Frauen demonstrieen mit Fotos von ermordeten Frauen in Mexiko gegen Gewalt gegen Frauen
AP/Ginnette Riquelme
Mexiko

Frauenmorde untergraben die Gesellschaft

Durschnittlich zehn Frauenmorde werden täglich in Mexiko verübt. Gewalt gegen Frauen ist seit Jahrzehnten weit verbreitet, wie Statistiken belegen. Zwei aufsehenerregende Mordfälle haben nun das Problem ins Zentrum gerückt und für Proteste gesorgt. Die anhaltende Gewalt gegenüber Frauen untergräbt neben der Brutalisierung durch die Kriege der Drogenbanden die mexikanische Gesellschaft.

Mexiko war in der vergangenen Woche von den Morden an einem siebenjährigen Mädchen und an einer jungen Frau erschüttert worden. Das Mädchen war nach der Schule am 11. Februar entführt, geschlagen und vergewaltigt worden. Die Leiche wurde in einem Müllsack auf der Straße entdeckt. Die 25-jährige Frau war nach einem Streit von ihrem Partner erstochen und gehäutet worden. Fotos der Leiche tauchten in der Presse auf.

Die Taten lösten Proteste und eine gesellschaftliche Debatte in Mexiko aus. Feministinnen und Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung des linksnationalistischen Präsidenten Andres Manuel Lopez Obrador vor, das Problem nicht ernst genug zu nehmen.

Frauen demonstrieen mit Fotos von ermordeten Frauen in Mexiko gegen Gewalt gegen Frauen
APA/AFP/Pedro Pardo
Bei den Protesten werden Plakate mit Bildern der getöteten Frauen mitgeführt

So forderte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ein entschlossenes Vorgehen gegen die Femizide. „Wir brauchen Taten statt Worte“, sagte die Regionaldirektorin von Amnesty, Erika Guevara-Rosas, der dpa. „Es braucht eine ausdifferenzierte Politik, die auch etwas gegen die Gründe für die Gewalt tut.“

Sarg eines siebenjährigen ermordeten mexikanischen Mädchens wird getragen
AP/Marco Ugarte
Zahlreiche Menschen fanden sich bei dem Tauerzug für die getötete Siebenjährige ein. Er begann an der Schule, vor der sie entführt wurde.

Präsident macht Neoliberalismus verantwortlich

Lopez Obrador machte indes den Neoliberalismus für die Gewaltwelle verantwortlich. „Wir sehen einen Verfall, einen fortschreitenden Niedergang, der etwas mit dem neoliberalen Modell zu tun hat“, sagte der Linkspopulist am Montag. „Das lässt sich nicht mit Polizisten, Gefängnissen und der Drohung mit einer harten Hand lösen. Wir müssen uns darum von Grund auf kümmern, mit materieller und seelischer Fürsorge.“ Lopez Obrador sieht die aus seiner Sicht neoliberale Politik seiner Vorgänger als Grund für viele Probleme des lateinamerikanischen Landes.

Mexikanische Frauen demonstrieren gegen Gewalt an Frauen
AP/Eduardo Verdugo
Die Aktivistinnen wollen sich Gehör verschaffen und fordern einen gesellschaftlichen Wandel

Lopez Obrador wollte lieber über Flugzeug reden

In der vergangenen Woche hatten Frauen gegen die Gewalt gegen Frauen demonstriert. Sie skandierten vor dem Nationalpalast in Mexiko-Stadt „Sie bringen uns um“ und „Gerechtigkeit“, legten Feuer und beschmierten die Wände und Tore mit Farbe.

„Bei allem Respekt bitte ich die Feministinnen darum, die Türen und Wände nicht zu beschmieren. Wir arbeiten daran, dass es keine Femizide mehr gibt“, sagte der Staatschef und löste damit erneut Proteste aus. „Es sollen alle Tore und Monumente fallen, bis unsere Leben wieder etwas wert sind“, schrieb Guevara-Rosas auf Twitter. Bei einer früheren Pressekonferenz hatte sich Lopez Obrador etwa darüber empört, dass ihm so viele Fragen zum Thema Frauenmorde gestellt würden statt zur symbolischen Versteigerung des Präsidentenflugzeugs.

Unter dem Eindruck der beiden Morde erhöhte indes das Parlament die Höchststrafen für Frauenmord und sexuellen Missbrauch um jeweils fünf Jahre auf 65 beziehungsweise 18 Jahre Haft. Ob das Gesetz etwas ändern wird, ist umstritten, denn rund 90 Prozent der Taten bleiben ohne Konsequenzen.

Amnesty: Abscheulichstes Erbe der Region

Nach Angaben der Vereinten Nationen befinden sich 14 der 25 Länder mit den höchsten Mordraten an Frauen in Lateinamerika und der Karibik. In den 1990er Jahren wurden in Ciudad Juarez Hunderte Frauen getötet und in der Wüste verscharrt. Die Stadt im Norden Mexikos wurde zu einem traurigen Symbol für entfesselte Gewalt und Straflosigkeit.

„Die Gewalt gegen Frauen gehört zu dem abscheulichsten Erbe der Region“, so Guevara-Rosas gegenüber der dpa. Mit 6,8 Femiziden je 100.000 Einwohner führte das mittelamerikanische El Salvador 2018 die grausame Statistik nach Angaben der Beobachtungsstelle für Geschlechtergerechtigkeit der Wirtschaftskommission CEPAL an, gefolgt vom Nachbarland Honduras. In absoluten Zahlen liegen Brasilien und Mexiko vorn. Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Region leiden generell unter einem hohen Maß an Gewalt.

Zehntausende Gewaltdelikte

Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Morde in Mexiko mit mehr als 35.000 Tötungsdelikten einen neuen Rekord. Die weitaus meisten Opfer sind zwar Männer, aber die Zahl der gezielten Frauenmorde nahm im vergangenen Jahr um zehn Prozent zu. Über 1.000 der rund 3.800 Morde an Frauen wurden als Femizide eingestuft. Die Opfer wurden aufgrund ihres Geschlechts getötet.

Hinzu kommen Zehntausende weitere Gewalttaten gegen Frauen wie Vergewaltigungen, häusliche Gewalt, Zwangsprostitution und sexuelle Belästigung. Kulturelle Faktoren, der Einfluss der Kirche, Straflosigkeit und die Ineffizienz der Behörden tragen nach Einschätzung von Guevara-Rosas zur Gewalt gegen Frauen bei, wie sie der dpa sagte.

Mehr als 60.000 Menschen gelten als vermisst

Es war die erste Kriminalitätsstatistik für ein volles Jahr in der Amtszeit von Lopez Obrador. Dieser war im Dezember 2018 mit dem Versprechen angetreten, die in Mexiko herrschende Gewalt mit einem neuen Ansatz einzudämmen – mit einer gelockerten Drogenpolitik und der Förderung von Bildung und Arbeitsplätzen, aber auch mit der Schaffung einer Nationalgarde.

Das 130-Millionen-Einwohner-Land hat seit Jahren ein großes Problem mit Gewaltkriminalität. Diese geht zu einem großen Teil auf das Konto von Banden, die in Drogenhandel, Entführungen und Erpressung verwickelt sind. Als vermisst gelten in Mexiko zudem mehr als 60.000 Menschen. Der Großteil von ihnen verschwand seit 2006, als der damalige Präsident Felipe Calderon den Drogenbanden den Krieg erklärte. Die meisten Verbrechen in Mexiko werden nie aufgeklärt.