Ein Kind zeichnet auf einem Fenster Figuren
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Wohnen und Klimaschutz

Soziale Fragen hinter der Energiewende

Österreichs Regierung aus ÖVP und Grünen hat offiziell den Weg in Richtung Klimaneutralität eingeschlagen. Auf diesem warten neben technologischen auch soziale Hürden – nicht zuletzt weil es um viel Geld geht. Doch die Energiewende birgt neben Herausforderungen auch Chancen, wie sich beispielhaft beim Thema Wohnen und Heizen zeigt.

Geht es nach den Regierungsplänen, kommt auf die heimischen Installationsbetriebe eine arbeitsreiche Zeit zu: Bis 2035 soll in Österreich keine Kohle- und keine Ölheizung mehr im Einsatz sein. Und fünf Jahre später dürfte nach den derzeitigen Plänen auch kein fossiles Gas mehr zum Heizen verwendet werden. Bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden. Und das schlägt sich neben Verkehr und Industrie eben auch beim Wohnen nieder.

In sehr vielen Fällen bedeutet die Absage an Kohle, Erdöl und Erdgas, dass ein neues Heizungssystem installiert wird. Und das kommt zumeist nicht billig. In einem Einfamilienhaus schlägt der Austausch der Zentralheizung schnell einmal mit fünfstelligen Euro-Summen zu Buche. Bisweilen noch schwieriger ist die Lage für Mieterinnen und Mieter. Sie haben gar nicht die Möglichkeit, auf eigene Faust ihre Heizungsanlage umzubauen. Dazu kommt: Gerade in Mehrfamilienhäusern ist die Umstellung auf klimaneutrale Heizsysteme in vielen Fällen nur dann sinnvoll, wenn das Gebäude zuerst entsprechend saniert wurde. Auch das kostet Geld, oftmals noch deutlich mehr als der Umbau des Heizsystems.

Über 200.000 von Energiearmut betroffen

Unweigerlich stellt sich die Frage, wer das wie bezahlen soll; mit umso größerer Dringlichkeit bei Menschen, die es sich ohnehin kaum oder gar nicht leisten können, ihre Wohnräume warm zu halten. Mehr als 200.000 Menschen – darunter fast 50.000 Kinder – sind von Energiearmut betroffen, wie Martin Schenk, stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich und Mitbegründer der Armutskonferenz, ausführt. Laut Statistik Austria fielen im Jahr 2016 rund 110.000 Haushalte in diese Kategorie.

Die Statistikbehörde definiert Energiearmut als Kombination von niedrigem Haushaltseinkommen mit überdurchschnittlich hohen Energiekosten. Dass sich die beiden Voraussetzungen relativ häufig verbinden, ist weniger verwunderlich, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Ärmere Menschen wohnen sehr oft in schlecht gedämmten Gebäuden. In vielen Fällen sind auch die Heizsysteme veraltet und damit ineffizient.

Fenster in einem Wiener Altbau
ORF.at/Zita Klimek
Alte Fenster und ungedämmte Fassaden lassen Heizkosten nach oben schnellen

Für Sandra Matzinger, Energieexpertin der Arbeiterkammer (AK) Wien, greift die alleinige Verbindung von Einkommen und Heizkosten aber zu kurz. Nicht jeder, der von Energiearmut betroffen sei, habe automatisch hohe Energiekosten. So gebe es etwa Menschen, die aufgrund ihrer prekären Situation kaum oder gar nicht heizten, sagt sie im Gespräch mit ORF.at. Matzinger spricht von „versteckter Energiearmut“. Und Schenk schrieb in einem Artikel aus dem Jahr 2018: „Niemand ist arm wegen der Heizkosten, die Gründe der Armutsproduktion liegen in der Wirtschafts-, Steuer-, Wohn-, Bildungs- und Beschäftigungspolitik.“

Maßnahmen „sozialverträglich gestaltet“

Neu sind die Problem- und Fragestellungen nicht. Auch in der aktuellen Regierung versichert man, sich der Herausforderungen bewusst zu sein. Energiearmut sei „ein wichtiger Teilaspekt von Armut und steht in engem Konnex mit unserem Ziel der Energie- und Klimawende“, heißt es etwa in einem Statement des Sozialministeriums gegenüber ORF.at.

Maßnahmen müssten „sozialverträglich gestaltet“ und „soziale Härtefälle berücksichtigt werden. Beim Ausstieg aus Öl- und Kohleheizungen werden wir zum Beispiel sozial gestaffelte Förderungen entwickeln“, so das Ministerium von Rudolf Anschober (Grüne).

Wie heizt Österreich?

Bisher fehlte laut AK-Expertin Matzinger aber eine wichtige Voraussetzung: zu wissen, „wer, wie und womit heizt“. Im Auftrag der AK Wien hat Vanessa Lechinger nun Antworten auf diese Fragen gesucht. Die Volkswirtin arbeitet am Forschungsinstitut Economics of Inequality (INEQ) der Wirtschaftsuniversität Wien. Für ihre Studie erhob sie zum einen, welche Arten von Heizsystemen in Österreich im Einsatz sind und mit welchen Energieträgern sie betrieben werden. Zum anderen ordnete sie die Heizungen Einkommensmerkmalen, der Wohnsituation, der Region und dem Alter des Gebäudes zu.

AK präsentiert Studie

Die Ergebnisse der Kurzstudie über die Verteilung der Heizsysteme in Österreich präsentierte die AK Wien im Zuge eines Klimadialogs Montagfrüh.

Als Datengrundlage nutzte die Ökonomin die jüngste Konsumerhebung der Statistik Austria. Die ist zwar bereits fast fünf Jahre alt, fragte aber passenderweise alle relevanten Punkte ab. Es sei durchaus verwunderlich, dass bisher niemand die Daten in dieser Hinsicht ausgewertet hat, sagt Lechinger im Gespräch mit ORF.at. Führt die Statistik Austria doch bereits seit Mitte der 1990er Jahre alle fünf Jahre eine entsprechende Befragung durch.

Öl auch in wohlhabenden Haushalten

Lechingers Untersuchung zeigt etwa, dass die wenigen – etwa 18.000 – noch verbliebenen Kohleheizungen vor allem in einkommensschwachen Haushalten genutzt werden. Ähnlich sieht es bei den 16.500 Haushalten aus, die gar keine fest installierte Heizung haben. Sie sind zum überwiegenden Teil in den niedrigsten Einkommensbereichen zu finden.

Keller mit einem Öl-Brennwertkessel und Rohren
ORF.at
Ölheizungen sind in Österreich gleichmäßig über alle Einkommensschichten verteilt

Die rund 600.000 Ölheizungen in Österreich verteilen sich hingegen relativ gleichmäßig über alle Einkommensschichten. Das gilt auch für die mehr als eine Mio. Haushalte, die mit Gas heizen. Allerdings: Gasheizungen kommen in etwa gleich oft in Wohnungen und Häusern zum Einsatz. Und auch das Verhältnis zwischen Miete und Eigentum ist recht ausgeglichen. Mit Öl wird hingegen vor allem im Eigentum – und hier in Einfamilienhäusern – geheizt. Und es sind überdurchschnittlich viele Pensionistenhaushalte, bei denen Heizöl für angenehme Temperaturen sorgt. Für Matzinger bestätigen die Ergebnisse der Studie jedenfalls, dass mit Blick auf die soziale Verträglichkeit eine „One-fits-all-Lösung sicher nicht“ ausreiche.

Heizkosten im Vergleich

Die Österreichische Energieagentur bietet online einen Heizkostenvergleich an. Mit diesem lassen sich die Ausgaben für die verschiedenen Heizsysteme vergleichen.

Heizungstausch senkt Energieverbrauch

Dabei kann die Dekarbonisierung für ärmere Haushalte durchaus eine Chance bieten. Allein der Tausch aller Ölheizungen in Österreich auf Holzheizungen oder Wärmepumpen würde den Heizenergieverbrauch dieser Haushalte um 30 Prozent reduzieren, rechnet der Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur Peter Traupmann vor. Die Heizkosten würden damit sogar um 40 Prozent sinken.

Auf Einsparungspotenziale verweist auch das Sozialministerium. Die von der Regierung geplanten Maßnahmen „schaffen auch Kosteneinsparungen für viele Privathaushalte. Damit reduzieren sie Energiearmut und kommen vielen armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Menschen zugute“, heißt es aus dem Ressort.

„Ohne Kompensation sehr schwierig“

Diese Ansicht teilen grundsätzlich auch Christina Friedl und Simon Moser vom Energieinstitut an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz. „Die fossile Dekarbonisierung ist ein Erfordernis, von dem langfristig auch die ärmeren Haushalte profitieren werden“, so die Expertin und der Experte für Energiewirtschaft gegenüber ORF.at. Sie geben aber zu bedenken, dass die Maßnahmen anfänglich Geld kosten werden und kurzfristig zu höheren Energiepreisen führen könnten. „Ohne das Setzen von konkreten Maßnahmen wie einer finanziellen Kompensation wird es also kurzfristig sehr schwierig werden“, so Friedl und Moser.

Ähnlich sieht das Matzinger. „Wenn man diesen Haushalten ermöglicht, thermische Sanierungen durchzuführen, effizientere Geräte zu nutzen, dann bringt ihnen das was. Das wird die Energiearmut massiv reduzieren“, sagt die AK-Expertin. Zugleich gibt sie zu bedenken: Würden die Kosten eins zu eins an die Mieterinnen und Mieter weitergegeben, sei klar, „was passieren wird. Die Leute werden sich die Miete nicht mehr leisten können und müssen dann erst recht raus aus den sanierten Wohnungen.“ Deshalb brauche es „unbedingt gesetzliche Regelungen für das Ganze“.

Seit Jahren fordert die AK etwa, dass Sanierungskosten nicht nur zehn Jahre lang über Mietaufschläge abgeschrieben werden können, sondern zumindest über 20 Jahre – wenn nicht gar über die gesamte Lebensdauer der Maßnahme. Ein anderes, bereits länger diskutiertes Modell erwähnt Energieagentur-Geschäftsführer Traupmann: Dass Mieterinnen und Mieter einen Teil ihrer Heizkostenersparnis an die Vermietenden weitergeben.

Ausbau der Energieberatung

Matzinger verweist auch auf die Forderung der AK nach einem „Heizungsfonds“. In diesen sollen Energieunternehmen einzahlen, wenn sie die im Energieeffizienzgesetz geforderten Effizienzmaßnahmen nicht erfüllen können. Das Geld soll dann verwendet werden, um einkommensschwache Haushalte beim Heizungsumstieg zu unterstützen. Darüber hinaus plädiert die AK für den Ausbau unabhängiger Energieberatungen.

Mehr Beratung und Information sehen auch Friedl und Moser als eine Maßnahme, mit der energiearme Haushalte unterstützt werden könnten. Und sie empfehlen – ähnlich wie auch die Arbeiterkammer –, die Zusammenarbeit mit sozialen Vereinen zu suchen. Denn diese hätten bereits Kontakt mit den betroffenen Personen.

87 Mio. pro Jahr für die ärmsten zehn Prozent

Zugleich sprechen sich die Expertin und der Experte dafür aus, erweiterte Wohnbau- und Sanierungsförderungen in bestimmten Fällen auch für Eigentümer zugänglich zu machen, wenn diese selbst gar nicht finanzschwach sind: dann nämlich, wenn ihre Mieterinnen und Mieter von Energiearmut betroffen sind und die Fördergelder in eine Sanierung des Gebäudes fließen. Das würde die Wohnsituation der Betroffenen verbessern und deren Mieten durch die Sanierung nicht zwingend erhöhen.

Auch hier stellt sich natürlich die Frage nach der Finanzierbarkeit. Förderungen müssten aus dem laufenden Budget bestritten werden, geben Friedl und Moser zu bedenken. Laut AK-Expertin Matzinger braucht es 87 Millionen pro Jahr, um den ärmsten zehn Prozent bis 2035 den Ausstieg aus Kohle und Erdöl zu ermöglichen. „Das ist keine kleine Zahl, aber damit könnte man wirklich viel verändern“, sagt Matzinger.

Mögliche Kompensation durch Steuerreform

Friedl und Moser verweisen zudem auf das am Energieinstitut von Sebastian Goers und Friedrich Schneider entwickelte Konzept einer „ökosozialen Steuerreform“. Begleitend zu einer CO2-Steuer und gleichzeitiger Senkung der Lohnnebenkosten sind darin auch Ausgleichszahlungen für Haushalte mit mittleren und niedrigen Einkommen vorgesehen. Wie andere ähnliche Modelle rechnet das Konzept damit, dass damit die unteren und mittleren Einkommen trotz CO2-Steuer entlastet würden. Auf Besserverdiener würden hingegen Mehrbelastungen zukommen.

Zugleich geht das Modell davon aus, dass durch höheren Konsum und mehr Investitionen der Staat jedes Jahr rund 300 Millionen Euro an zusätzlicher Mehrwertsteuer einnimmt. Dass das nicht sehr hoch gegriffen ist, macht ein Blick auf die anstehenden Austausche der heimischen Ölheizungen deutlich. Laut Energieagentur-Geschäftsführer Traupmann werden sich die Investitionen bis 2035 auf insgesamt 11,3 Milliarden Euro belaufen. Immerhin 1,9 Milliarden davon bleiben dem Finanzministerium als Umsatzsteuer. Das sind pro Jahr im Schnitt immerhin 125 Mio. Euro.

Eine „ökosoziale Steuerreform“ hat sich denn auch die Regierung auf die Fahnen geschrieben. Ab dieser Woche soll die dafür eingesetzte „Taskforce“ ihre Arbeit aufnehmen. Das Ziel laute, „Menschen entlasten und Umwelt schützen“, so die wiederholt vorgetragene Devise von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne). Welche Antworten die Reform auch auf soziale Fragen geben wird, wird sich freilich erst im Laufe des Jahres 2021 zeigen. So lange hat sich die Regierung für die Ausarbeitung Zeit gegeben.