aufgabe Deutschland, selbst der größte Nettozahler, übernehmen.

Berlin wollte sich aber vor allem auf die Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit London konzentrieren, der bis Jahresende erreicht werden soll. Hier hat Deutschland, dessen Wirtschaft mit der britischen eng verflochten ist, nicht zuletzt ein starkes Eigeninteresse, einen möglichst sanften Übergang zu schaffen.

Dazu kommen Verhandlungen über das politisch wohl heißeste Eisen, die Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU. Sie spaltet die Union seit Jahren, ein gemeinsames Vorgehen ist dabei weiter nicht in Sicht.

Politische Neuausrichtung?

Der Chef der Brüsseler Denkfabrik Bruegel’s, Guntram Wolff, erwartet, dass durch das „Interregnum“ in Deutschland de facto alle Initiativen auf EU-Ebene auf Eis liegen – so lange, bis sich die CDU intern neu sortiert hat. Gegenüber der „Financial Times“ („FT“) sagte er, es werde „intern heftige Auseinandersetzungen geben und eine Debatte über die strategische Ausrichtung der CDU gegenüber Europa. Heuer werden keine größere Entscheidungen getroffen werden“, so Wolff.

Einige EU-Diplomaten befürchten laut „FT“ langfristig auch einen Rechtsruck unter einer neuen CDU-Führung. Und dass das große EU-Projekte wie den „Green Deal“ von Kommissionschefin Ursula von der Leyen gefährden könnte.