Forensiker in Hanau
AP/Martin Meissner
Elf Tote in Hanau

Polizei geht von rechtsextremer Tat aus

Bei der Gewalttat im hessischen Hanau mit elf Toten geht die deutsche Bundesanwaltschaft von einem rechtsextremistischen Motiv aus. Sie habe die Ermittlungen wegen Terrorverdachts übernommen, teilte die Behörde am Donnerstag mit. Erste Erkenntnisse deuteten auf ein fremdenfeindliches Tatmotiv, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth. Der Attentäter hatte auch einen Österreicher kontaktiert.

Der Polizei zufolge wurden am Mittwochabend zunächst in zwei Shisha-Bars in Hanau neun Menschen erschossen. Später sei der mutmaßliche Täter von einem Sondereinsatzkommando tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Es handle sich um einen 43-jährigen Deutschen, sagte Beuth. Auch die Leiche der Mutter sei dort gefunden worden. Hinweise auf weitere Täter gebe es nicht. Es soll auch Verletzte geben. Beuth sprach von einem Schwerverletzten. In Hanau herrschte Entsetzen.

Laut Beuth war der 43-jährige Deutsche in der Vergangenheit nicht im Visier der Ermittler. Er habe eine Waffe legal besessen und sei Sportschütze gewesen. „Nach unseren jetzigen Erkenntnissen ist ein fremdenfeindliches Motiv durchaus gegeben“, sagte der CDU-Politiker. Darauf deute etwa eine Homepage hin, aus der sich ein mutmaßlicher rechter Hintergrund ergebe. Außerdem haben Sicherheitskreisen zufolge alle neun Opfer in den Shisha-Bars Migrationshintergrund. Laut der Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans handelt es sich bei mehreren Opfern um Kurden. Fünf Todesopfer waren türkische Staatsbürger, bestätigte die türkische Botschaft in Berlin.

Polizei in Deutschland
Reuters/Kai Pfaffenbach
Ermittler sichern Spuren an einem der Tatorte

Wirre Verschwörungstheorie in Video

Der „Bild“-Zeitung hinterließ der mutmaßliche Täter ein Bekennerschreiben mit rechtsextremen Ansichten. In seinem Fahrzeug seien Munition und Magazine gefunden worden, meldete das Blatt unter Berufung auf Polizeikreise. Außerdem postete der Mann wenige Tage vor dem Attentat ein Video auf YouTube. Darin spricht er in fließendem Englisch von einer „persönlichen Botschaft an alle Amerikaner“.

Das Video wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen. Darin breitet der Mann eine wirre Verschwörungstheorie aus, wonach in den USA unterirdische Militäreinrichtungen existierten, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde auch dem Teufel gehuldigt. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände „jetzt kämpfen“, so der offenbar geistig schwer Verwirrte. Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten.

Mailkontakt mit Österreicher

Der Täter hatte offenbar auch Mailkontakt mit einem Niederösterreicher gehabt. In einem 24-seitigen Manifest schrieb der Deutsche über einen österreichischen Staatsbürger, der ihm empfohlen wurde, nachdem er sich selbst „in den Fängen einer Geheimorganisation“ gesehen hatte. Der Niederösterreicher bestätigte den Kontakt – und dass er gemerkt habe, dass der Mann „nicht alle Tassen im Schrank“ gehabt habe – mehr dazu in noe.ORF.at.

Fahndung mit Großaufgebot und Helikoptern

Die Nachrichtenlage war in der Nacht sehr dürftig. Die Polizei hatte sich mit Mitteilungen vor allem deshalb zurückgehalten, weil der mutmaßliche Täter bis in die frühen Morgenstunden als flüchtig galt. Erst dann wurde er tot aufgefunden. Ein Sondereinsatzkommando fand nach einer Großfahndung mit Helikoptern Donnerstagfrüh in einer Wohnung zwei Leichen – den mutmaßlichen Täter und seine Mutter.

Polizisten am Tatort in Hanau
Reuters/Kai Pfaffenbach
Einsatzkräfte sperrten die Tatorte ab

Laut Polizeiangaben gibt es keine Hinweise auf weitere Täter. Die Motive der Tat sind bisher nicht bekannt. Nach Zeugenaussagen zu einem Fluchtfahrzeug drangen Spezialkräfte der Polizei in eine Wohnung im Stadtteil Kesselstadt ein. Dort wurden die beiden weiteren Toten entdeckt.

Augenzeugen brachten Fahnder auf Spur des Täters

Der Täter griff nach Polizeiangaben am Mittwoch gegen 22.00 Uhr zuerst eine Shisha-Bar am Heumarkt im Westen von Hanau an. Dort erschoss er mehrere Menschen. Danach erschoss er im weiter westlich gelegenen Stadtteil Kesselstadt weitere Menschen. Augenzeugen sahen einen dunklen Wagen davonfahren. Das brachte die Fahnder auf die Spur des Täters. Es sei im Rahmen der Großfahndung im Ortsteil Kesselstadt ermittelt worden. Die dortige Wohnanschrift sei weiträumig abgesperrt und durch Spezialkräfte der Polizei durchsucht worden. Das zum Main-Kinzig-Kreis gehörende Hanau liegt rund 20 Kilometer östlich von Frankfurt/Main und hat etwa 100.000 Einwohner. Zur Unterstützung der hessischen Polizei waren auch Beamte aus Bayern im Einsatz.

Die Ermittler baten die Bevölkerung um Hinweise, warnten aber vor Spekulationen. Via Twitter rief die Polizei dazu auf, keine Videos oder Nachrichten aus unbekannten Quellen zu verbreiten. Nach dem Auffinden des mutmaßlichen Täters bat die Polizei dann um Hinweise, die zur Aufklärung der Tat beitragen könnten.

„Echtes Horrorszenario“

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) zeigte sich erschüttert. Es sei ein Abend, „wie man ihn sich schlimmer nicht vorstellen kann“, sagte Kaminsky der „Bild“-Zeitung. Er sei „tief betroffen“. Die Hanauer CDU-Bundestagsabgeordnete Katja Leikert schrieb auf Twitter: „Es ist ein echtes Horrorszenario für uns alle.“

Blumen und Kerzen am Tatort in Hanau
Reuters/Ralph Orlowski
Menschen zeigen mit Blumen und Kerzen ihre Trauer

Merkel: „Rassismus ist ein Gift“

Auch die gesamte deutsche Regierung und Oppositionsparteien reagierten bestürzt auf das Verbrechen. Kanzlerin Angela Merkel betonte: „Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift, und dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft, und es ist schuld an schon viel zu vielen Verbrechen, von den Untaten des NSU über den Mord an Walter Lübcke bis zu den Morden von Halle.“

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte ein hartes Vorgehen an. „Der Rechtsstaat wird sich solcher Gewalt mit aller Härte und Entschiedenheit entgegenstellen“, twitterte er. Auch international gab es zahlreiche Reaktionen, so zeigten sich etwa EU-Ratspräsident Charles Michel und Kanzler Sebastian Kurz erschüttert.

Entsetzen in Hanau

In Hanau herrscht nach den offenbar rechtsextrem motivierten Morden Entsetzen. Die frühe Festlegung der Behörden lässt vermuten, dass die Hinweise auf die Hintergründe der Tat sehr eindeutig sind.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) und die Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sind am Nachmittag in Hanau eingetroffen. Sie wollen sich über die Hintergründe der Gewalttat informieren. Seehofer ordnete Trauerbeflaggung für alle öffentlichen Gebäude in Deutschland an. Zudem will er darüber beraten, wie die Sicherheit insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen in den nächsten Tagen gewährleistet werden könne. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will am Abend bei einer Mahnwache in Hanau teilnehmen.

Tat verschärft Debatte über Umgang mit Rechtsradikalen

Das mutmaßliche Attentat dürfte auch die in Deutschland akute Debatte über den Umgang mit und die Abgrenzung von Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus weiter anfachen. Seitdem CDU und FDP gemeinsam mit der rechtspopulistischen AfD bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten im Bundesland Thüringen stimmten, ist Feuer am Dach der deutschen Innenpolitik. Die CDU stürzte das in eine schwere Führungskrise.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil rief für den Abend jedenfalls zu einer Demo gegen „rechten Hass und Faschismus“ am Brandenburger Tor in Berlin auf. FDP-Chef Christian Lindner rief ebenfalls dazu auf, jetzt zusammenzustehen und ein Zeichen gegen Hass, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu setzen: „Deswegen bin ich heute um 18.00 Uhr beim Brandenburger Tor.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Staatsminister für Europa, Michael Roth, warf der AfD auf Twitter vor, „der politische Arm des Rechtsterrorismus“ zu sein. Dabei attackierte er den Landessprecher der AfD Thüringen, Björn Höcke: „Das Milieu von Taten wie in Hanau wird ideologisch genährt von Faschisten wie Höcke.“