Eine Frau im Rollstuhl wird betreut
ORF.at/Christian Öser
Rechnungshof-Bericht

Österreich bei Pflege schlecht vorbereitet

Die Lebenserwartung steigt, gleichzeitig sind die Geburtenjahrgänge schwächer geworden. Umgelegt auf das Thema Pflege heißt das: Es wird in Zukunft weniger pflegende Angehörige geben. Daher muss das professionelle Angebot stark erweitert werden. Der Rechungshof (RH) warnt allerdings: Österreich sei nicht ausreichend vorbereitet, Betroffene würden längerfristig selbst kräftig mitzahlen müssen.

Der RH legte am Freitag einen Bericht unter dem Titel „Pflege in Österreich“ vor. Darin findet sich erstmals auch eine umfassende Kostenstatistik. Der Anteil der Kosten, die künftig selbst zu bezahlen sein würden, wird auf rund ein Drittel eingeschätzt.

Für das Jahr 2016 berechnete der RH Gesamtkosten in der Höhe von 7,9 Mrd. Euro für 452.688 Pflegebedürftige. Davon kamen rund 2,9 Mrd. Euro vom Bund und rund 2,1 Mrd. Euro von den Ländern und Gemeinden. 2,9 Milliarden Euro, knapp 37 Prozent, wurden privat abgedeckt. Dazu zählten Eigenbeiträge und auch die mit Geld bewerteten privaten Pflegedienstleistungen, etwa durch Angehörige.

Angehörige leisten umgerechnet fast so viel wie Heime

Der größte Anteil der 7,9 Mrd. war den Pflegeheimen zuzurechnen (3,4 Mrd. Euro), gefolgt von der Pflege durch Angehörige (3,1 Mrd. Euro), mobile Dienste (0,7 Mrd. Euro) und 24-Stunden-Betreuung. Diese belief sich auf 0,6 Mrd. Euro. Der RH kritisiert hier unter anderem, dass die Kosten sowie Herkunft und Verwendung der Mittel nicht systematisch erfasst wurden und dass der Bund (unter anderem durch das Pflegegeld) mehr als die Länder bezahlt, diese aber überwiegend die Pflegezuständigkeit innehaben.

Grafik zeigt die Pflegeausgaben in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Rechnungshof

Künftig weniger pflegende Angehörige

Bezüglich pflegender Angehöriger, meist aus der Altersgruppe von 50 bis 64 Jahren, weist der RH darauf hin, dass derzeit das Verhältnis von Personen dieses Alters zu solchen ab 80 Jahren bei vier zu eins liegt. Bis 2060 werde sich das drastisch ändern, nämlich auf nur noch 1,6 potenziell Pflegende pro über 80-Jährige/n. Zusätzlich sei die steigende Frauenerwerbsquote zu berücksichtigen.

Das Pflegeangebot müsse daher deutlich erweitert werden. Nötig seien dazu eine bundesweit abgestimmte Bedarfsprognose und die Erarbeitung einer Gesamtstrategie zur Weiterentwicklung der Pflegedienstleistungen. Außerdem müsse ein nachhaltiges Finanzierungssystem entwickelt werden. Die Anforderungen aus Sicht des Rechnungshofs: Es brauche eine koordinierte Gesamtsteuerung und eine klare Zuordnung der Verantwortung sowie eine Schnittstelle zwischen Gesundheit und Pflege.

Große Unterschiede bei Pflegeplatzangebot

Auch Unterschiede in der Pflegeversorgung hat der RH erhoben. Während etwa im Bezirk Graz-Umgebung ein Pflegeheimplatz für rund drei Personen ab 80 Jahren zur Verfügung stand, gab es im Bezirk Krems-Land für rund 17 Personen dieser Altersgruppe nur einen Pflegeheimplatz. Eine große Bandbreite zeigt sich laut RH-Aussendung auch bei den Kosten: So wurden 2016 in Kärnten pro Tag für die stationäre Pflege 91 Euro verrechnet, in Wien hingegen 161 Euro. Ein Ausbau der Pflegeeinrichtungen auf Basis der Maximalwerte (Heimdichte je Bezirk und Kosten je Verrechnungstag) würde – berechnet für das Jahr 2030 – im Vergleich zu den Minimalwerten zu Mehrkosten in der Höhe von 3,5 Mrd. Euro führen.

Österreichweite Vorgaben, wie Heimtarife und Personalausstattung zu gestalten sind, fehlen, kritisiert der RH weiter. Außerdem gebe es keine österreichweit gültigen Qualitätsstandards für Pflegeheime, etwa was die Fachpflege, die Lebensqualität sowie die ärztliche und soziale Betreuung betrifft. Derzeit sei auch nicht klar, welches konkrete Leistungsniveau in welchen Pflegeeinrichtungen tatsächlich erwartet werden könne.

Dauerthema Regress und Länder

Erst am Donnerstag hatte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) im Bundesrat seinen Wunsch nach einer Abgeltung für den abgeschafften Pflegeregress erneuert. Die „Entscheidung des Hohen Hauses, den Pflegeregress abzuschaffen“, sei „zu respektieren“, sagte er im Rahmen einer Erklärung, die er anlässlich des Antritts des oberösterreichischen Bundesratspräsidenten Robert Seeber (ÖVP) abgab. Das habe jedoch finanzielle Folgen nach sich gezogen. Die Pflege sei seither geleistet worden, Kosten seien angefallen – vor allem den Gemeinden, die die Pflege organisieren würden, sei bisher nicht alles abgegolten worden.

Es solle nun Gespräche über die „langfristige Organisation“ der Pflege geben. Stelzer plädierte in seiner Rede für den Föderalismus – die Pflege sei dabei „grundsätzlich ein gutes Beispiel“, dass an Ort und Stelle die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen organisiert werde.

Stelzer im Bundesrat

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) forderte im Bundesrat eine „langfristige Organisation“ der Pflege.

Stelzer, der momentan der Landeshauptleutekonferenz vorsitzt, machte schon Anfang der Woche Druck. Die Frage der Abgeltung durch den Bund für den Entfall sei „nicht zur Gänze gelöst“, hatte Stelzer am Montag gegenüber dem Ö1-Morgenjournal gesagt. Diesbezüglich hoffe er auf baldige Gespräche mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), der das Thema kenne. Anschober zeigte sich jedenfalls

Für Anschober „einziger Aufschrei“

Am Freitag meldete sich auch der Minister zu Wort. „Wir haben jetzt die Chance auf einen großen Wurf, und der ist notwendig“, sagte er in einem Pressegespräch. Vor allem in der Kritik an mangelnder Koordination der Akteure und der zersplitterten Finanzverantwortung sieht sich Anschober bestärkt.

„Dieser Bericht ist ein einziger 170-seitiger Aufschrei“, sagte der Sozialminister, und zwar für eine Gesamtreform des Pflegesystems. Es gebe akuten Änderungsbedarf und Handlungsdruck, stärker noch als vor einigen Jahren, argumentierte er, warum es seiner Ansicht nach nun endlich funktionieren werde. Und selbstbewusst meinte er: „Jetzt haben Sie einen neuen Minister vor sich sitzen, der das wirklich angehen will und wird.“ Der RH liefere dafür „zentrale Unterstützung“.

Plädoyers für rasche Reform

SPÖ, NEOS und Caritas sprachen sich ähnlich für eine rasche Reform aus. Die Sozialdemokraten erklärten sich bereit, selbst mitzuhelfen. „Das SPÖ-Konzept für kostenfreie, staatlich garantierte Pflege liegt seit Herbst 2018 am Tisch. Die Zeit sollte jetzt rasch genutzt werden, wir bieten gerne unsere Mitarbeit an“, hielt Sozialsprecher Josef Muchitsch in einer Aussendung fest.

NEOS sah sich in seiner Kritik am Pflegesystem bestätigt. „Wir sehen hier einmal mehr: Österreich ist auf die demografischen Veränderungen in Bezug auf Pflege nicht ausreichend vorbereitet“, sagte der Abgeordnete Douglas Hoyos. „Es gibt keine bundesweit einheitlichen Pflege-, Personalausstattungs- und Qualitätsstandards, nach denen der Bund die Länder refundiert.“ Es müsse „sofort gehandelt werden“. Die Caritas äußerte die Hoffnung, dass die Pflege nicht „selbst zum Pflegefall“ wird. Die Hilfsorganisation plädierte für einen nationalen Pflegeplan, eine bessere finanzielle Unterstützung und einen Ausbau der mobilen Dienste inklusive.