Mann im Schutzanzug
APA/AFP/Anthony Wallace
Coronavirus in China

Stadt verhängt „Maßnahmen für Krieg“

China hat am Donnerstag die Definition für Coronavirus-Infizierte neu festgelegt. Das führte zu einem sprunghaften Anstieg der Zahl der Betroffenen, was die Sorge vor einer möglichen Eskalation der Lage in China befeuerte. Erstmals hat eine Stadt unterdessen „Maßnahmen zur Kontrolle in Kriegszeiten“ verhängt.

Es handelt sich dabei um die 3,4-Millionen-Einwohner-Stadt Shiyan in der vom Coronavirus am stärksten betroffenen Provinz Hubei. In einem Bezirk der Stadt gelten ab sofort die verschärften Maßnahmen. Betroffen sind davon rund 340.000 Menschen. Die verhängte Maßnahme bedeutet ab Donnerstag für 14 Tage ein de facto komplettes Ausgehverbot. Bewohnerinnen und Bewohner dürfen ihre Wohngebäude nicht verlassen. Nur jene, die zur Bekämpfung der Epidemie im Einsatz sind, sowie Lieferanten von Lebensmitteln und anderem lebensnotwendigem Bedarf sind laut der staatlichen Zeitung „China Daily“ ausgenommen.

Wenn Bewohnerinnen und Bewohner dringend Medikamente brauchen, werden sie laut den Angaben von den Hilfskräften versorgt. Shiyan und die im dazugehörigen Umland liegenden Dörfer haben ab sofort 24-Stunden-Wachdienste. Wer gegen die verschärfte Ausgangssperre verstößt, dem droht Haft. Damit wolle man es ermöglichen, alle Erkrankten und Infizierten ausfindig zu machen und unter Quarantäne zu bringen, hieß es vonseiten der Behörden.

Arbeiter in einem Supermarkt im Schutzanzug
Reuters/CHINA DAILY
In anderen Städten können die Menschen noch selbst einkaufen

Deutlich schärfere Maßnahmen

Die Maßnahmen sind deutlich schärfer als die bisher in der Provinz Hubei üblichen: Die Ein- und Ausreise ist grundsätzlich seit Längerem nicht mehr möglich. Die Bewohnerinnen und Bewohner dürfen nach dem Messen der Temperatur aber ihr Wohngebäude verlassen und etwa selbst Einkäufe erledigen.

Die Epidemie bringt in China die Führung der Kommunistischen Partei zunehmend unter Druck. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der neuen, dramatisch höheren Infektionszahlen wurden zwei hochrangige KP-Funktionäre ihres Amtes enthoben. Der Parteichef der Provinz Hubei wurde ebenso entlassen wie der Parteichef von Wuhan, der Hauptstadt der Provinz. Der KP-Sekretär für Hubei, Jiang Chaoliang, etwa wurde durch den Bürgermeister von Schanghai, Ying Yong, ersetzt. Die Anweisung komme klar von Staatspräsident Xi Jinping, zeigte sich Dali Yang, China-Experte der Universität von Chicago, gegenüber dem britischen „Guardian“ überzeugt.

Keine Hoffnung auf rasche Eindämmung

Die Hoffnung auf eine rasche Eindämmung der Epidemie hatte sich zuvor zerschlagen. Denn am Donnerstag waren aktuelle Zahlen neu nachgewiesener Todesopfer und neuer Infektionen durch das Coronavirus in der besonders schwer betroffenen Provinz Hubei veröffentlicht worden. Sie waren um ein Vielfaches höher als noch am Vortag.

Wie die Behörden am Donnerstag mitteilten, wurden in Hubei 242 neue Todesopfer registriert, womit die Gesamtzahl der Toten in der Provinz seit Ausbruch der Krankheit bei 1.310 liegt. Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen stieg um 14.840 auf nun 48.208 bekannte Fälle. Am Vortag waren in Hubei 97 Todesopfer und 1.638 neue Infektionen gemeldet worden. Damit sind chinaweit mindestens 59.000 Menschen infiziert.

Diagnoseergebnisse „überarbeitet“

Laut Behördenangaben ergibt sich der jüngste Sprung bei den Zahlen daraus, dass die Diagnoseergebnisse nach einer Untersuchung „überarbeitet“ wurden. Patienten seien gemäß der neuen, nun gültigen Klassifikation hinzugefügt worden. Es würden seit Donnerstag auch Fälle „klinischer Diagnosen“ in die Zahl der bestätigten Diagnosen aufgenommen.

Wie die Zeitung „China Daily“ unter Berufung auf chinesische Experten berichtete, können Ärzte jetzt eine offizielle Diagnose stellen, die auf einer Kombination von Faktoren wie Lungenbildern, dem physischen Zustand und epidemiologischer Vorgeschichte beruht. Bisher war nur ein Testverfahren über Nukleinsäuren zugelassen, das aber viele eindeutige Erkrankungen erst nach drei oder vier Tests erkannt habe.

Warum die Vorschriften geändert wurden

Mit den geänderten Definitionen reagieren die Behörden offenbar darauf, dass zu wenige der DNA-Tests verfügbar sind. Ein positives Testergebnis ist aber Voraussetzung dafür, in einem Spital eine Behandlung zu bekommen. Viele Betroffene wurden daher laut „Guardian“ in den Spitälern nicht aufgenommen. Medizinerinnen und Mediziner hätten daher von den Behörden gefordert, auch andere Diagnoseverfahren als den DNA-Test zuzulassen. Teils sei zudem die Verlässlichkeit dieser DNA-Tests angezweifelt worden.

Peking im Zwiespalt

Umgekehrt war erst vor zwei Tagen bekanntgeworden, dass die Behörden von Peking angewiesen worden waren, Infektionen ohne Symptome erst offiziell als bestätigte Fälle zu klassifizieren, wenn Symptome vorliegen. In den Tagen davor war die von China gemeldete Zahl von Neuinfektionen deutlich langsamer gestiegen als noch in der Vorwoche. Das hatte in China und international die Hoffnung auf einen vergleichsweise glimpflichen Verlauf der Epidemie genährt.

Die verwirrende Informationslage spiegelt wohl auch einen grundsätzlichen Zwiespalt wider, in dem sich Chinas Führung derzeit befindet: Einerseits will sie Panik vermeiden und – auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen – der eigenen Bevölkerung und der Welt möglichst beruhigende Signale senden. Gleichzeitig will und muss sie alles tun, um die Epidemie so rasch wie möglich einzudämmen und unter Kontrolle zu bringen. Für Ersteres sind möglichst niedrige Zahlen gut, für Zweiteres eine möglichst umfassende Erfassung von Verdachtsfällen und Infektionen, was hohe Zahlen zur Folge hat.

Hohe Dunkelziffer

Generell vermuten Fachleute aber eine sehr hohe Dunkelziffer. So sind die Möglichkeiten begrenzt, auf das neue Virus zu testen. Ferner erscheint das sich wandelnde Berichterstattungssystem Chinas mit unterschiedlichen Definitionen der einzelnen Fälle besonders für lokale Stellen kompliziert. Die täglich berichteten Zahlen repräsentieren laut Experten somit eher die Fähigkeiten, Fälle zu identifizieren und zu melden, als das wirkliche Ausmaß der Epidemie.

Kreuzfahrtschiff Diamond Princess
APA/AFP/Charly Triballeau
3.600 Menschen sitzen auf der „Diamond Princess“ fest

Weitere Infektionen auf Kreuzfahrtschiff

An Bord des unter Quarantäne gestellten Kreuzfahrtschiffes im japanischen Yokohama ist unterdessen bei weiteren 44 Menschen eine Infektion mit dem neuen Coronavirus festgestellt worden. Das gab das japanische Gesundheitsministerium bekannt. Damit erhöhte sich die Zahl der Infizierten an Bord auf 218. Die Quarantäne gilt noch bis zum 19. Februar. Gesundheitsminister Katsunobu Kato gab jedoch bekannt, dass die Regierung Senioren mit chronischen Krankheiten früher von Bord gehen lassen werde als geplant, sofern sie negativ getestet wurden.

In Japan selbst starb unterdessen erstmals eine am Coronavirus erkrankte Patientin. Japan ist eines der am stärksten betroffenen Länder abseits von China. Es gibt mehr als 250 Fälle von Infektionen inklusive jener auf der „Diamond Princesse“.

Deutsches Schiff darf nicht anlegen

Unterdessen durfte das Kreuzfahrtschiff „Aidavita“ der deutschen Reederei Aida Cruises die vietnamesische Hafenstadt Cai Lan nicht anlaufen. Die örtliche Tourismusbehörde habe Passagieren und Besatzung untersagt, an Land zu gehen, teilte ein Mitarbeiter der Behörde mit. Eine Begründung sei nicht genannt worden, sagte ein Sprecher von Aida Cruises am Donnerstag der dpa in Rostock.

Erst kürzlich hatten mehrere asiatische Länder dem Kreuzfahrtschiff „Westerdam“ aus Sorge vor einer möglichen Covid-19-Einschleppung das Andocken untersagt. Erst Kambodscha stimmte einem Anlanden zu. Auf der „Aidavita“ befinden sich nach Angaben der Reederei rund 1.100 zumeist aus Deutschland kommende Passagiere und 400 Crewmitglieder. Das Schiff sei zuletzt von den Philippinen gekommen und habe zuvor keinen chinesischen Hafen angesteuert. Es gibt laut Reedereiangaben auch keine Verdachtsfälle an Bord.

Anschober warnt vor Panik

In Brüssel beraten die Gesundheitsministerinnen und -minister am Donnerstag in einem Sonderrat über das Coronavirus. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verwies im Vorfeld darauf, dass Panik ein „schlechter Ratgeber“ sei. 99 Prozent der Erkrankungsfälle seien in China, betonte er. Für Reisebeschränkungen sieht Anschober derzeit keinen Anlass.