Polizei am Tatort
APA/dpa/Boris Roessler
Elf Tote in Hanau

Polizei ermittelt wegen Terrorverdachts

Nach den tödlichen Angriffen auf zwei Shisha-Bars in Hanau im deutschen Bundesland Hessen ermitteln die deutschen Behörden wegen Terrorverdachts. Das teilte der hessische Landesinnenminister Peter Beuth Donnerstagvormittag mit.

Der mutmaßliche Täter hatte in den zwei Lokalen, die rund zwei Kilometer voneinander entfernt sind, neun Menschen erschossen und mehrere weitere verletzt. Stunden später fanden ihn Einsatzkräfte, die nach dem Mann mit einem Großaufgebot und Helikoptern gefahndet hatten, tot in einer Wohnung. Auch eine weitere Person wurde dort tot aufgefunden. Laut Beuth war der 43-jährige Deutsche in der Vergangenheit nicht im Visier der Ermittler. Er habe eine Waffe legal besessen und sei Sportschütze gewesen.

Der Mann sei weder als fremdenfeindlich bekannt gewesen noch polizeilich in Erscheinung getreten, sagte Beuth im Wiesbadener Landtag. Er verurteilte die Gewalttaten. „Das ist ein Anschlag auf unsere freie und friedliche Gesellschaft“, sagte Beuth.

Herrmann: Opfer überwiegend Ausländer

„Nach unseren jetzigen Erkenntnissen ist ein fremdenfeindliches Motiv durchaus gegeben“, sagte der CDU-Politiker. Darauf deute etwa eine Homepage hin, aus der sich ein mutmaßlicher rechter Hintergrund ergebe. Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte nach einer Telefonkonferenz mit seinen Kolleginnen und Kollegen, dass der 43-jährige Deutsche „eine Reihe überwiegend aus dem Ausland stammender Menschen erschossen“ habe. Herrmann bestätigte damit entsprechende Medienberichte. Man müsse aufgrund aufgefundener Materialien davon ausgehen, „dass es sich um einen rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Hintergrund handelt“.

Die Nachrichtenlage war in der Nacht sehr dürftig. Die Polizei hatte sich mit Mitteilungen vor allem deshalb zurückgehalten, weil der mutmaßliche Täter bis in die frühen Morgenstunden als flüchtig galt. Erst dann wurde er tot aufgefunden. Neun Menschen wurden von den Schüssen des Mannes an zwei rund zwei Kilometer voneinander entfernten Tatorten getötet. Der Täter galt zunächst stundenlang als flüchtig. Polizisten fanden Donnerstagfrüh in einer Wohnung zwei Leichen, unter ihnen der mutmaßliche Täter.

Forensiker am Tatort
Reuters/Ralph Orlowski
Forensiker an einem der beiden Tatorte

Neun Tote an zwei Tatorten

Laut Polizeiangaben gibt es keine Hinweise auf weitere Täter. Die Motive der Tat sind bisher nicht bekannt. Nach Zeugenaussagen zu einem Fluchtfahrzeug drangen Spezialkräfte der Polizei in eine Wohnung im Stadtteil Kesselstadt ein. Dort wurden die beiden weiteren Toten entdeckt. Die Ermittlungen zu ihrer Identität waren in der Früh noch nicht abgeschlossen.

Angaben zu ihrer Nationalität wie zur Nationalität der neun zuvor erschossenen Menschen machte die Polizei bisher nicht. Die Polizei hatte die Zahl der Toten in der Nacht zunächst mit acht, in der Früh mit neun angeben. Außerdem wurden nach Polizeiangaben mehrere Menschen verletzt.

Nach Informationen aus Sicherheitskreisen wurden mittlerweile ein Bekennerschreiben und ein Video gefunden. Beides werde nun ausgewertet, das Motiv sei noch unklar, hieß es am Donnerstag. Allerdings übernahm wegen der besonderen Bedeutung des Falls mittlerweile der Generalbundesanwalt die Ermittlungen. Es gebe Indizien, die auf einen rechtsextremistischen Hintergrund deuten, teilte die Behörde mit. Der Generalbundesanwalt ist bei Delikten gegen die innere Sicherheit zuständig.

Polizisten am Tatort in Hanau
Reuters/Kai Pfaffenbach
Einsatzkräfte sperrten die Tatorte ab

Wirre Verschwörungstheorie in Video

Die Nachrichtenagentur dpa berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise zudem, dass das Video vom mutmaßlichen Täter vor wenigen Tage auf YouTube gestellt wurde. Darin spricht der Mann in fließendem Englisch von einer „persönlichen Botschaft an alle Amerikaner“.

Das Video wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen. Darin breitet der Mann eine wirre Verschwörungstheorie aus, wonach in den USA unterirdische Militäreinrichtungen existierten, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde auch dem Teufel gehuldigt. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände „jetzt kämpfen“, so der offenbar geistig schwer Verwirrte. Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten.

Täter flüchtete mit Auto

Der Täter griff nach Polizeiangaben am Mittwoch gegen 22.00 Uhr zuerst eine Shisha-Bar am Heumarkt im Westen von Hanau an. Dort wurden mehrere Menschen erschossen. Augenzeugen sahen einen dunklen Wagen davonfahren. Danach wurden im weiter westlich gelegenen Stadtteil Kesselstadt weitere Menschen erschossen. Das zum Main-Kinzig-Kreis gehörende Hanau liegt rund 20 Kilometer östlich von Frankfurt/Main und hat etwa 100.000 Einwohner. Zur Unterstützung der hessischen Polizei waren auch Beamte aus Bayern im Einsatz.

Großfahndung nach Täter

Die Polizei hatte mit einem Großaufgebot nach dem Täter gefahndet. Die Polizei setzte bei der Fahndung auch Hubschrauber ein. Die Ermittler baten die Bevölkerung um Hinweise, warnten aber vor Spekulationen. Via Twitter rief die Polizei dazu auf, keine Videos oder Nachrichten aus unbekannten Quellen zu verbreiten. Nach dem Auffinden des mutmaßlichen Täters bat die Polizei dann um Hinweise, die zur Aufklärung der Tat beitragen könnten.

„Echtes Horrorszenario“

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) zeigte sich erschüttert. Es sei ein Abend, „wie man ihn sich schlimmer nicht vorstellen kann“, sagte Kaminsky der „Bild“-Zeitung. Er sei „tief betroffen“. Die Hanauer CDU-Bundestagsabgeordnete Katja Leikert schrieb auf Twitter: „Es ist ein echtes Horrorszenario für uns alle.“

Aufruf zu Demo gegen rechten Hass

Auch die gesamte deutsche Regierung und Oppositionsparteien reagierten bestürzt auf das Verbrechen. „Die Gedanken sind heute Morgen bei den Menschen in #Hanau, in deren Mitte ein entsetzliches Verbrechen begangen wurde“, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter.

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte ein hartes Vorgehen an. „Der Rechtsstaat wird sich solcher Gewalt mit aller Härte und Entschiedenheit entgegenstellen“, twitterte er. Auch international gab es zahlreiche Reaktionen, so zeigten sich EU-Ratspräsident Charles Michel und Kanzler Sebastian Kurz erschüttert.

Tat verschärft Debatte über Umgang mit Rechtsradikalen

Das mutmaßliche Attentat dürfte auch die in Deutschland akute Debatte über den Umgang mit und die Abgrenzung von Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus weiter anfachen. Seitdem CDU und FDP gemeinsam mit der rechtspopulistischen AfD bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten im Bundesland Thüringen stimmten, ist Feuer am Dach der deutschen Innenpolitik. Die CDU stürzte das in eine schwere Führungskrise. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil rief für den Abend jedenfalls zu einer Demo gegen „rechten Hass und Faschismus“ am Brandenburger Tor in Berlin auf.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Staatsminister für Europa, Michael Roth, warf der AfD auf Twitter vor, „der politische Arm des Rechtsterrorismus“ zu sein. Dabei attackierte er den Landessprecher der AfD Thüringen, Björn Höcke: „Das Milieu von Taten wie in Hanau wird ideologisch genährt von Faschisten wie Höcke.“