Wikileaks-Gründer Julian Assange
AP/Dominic Lipinski
Auslieferung an USA

Lostage für Assange

Am Montag beginnt in London das Verfahren um die Auslieferung von Julian Assange an die USA. Kommt es dort zu einem Prozess, drohen dem Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks bei einer Verurteilung in allen 18 Anklagepunkten bis zu 175 Jahre Haft. Kritiker erheben schwere Vorwürfe – und sehen nicht zuletzt auch die Pressefreiheit gefährdet.

Das Verfahren werde sich voraussichtlich bis in den Sommer hineinziehen, wie die britische Nachrichtenagentur PA kürzlich berichtete. Demnach soll es zwar am 24. Februar beginnen, nach einer Woche aber ausgesetzt werden. Am 18. Mai werde es zu einer Wiederaufnahme kommen – dann soll das Verfahren drei Wochen dauern. Es wird mit weltweiten Protesten gerechnet.

Der Auftakt erfolgte am Samstag in London: Zu den prominenten Teilnehmern an dem Protestmarsch für die Freilassung Assanges gehörten der Musiker und Produzent Brian Eno, Roger Waters (Pink Floyd), Chrissie Hynde (The Pretenders), die Rapperin M.I.A., der frühere griechische Finanzminister Yannis Varoufakis und Modedesignerin Vivienne Westwood. Demonstranten riefen „Schäm dich, Boris (Johnson, britischer Premierminister, Anm.)“, auf Plakaten stand unter anderem „Journalismus ist kein Verbrechen“.

Ein Screenshot der WikiLeaks-Website
Reuters/Christian Hartmann
Dem Gründer der Enthüllungsplattform droht in den USA ein Prozess wegen Geheimnisverrats

Der Vorwurf: Verstöße gegen Spionagegesetze

Die USA verlangen seit Jahren die Auslieferung Assanges. Im Juni vergangenen Jahres beantragten die Vereinigten Staaten ein formelles Auslieferungsgesuch, dem von Großbritannien stattgegeben wurde. Politiker aus Assanges Heimatland Australien appellierten laut „Guardian“ bereits an Großbritanniens Premierminister Boris Johnson: Er solle die Auslieferung verhindern und Assange nach Australien lassen.

Die Tat

Im Jahr 2010 hatte WikiLeaks Hunderttausende geheime Papiere vor allem zum Irak-Krieg online gestellt. Sie enthielten hochbrisante Informationen über die US-Einsätze in dem Land, darunter über die Tötung von Zivilisten und Zivilistinnen sowie die Misshandlung von Gefangenen.

Assange wird von Washington unter anderem Veröffentlichung geheimer Dokumente und Verstöße gegen Spionagegesetze vorgeworfen. Er soll der amerikanischen Whistleblowerin Chelsea Manning geholfen haben, geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan zu veröffentlichen – wodurch unter anderem von US-Soldaten begangenen Kriegsverbrechen an die Öffentlichkeit gelangten.

Doch auch Dokumente über Banken, korrupte Politiker und Geheimdienstmaterial anderer Länder wurden über die Plattform publik gemacht. Manning wurde zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und von US-Präsident Barack Obama kurz vor Ende seiner Amtszeit begnadigt.

Julian Assange bei seiner Verhaftung
AP/PA/Victoria Jones
Assange bei seiner Festnahme: Die vergangenen Jahre scheinen Spuren hinterlassen zu haben – psychisch wie physisch

Verfechter der Freiheit oder Unterwanderer des Westens?

Assange selbst präsentierte sich konsequent als Verfechter der Redefreiheit, der wegen Aufdeckung von Machtmissbrauch verfolgt werde. Seine Kritiker bezeichnen ihn hingegen als eine gefährliche Figur, die an den russischen Bemühungen zur Untergrabung des Westens beteiligt sei.

Vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 etwa veröffentlichte WikiLeaks rund 20.000 E-Mails der Demokraten, die der damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton schweren politischen Schaden zufügten. Die US-Geheimdienste kamen später zu dem Schluss, dass sich russische Hacker Zugang zu den Servern der Demokratischen Partei verschafft und die E-Mails an WikiLeaks weitergeleitet hätten. In der Anklage gegen Assange geht es allerdings nur um die 2010 veröffentlichten Dokumente.

Berichte über Trump-Angebot an Assange dementiert

Mehrere Medien berichteten am Mittwoch, dass Trump angeblich Assange eine Begnadigung angeboten habe, wenn er im Gegenzug versichere, dass sich Russland 2016 nicht in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingemischt habe. Der ehemalige Kongressabgeordnete Dana Rohrabacher soll das Angebot Assange 2017 in der ecuadorianischen Botschaft unterbreitet haben. Diese Informationen sollen auf eine Zeugenaussage von Assanges Anwältin Jennifer Robinson zurückgehen.

Rohrabacher wies die Berichte zurück: „Zu keinem Zeitpunkt habe ich Julian Assange etwas vom Präsidenten angeboten, weil ich mit dem Präsidenten überhaupt nicht über dieses Thema gesprochen hatte“, hieß es in einer Mitteilung Rohrabachers.

Ein Anwalt von Assange warf Trump indessen vor, Druck auf den WikiLeaks-Gründer ausgeübt zu haben. Im August 2017 habe Trump Assange aufgefordert, Aussagen zu machen, die positiv für Trump und die Regierung gewesen wären, sagte Assanges spanischer Anwalt, der ehemalige Richter Baltasar Garzon, am Donnerstag. „Julian Assange hat sich geweigert, diesem Druck nachzugeben, und es wurde befohlen, seine Auslieferung und internationale Inhaftierung zu beantragen.“

Die Haftstrafe: Bis zu 175 Jahre

Teilte das US-Justizministerium vergangenes Jahr noch mit, dass Assange im Falle einer Verurteilung eine Haftstrafe von maximal fünf Jahren drohe, sind es nun bis zu 175 Jahre. Sein Vater John Shipton sprach bereits davon, dass eine Auslieferung an die USA einem Todesurteil gleichkomme.

Aus einem vertraulichen Dokument der ermittelnden Staatsanwaltschaft im US-Bundesstaat Virginia, das die deutschen Sender NDR und WDR nach eigenen Angaben vom Freitag einsehen konnten, droht Assange im Falle seiner Auslieferung strengste Isolationshaft in den USA. Neben der Haft der höchsten Sicherheitsstufe ermöglichten den Sendern zufolge auch „spezielle Verwaltungsmaßnahmen“ der Justiz, einen Beschuldigten strikt von der Außenwelt abzuschirmen und die Kommunikation mit seinen Anwälten zu überwachen.

Der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, hält das Strafmaß für absolut unangemessen: „Jemand, der staatliches Missverhalten öffentlich gemacht hat auf breiter Basis, das wird jetzt als Spionage klassifiziert und strafbar gemacht. Und zwar mit Strafmaßen, die weit über die Kriegsverbrechertribunale von Den Haag hinausgehen“, kritisierte er gegenüber deutschen Medien. In seinen Augen werde an Assange ein Exempel statuiert, um Journalisten einzuschüchtern. Ebenso seien die Vorwürfe konstruiert und die Beweise manipuliert, so Melzer in einem Interview mit dem Schweizer Onlinemagazin „Republik“.

Polizeibeamte vor der Botschaft Ecuadors in London
Reuters/Neil Hall
Sieben Jahre lebte Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London – aus Angst, an die USA ausgeliefert zu werden

Auch der Chefredakteur der Enthüllungsplattform, Kristinn Hrafnsson, bezeichnete die Vorwürfe der USA gegen Assange als „absurd“. „Das ist ein politischer Fall“, kritisierte der Isländer. „Seit Jahren wird uns Schaden, Schaden, Schaden vorgeworfen. Aber für mich ist das Journalismus“, sagte Hrafnsson.

„Assange zeigt alle Symptome von psychischer Folter“

Zwar soll es Assange laut Hrafnsson zumindest gesundheitlich bereits etwas besser gehen, dennoch scheinen die vergangenen Jahre Spuren hinterlassen zu haben. So zeigt der WikiLeaks-Gründer Melzer zufolge in der Haft „alle Symptome, welche typisch sind für Opfer lang dauernder psychischer Folter“. Und weiter: „Assange hat Folter aufgedeckt, er wurde selber gefoltert und könnte in den USA zu Tode gefoltert werden“, so Melzer gegenüber Republik.

Assange sitzt seit April 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Osten Londons. Er wurde von der britischen Polizei verhaftet, weil er gegen Kautionsauflagen verstoßen hatte. Dafür wurde er zu einem knappen Jahr Gefängnis verurteilt. Zuvor hielt er sich rund sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London auf, in die er sich 2012 flüchtete. Damals lag gegen ihn ein europäischer Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden vor. Assange befürchtete, via Schweden in die USA ausgeliefert zu werden. Die Ermittlungen wurden inzwischen jedoch eingestellt.

Unterstützer von WikiLeaks-Gründer Julian Assange mit Transparenten und Gesichtsmaske
APA/AFP/Tolga Akmen
Seit Jahren fordern Aktivisten und Aktivistinnen sowie Personen aus Politik, Kunst und Journalismus die Freilassung von Assange

Freilassung gefordert

Dass der 48-jährige Australier unter den Folgen des Aufenthalts in der Botschaft und im Gefängnis leide, bestätigten auch Experten und Expertinnen. Knapp 120 Ärzte und Psychologen forderten in einem offenen Brief ein Ende der „psychologischen Folter und medizinischen Vernachlässigung“. Zuvor sprachen sich bereits 130 Politiker, Künstler und Journalisten in Deutschland sowie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und der Europarat für eine Freilassung von Assange aus.

Kritiker erheben zudem Vorwürfe an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Assange habe keine Möglichkeit gehabt, sich auf das Auslieferungsverfahren vorzubereiten, er habe keinen ausreichenden Zugang zu seinen Anwälten und sei mental nicht in der Lage, sich auf seine Verteidigung einzustellen.

Der Tenor der Kritiker des Verfahrens: Jemand, der Verbrechen öffentlich mache, dürfe nicht selbst zum Verbrecher gemacht werden. Bei dem Verfahren gehe es daher nicht nur um Assange selbst, sondern um die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit. Eine Auslieferung hätte eine „abschreckende Wirkung auf die Pressefreiheit“, erklärte etwa die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic.