Polizisten am Tatort in Hanau
Reuters/Ralph Orlowski
Ermittler bestätigen

Hanau-Täter hatte Kontakt zu Behörden

Der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank hat am Freitag Medienberichte bestätigt, wonach seine Behörde schon im vergangenen November Kontakt mit dem mutmaßlichen rechtsextremen Attentäter von Hanau hatte. Konkret sei damals bei der Bundesanwaltschaft eine Anzeige des Mannes eingegangen. Am Freitag wurden unterdessen auch neue Details über den Tathergang bekannt.

Teile dieser Strafanzeige fänden sich auch in einem „Manifest“ auf der Homepage des Verdächtigen. Allerdings habe der Mann damals keine rassistischen oder rechtsextremistischen Ausführungen gemacht, sagte Frank. Seine Behörde habe kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der Generalbundesanwalt bekräftigte seine Aussage vom Vortag, der Verdächtige habe ein „zutiefst rassistisches Weltbild“ gehabt. Frank sagte, er habe die Zuständigkeit für den Fall übernommen, wie es immer der Fall sei, wenn Verfassungsgrundsätze und die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik bedroht seien.

Die bereits am Donnerstag von diversen Medien kolportierte Strafanzeige habe sich gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gerichtet. Konkret habe der mutmaßliche Hanau-Täter im Anzeigetext zum Ausdruck gebracht, dass es eine übergreifende große Organisation gebe, die vieles beherrsche, „sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern“, sagte Frank.

Deutsche Innenminister Horst Seehofer, Justizministerin Christine Lambrecht, BKA-Chef Holger Muench und Generalbundesanwalt Peter Frank
APA/AFP/Tobias Schwarz
Holger Muench (Bundeskriminalamt), Generalbundesanwalt Peter Frank, Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) informieren über den aktuellen Ermittlungsstand

Dutzende Zeugen angehört

Den Ermittlerangaben zufolge sei auch der Vater des mutmaßlichen Täters in der Vergangenheit in Kontakt mit Behörden aufgefallen, nämlich durch verschiedene Schreiben wie Beschwerden. Der Mann sei bei der „Wohnungsöffnung“ des mutmaßlichen Täters in der Nacht auf Donnerstag angetroffen worden. Er sei aber kein Beschuldigter des Ermittlungsverfahrens, sondern im Zeugenstatus.

Im Zuge der Ermittlungen durchleuchten die Ermittler nun Handy- und Computerdaten des mutmaßlichen Täters. Abgeklärt werde, mit wem im Inland und Ausland er Kontakt gehabt und wo er sich aufgehalten habe, sagte Frank. Heimischen Medienberichten zufolge habe der mutmaßliche Täter im vergangenen Jahr Mailkontakt mit einem Niederösterreicher gehabt. Der Österreicher sei dem mutmaßlichen Täter empfohlen worden, nachdem er sich selbst „in den Fängen einer Geheimorganisation“ gesehen hatte. Dieser habe dem Deutschen jedoch klargemacht habe, dass er ihm nicht helfen könne.

Mittlerweile seien 40 Zeugen angehört worden, um den genauen Tathergang abzuklären. Zudem würden die GPS-Daten des Autos des mutmaßlichen Täters ausgewertet. In der Wohnung des 43-Jährigen seien schriftliche Unterlagen und technische Gerätschaften sichergestellt worden, die in den kommenden Tagen und Wochen ausgewertet würden. Auch Finanzermittlungen seien angestoßen worden. „Das wird dauern“, sagte Frank, auch wenn Schnelligkeit gewünscht werde. „Hier gilt die Devise Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“

Noch keine Hinweise auf Mitwisser

Nach bisherigem Erkenntnisstand habe der 43-Jährige wohl mit niemandem über seine Pläne gesprochen, wie Frank weiter sagte. Noch gebe es keine Hinweise, wonach der Mann vor der Tat „mit anderen Personen geredet oder um Unterstützung gebeten hat“. Die Frage, ob sich der mutmaßliche Täter „in der realen Welt“ oder virtuell über das Internet über seine Pläne ausgetauscht bzw. Unterstützung bekommen habe, sei aber weiterhin zentraler Gegenstand der Ermittlungen.

Neue Details über Tathergang

Die Ermittler gehen davon aus, dass der mutmaßliche Todesschütze von Hanau psychisch krank war. Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, sprach am Freitag in Berlin auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich „schweren psychotischen Krankheit“.

Der 43 Jahre alte Deutsche hatte am Mittwoch im hessischen Hanau mehrere Lokale angesteuert und neun Menschen erschossen. Später wurde er ebenso wie seine 72-jährige Mutter tot in seiner Wohnung aufgefunden. Wie erst am Freitag bekannt wurde, soll der Mann während seiner Fahrt durch Hanau zwei Menschen auch in ihren Autos erschossen haben. Das sagten Behördenvertreter dpa-Informationen zufolge in einer Telefonkonferenz Mitgliedern des Innenausschusses des deutschen Bundestages.

Frank zufolge hatte der Mann Berechtigungskarten für zwei Waffen, die beide sichergestellt wurden. Geklärt werden müsse unter anderem, ob er mit diesen Waffen seine Opfer getötet habe und ob er selbst damit erschossen worden sei oder sich erschossen habe, sagte Frank. Unklar sei auch noch die Todesursache der Mutter des Verdächtigen.

„Eindeutig rassistisch motivierter Terroranschlag“

„Die Tat in Hanau ist eindeutig ein rassistisch motivierter Terroranschlag“ und damit der „dritte rechtsterroristische Anschlag“ in wenigen Monaten, sagte am Freitag Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU). Er sprach zudem von einer sehr hohen „Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus“ und kündigte eine deutschlandweite Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen an

„Wir werden sensible Einrichtungen verstärkt überwachen, insbesondere auch Moscheen“, so Seehofer, dem zufolge die Bundespolizei die Bundesländer mit Personal und Sachausstattung verstärkt unterstützten werde. „Und wir werden eine hohe Präsenz der Bundespolizei an Bahnhöfen, Flughäfen und im grenznahen Raum gewährleisten.“

Seehofer verwies auch auf Maßnahmen der Behörden in den vergangenen Tagen. „Wir haben in den letzten Tagen an mehreren Orten in Deutschland Durchsuchungen bei mutmaßlichen Rechtsextremisten durchgeführt, wo wir Sprengstoff und Handgranaten in großer Zahl sowie automatische Waffen sichergestellt haben.“ Damit seien weitere Anschläge verhindert worden.

Debatte über Waffenrecht

Diskutiert wird auch weiter über politische Konsequenzen nach der Bluttat. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte am Freitag an zu prüfen, ob die gerade erst verschärften Regeln im Waffenrecht auch konsequent umgesetzt werden. Laut diesen müssen die Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben. Sie wolle prüfen, ob das auch passiere, sagte die Ministerin in Berlin. Bei der Umsetzung des verschärften Waffenrechts müsse auch überprüft werden, ob die Behörden, die über die Zuverlässigkeit entscheiden, die nötigen Informationen bekommen.

Auch Seehofer plädiert für Änderungen beim Waffenrecht. Sollten die Ermittlungen im Fall Hanau einen Anhaltspunkt dafür ergeben, „dass wir früher hätten eingreifen müssen, was den Waffenschein betrifft, dann müssen wir das ändern“, wie der deutsche Innenminister dazu sagte.

Gegenüber der „Bild“-Zeitung brachte Seehofer in diesem Zusammenhang „ein medizinisches Gutachten oder eine ärztliche Bestätigung“ ins Gespräch. Es müsse gewährleistet sein, „dass da alles in Ordnung ist und die Verwirrung oder die Krankheit einer Person nicht zur Gefahr für die Allgemeinheit werden“.

Opfer „waren keine Fremden“

Der Oberbürgermeister der Stadt Hanau, Claus Kaminsky (SPD), wehrte sich indes gegen den Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ für das Motiv des mutmaßlichen Täters. „Diejenigen, die hier in Hanau ermordet wurden, waren keine Fremden. Sie waren Mitbürger“, sagte Kaminsky am Freitag. Viele Menschen in der Stadt hätten einen Migrationshintergrund. „Und das sind alles keine Fremden“, fügte er hinzu. Für ihn seien neben einem „psychopathischen Anteil“ Rassismus und Hass relevant für die Erklärung des Motivs.