Sondergipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel
Reuters/Reinhard Krause
Kampf um Promille

Hängepartie auf EU-Gipfel zu Budget

Auf dem Sondergipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs zum nächsten Siebenjahresbudget der Europäischen Union hat sich vorerst kein schneller Kompromiss abgezeichnet. Österreichs Ziel sei es, „dass unser Beitrag nicht ins Unermessliche steigt“, sagte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) – sprich, dass sich die Überweisungen nach Brüssel auf ein Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen.

Ratspräsident Charles Michel führte bis Freitagfrüh Einzelgespräche mit den 27 Staats- und Regierungschefs, darunter auch mit Kurz. Mehrere Teilnehmer erwarteten einen neuen Vorschlag Michels für das über eine Billion Euro schwere Budget. Der neue Vorschlag müsse dann von den Experten der Mitgliedsstaaten geprüft werden, hieß es. Ob eine Einigung möglich sei, werde sich erst am Freitag zeigen.

Freitagfrüh, vor Wiederaufnahme der Verhandlungen, war aus den nationalen Delegationen aber zu hören, Michel werde keinen neuen Vorschlag vorlegen, sondern weiter über den bisherigen verhandeln lassen. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es aber nicht.

Babis kritisiert Nettozahlergruppe

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen rechnet nicht mit einer Einigung. Vor der zweiten Verhandlungsrunde in Brüssel sagte sie am Freitag, es werde wahrscheinlich ein weiteres Gipfeltreffen im März für einen Kompromiss der 27 Mitgliedsstaaten nötig sein. Sie sei zwar darauf eingestellt, notfalls das ganze Wochenende in Brüssel zu bleiben, sagte Frederiksen. Sie fügte aber hinzu: „Ich glaube nicht, dass wir eine Einigung erzielen.“

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis kritisierte vor der Sitzung am Freitag neuerlich die Nettozahlergruppe hart. „Ich weiß nicht, warum wir überhaupt gekommen sind, wenn die Gruppe der Nettozahler sagt, sie will höchstens ein Prozent der Wirtschaftsleistung zahlen. Das ist ein Unterschied von 75 Mrd. Euro“, so Babis.

Finnland: „Gemeinsam Kompromiss finden“

Gleichzeitig wollten Länder wie Österreich aber ihre „Rabatte behalten. Das bezahlen die anderen. Hier es geht um 14,5 Mrd. Euro.“ Babis sagte, dass man „hoffentlich heute heimfliegen“ könne, wenn sich die Nettozahler nicht einigten. Dass sich die Nettoempfänger bewegen müssten, stellte der Tscheche hingegen in Abrede. Wie es nun weitergehe, wisse er, Babis, nicht, sagte er auf die Frage, ob ein neuer Sondergipfel notwendig werden würde.

„Die meisten sind nicht sehr optimistisch, dass es diesmal zu einer Einigung kommt“, sagte Rumäniens Präsident Klaus Iohannis. Es werde wohl einen weiteren Gipfel brauchen. Wann dieser sein könnte, wisse er nicht. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin rief hingegen dazu, dass man „gemeinsam einen Kompromiss finden“ müsse. Eine Einigung noch am Freitag werde aber „sehr schwierig“. Der Brexit erleichtere die Sache nicht.

Kurz: Sehr intensive Verhandlungen

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten das Treffen am späten Abend verlassen, nachdem sie ihre Gespräche mit Michel beendet hatten. Ihre Länder standen verhältnismäßig weit vorn auf der Liste, die sich nach der Abfolge der halbjährlichen EU-Ratspräsidentschaften richtete.

Kurz war erst spät an der Reihe – Österreich hatte erst 2018 die EU-Ratspräsidentschaft. Im Anschluss sagte er: „Wir hatten wie erwartet sehr intensive Verhandlungen heute den ganzen Tag über.“

Sebastian Kurz
APA/AFP/Aris Oikonomou
Kanzler Kurz hatte – auch fernab des Opernballs – eine lange Nacht

Macron will für Bauern kämpfen

Ein in der vergangenen Woche vorgelegter Vorschlag von Michel für das Budget für die Jahre 2021 bis 2027 war bei vielen Mitgliedsstaaten auf Kritik gestoßen. Er sieht Kürzungen der Milliardenhilfen für Europas Bauern und Regionen vor, aber mehr Geld für Klimapolitik, Grenzschutz, Forscher und Studenten.

Er wolle „eine ehrgeizige Einigung“, sagte Macron. Er forderte eine bessere Unterstützung für Bauern. „Wir werden dafür kämpfen.“ Mehrere hundert baltische und belgische Landwirte demonstrierten vor Beginn des Gipfels im Europa-Viertel für mehr Geld.

European Commission President Ursula von der Leye.  Charles Michel, Sebastian Kurz, Mark Rutte,  Mette Frederiksen und Stefan Lofven
AP/Virginia Mayo
Die Positionen beim Gezerre um das Siebenjahresbudget der EU sind denkbar weit auseinander

Vier Nettozahler pochen auf 1,0 Prozent

Michels Vorschlag sieht ein Gesamtvolumen von knapp 1.095 Milliarden Euro vor. Das wären 1,074 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Nettozahler Deutschland forderte bisher eine Begrenzung auf 1,0 Prozent, gilt aber in gewissen Grenzen als flexibel. Anders sieht das bei einer Vierergruppe weiterer Nettozahler aus, die gleichfalls mehr in das EU-Budget einzahlen als sie zurückbekommen. Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden bekräftigten, dass sie das Budget unbedingt auf 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen wollen.

Etliche Gipfelteilnehmer dämpften die Erwartungen. Die dänische Regierungschefin Frederiksen sagte: „Was auf dem Tisch liegt, ist so weit von der dänischen Position entfernt, dass ich vor dem Hintergrund keinen Kompromiss sehen kann.“ Man habe noch einen langen Weg vor sich, um zueinander zu finden. Der estnische Ministerpräsidenten Jüri Ratas sagte, der Gipfel könnte sich bis ins Wochenende ziehen. Davon ging auch Kurz aus. Macron sagte, er bleibe so lange wie nötig.

Parlament muss zustimmen

Selbst wenn sich die EU-Staaten einig werden, ist dann noch ein Kompromiss mit dem Europaparlament nötig. Präsident David Sassoli drohte erneut mit einer Blockade, wenn es zu einer „unambitionierten“ Einigung der Mitgliedsstaaten komme. Das Parlament fordert ein Budget, das 230 Milliarden Euro höher ausfällt als der Michel-Vorschlag.