EU-Kommissionspräsidentin Van der Leyen mit einer Arbeitsmappe in der Hand
AP/Ludovic Marin
EU-Budget

Einigung am seidenen Faden

Die Einigung auf das EU-Siebenjahresbudget auf dem EU-Gipfel am Freitag hängt am seidenen Faden. Die Riege der teilnehmenden EU-Staats- und -Regierungschefs schwankt zwischen der Zuversicht, einen Kompromiss zu finden, und dem Nachdenken über einen Sondergipfel im März.

Eine Forderung jagte am Freitag beim Gipfeltreffen in Brüssel die nächste. Und auch an Vorschlägen mangelte es nicht: Am frühen Abend kam das zweite Angebot von EU-Ratspräsident Charles Michel auf den Tisch: So soll die Ausgabenobergrenze bei 1,069 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU liegen. Das wäre eine geringfügige Kürzung gegenüber dem bisherigen Vorschlag von 1,074 Prozent.

Die Fronten zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern schienen sich zuvor zu verhärten. Daher war mehr als fraglich, ob es noch zu einer Einigung kommen würde. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten noch für Fortschritte gesorgt. Sie schlugen laut Diplomaten einen Ausgabenrahmen von 1,05 bis 1,06 Prozent der Wirtschaftsleistung vor.

Ungarn erhöht Forderung

Ungarn legte allerdings am Freitag bei seinen Forderungen nach – was eine Einigung nicht wahrscheinlicher machte. Ministerpräsident Viktor Orban forderte im Namen der 17 wichtigsten Empfängerländer von EU-Hilfen einen deutlich höheren Haushaltsrahmen als zuletzt diskutiert: 1,3 Prozent. Andere Beitragszahler, darunter Österreich, wollen dagegen nur ein Prozent einzahlen. Zwischen diesen beiden Prozentzahlen liegen mehr als 300 Milliarden Euro.

Österreichs Ziel sei es, „dass unser Beitrag nicht ins Unermessliche steigt“, sagte am Donnerstag Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) – sprich, dass sich die Überweisungen nach Brüssel auf ein Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen. „Wir hatten wie erwartet sehr intensive Verhandlungen heute den ganzen Tag über“, so die Bilanz von Kurz über den ersten Verhandlungstag.

Kurz sieht Bewegung

Durch den neuen Vorschlag von Macron und Merkel könnte es Fortschritte geben. „Mein Eindruck ist, dass es jetzt Bewegung in die richtige Richtung gibt“, so Kurz. „Wir sind hier, um eine Lösung zu finden. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das möglich ist.“ Nun erwarte er einen neuen Vorschlag. „Und hoffentlich führt das am Ende des Tages zu einer Lösung.“

Ein Budget von ein Prozent der Wirtschaftsleistung sei „nicht akzeptabel“, sagte hingegen Orban. „Ich glaube nicht, dass sie in einer Verhandlung heute Nachmittag überbrückt werden kann.“ Ein weiterer Gipfel werde „sehr wahrscheinlich“ nötig, so der ungarische Premier.

Babis kritisiert Nettozahler wie Österreich

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis kritisierte vor der Sitzung am Freitag neuerlich die Nettozahlergruppe, der auch Österreich angehört, hart. „Ich weiß nicht, warum wir überhaupt gekommen sind, wenn die Gruppe der Nettozahler sagt, sie will höchstens ein Prozent der Wirtschaftsleistung zahlen. Das ist ein Unterschied von 75 Mrd. Euro“, so Babis.

Gleichzeitig wollten Länder wie Österreich aber ihre „Rabatte behalten. Das bezahlen die anderen. Hier es geht um 14,5 Mrd. Euro.“ Babis sagte, dass man „hoffentlich heute heimfliegen“ könne, wenn sich die Nettozahler nicht einigten. Dass sich die Nettoempfänger bewegen müssten, stellte der Tscheche hingegen in Abrede. Wie es nun weitergehe, wisse er, Babis, nicht, sagte er auf die Frage, ob ein neuer Sondergipfel notwendig würde.

Macron fordert „ehrgeizige Einigung“

„Die meisten sind nicht sehr optimistisch, dass es diesmal zu einer Einigung kommt“, sagte Rumäniens Präsident Klaus Iohannis. Es werde wohl einen weiteren Gipfel brauchen. Wann dieser sein könnte, wisse er nicht. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin rief hingegen dazu auf, dass man „gemeinsam einen Kompromiss finden“ müsse. Eine Einigung noch am Freitag werde aber „sehr schwierig“. Der Brexit erleichtere die Sache nicht.

European Commission President Ursula von der Leye.  Charles Michel, Sebastian Kurz, Mark Rutte,  Mette Frederiksen und Stefan Lofven
AP/Virginia Mayo
Die Positionen im Gezerre um das Siebenjahresbudget der EU sind denkbar weit auseinander

Er wolle „eine ehrgeizige Einigung“, hatte Macron bereits am Donnerstag gesagt. Er forderte eine bessere Unterstützung für Bauern. „Wir werden dafür kämpfen.“ Mehrere hundert baltische und belgische Landwirte demonstrierten vor Beginn des Gipfels im Europaviertel für mehr Geld.

Streit über Loch in Budget durch Brexit

Auf dem EU-Gipfel zum nächsten Siebenjahresbudget wird verhandelt, wie das milliardengroße Loch im Budget nach dem Austritt Großbritanniens gestopft werden könnte.

Ein bereits in der vergangenen Woche vorgelegter Vorschlag von Michel für das Budget für die Jahre 2021 bis 2027 war bei vielen Mitgliedsstaaten auf Kritik gestoßen. Er sieht Kürzungen der Milliardenhilfen für Europas Bauern und Regionen vor, aber mehr Geld für Klimapolitik, Grenzschutz, Forscher und Studenten.

Vier Nettozahler pochen auf 1,0 Prozent

Michels Vorschlag sah ein Gesamtvolumen von knapp 1.095 Milliarden Euro vor. Das wären 1,074 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Eine Vierergruppe unter den Nettozahlern – sie werden die „frugalen vier“ genannt – will dabei allerdings nicht mitmachen. Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden bekräftigten, dass sie das Budget unbedingt auf 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen wollen.

Zwei Lager streiten über EU-Budget

ORF-Brüssel-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet von den EU-Budgetverhandlungen. Es gibt zwei Lager: Die einen wollen sparen, die anderen sprechen von Zusammenhalt.

Selbst wenn sich die EU-Staaten einig werden, ist noch ein Kompromiss mit dem Europaparlament nötig. Präsident David Sassoli drohte erneut mit einer Blockade, wenn es zu einer „unambitionierten“ Einigung der Mitgliedsstaaten komme. Das Parlament fordert ein Budget, das 230 Milliarden Euro höher ausfällt als der Michel-Vorschlag.