EU-Gipfel in Brüssel
Reuters/Yves Herman
Neuer Anlauf nötig

Keine Einigung auf neues EU-Budget

Die Zahlen hinter dem Komma sind zu weit auseinandergelegen: Am Freitag gingen die Staats- und Regierungsspitzen der EU ohne gemeinsame Lösung für den Haushaltsrahmen der kommenden sieben Jahre auseinander. Nach mehr als 24 Stunden Verhandlungen waren zwar neue Vorschläge im Gespräch, sie brachten aber keinen Durchbruch.

Der Siebenjahresetat ist über eine Billion Euro schwer. Die Gräben zwischen den EU-Staaten schienen darüber in den letzten Verhandlungen tiefer geworden zu sein. Ein Kompromiss kam am Ende nicht zustande. Daher dürfte ein neuer Gipfel nötig werden. „Die letzten Wochen und die letzten Tage waren sehr arbeitsintensiv. Wir haben hart an einer Einigung gearbeitet. Leider haben wir heute aber feststellen müssen, dass eine Einigung nicht möglich war. Wir brauchen noch mehr Zeit“, sagte Michel am Abend in Brüssel.

Nach dem Brexit klaffe eine Lücke von rund 60 bis 75 Mrd. Euro im Budget, und die Gespräche seien schwierig. Jetzt werde geprüft, wie man weiter mit dem Thema umgehe, um eine Einigung im Rat zu erzielen, wo es Einstimmigkeit brauche.

„Wir haben jetzt 48 Stunden verhandelt, wir müssen weiterhin am Ball bleiben. Die Arbeit geht ungebrochen weiter“, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Es liege aber noch harte Arbeit vor den Verhandlern. Auch das Parlament müsse am Ende zustimmen. Die Zeit dränge, um alle Programme für das Jahr 2021 zu sichern.

Dynamik nur von kurzer Dauer

Michel war am Donnerstag mit einem Vorschlag von gut einer Billion Euro und einer Ausgabenobergrenze bei 1,074 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU in den Gipfel gegangen. Der Vorschlag hatte aber bereits im Vorfeld viel Kritik geerntet.

Analyse aus Brüssel

Der EU-Sondergipfel ist ohne Einigung zu Ende gegangen. ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet, wie nun eine Lösung gefunden werden kann.

Die ganze Nacht zum Freitag beriet Michel dann in Einzelgesprächen mit den 27 EU-Staaten. Dynamik entstand, als Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron zusammen mit den übrigen Nettozahlern eine gemeinsame Position absteckten. Sie schlugen laut Diplomaten einen Ausgabenrahmen von 1,05 bis 1,06 Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Michel ließ daraufhin neue Berechnungen zu einem Kompromisspaket anstellen. Der letzte Vorschlag lag bei 1,069 Prozent.

Die wichtigsten Nettozahler, darunter Österreich, wollten allerdings nicht mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung geben. Das Zugeständnis für sie steckte in anderen Zahlen: Die Rabattbeträge von 2020 für die fünf Nettozahlerländer Deutschland, Dänemark, Schweden, Österreich und die Niederlande sollen erhalten bleiben. Österreich bekäme 100 Millionen Euro zusätzlich.

Ungarn erhöhte Forderungen

Das zuletzt vorgeschlagene Volumen lag aber sehr deutlich unter den Forderungen der 17 wichtigsten Nettoempfänger von EU-Hilfen. Sie verlangten nach Angaben des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Unterschied zwischen 1,069 und 1,3 Prozent liegt bei mehr als 200 Milliarden Euro. Die Distanz sei sehr groß, sagte Orban. Ein weiterer Gipfel werde „sehr wahrscheinlich“ nötig, hatte er schon am Nachmittag gesagt.

Merkel sagte am Freitagabend, es sei noch unklar, wann ein neuer Lösungsversuch folge. Es habe sich gezeigt, dass die Differenzen der 27 EU-Staaten zu groß seien, um jetzt noch weiterzuverhandeln. „Wir werden also auf das Thema zurückkommen müssen.“ Über den Zeitpunkt werde der EU-Ratspräsident entscheiden.

Kurz will weiter koordinieren

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, er wolle nun weiter mit den Nettozahlern koordinieren. „Wir werden weiter als die ‚sparsamen vier‘ uns gut koordinieren und versuchen, dass es schon beim nächsten Gipfel einen Durchbruch gibt“, sagte Kurz am Freitagabend in Brüssel. Zu den „sparsamen vier“ („frugal four“) zählen neben Österreich auch Schweden, die Niederlande und Dänemark.

Charles Michel und Ursula von der Leyen
AP/Virginia Mayo
Von der Leyen und Michel: „Brauchen mehr Zeit“

In der Diskussion seien die Unterschiede der EU-Staaten „nach wie vor sehr groß“ gewesen, „insofern wird es mehr Zeit brauchen, sich zu einigen“, sagte Kurz. Es wäre natürlich schöner gewesen, wenn es bei diesem Gipfel schon eine Einigung gegeben hätte. Es brauche nunmehr einen weiteren Gipfel. „Das ist auch nichts Ungewöhnliches“, so Kurz. „In der Vergangenheit war es eigentlich immer so, dass es zwei oder drei Sitzungen gebraucht hat, um ein Ergebnis zu erzielen.“ Kurz sah „Bewegung in die richtige Richtung“.

SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder zeigte sich vom Scheitern des Sondergipfels wenig überrascht: „Die letzten Stunden waren eine reine Zeitverschwendung auf Kosten der EuropäerInnen“, sagte er. „Wer stur an 1,0 Prozent festhält, wie die ‚geizigen vier‘ rund um Bundeskanzler Kurz, hat auch kein Interesse an einem zukunftsfähigen EU-Budget.“

Italien will nun neuen Vorschlag erarbeiten

EU-Parlamentspräsident Davis Sassoli äußerte sich „enttäuscht“ vom Scheitern des EU-Sondergipfels zum Mehrjahresbudget 2021-2027. „Ich hoffe, dass die bevorstehenden Verhandlungen in eine bessere Richtung gehen werden, als wir in den vergangenen Stunden gesehen haben. Unsere Union und unsere Bürger verdienen es“, sagte Sassoli am Freitagabend laut Aussendung.

Italien will nun zusammen mit Rumänien und Portugal einen neuen Vorschlag entwerfen. „Wir wollen einen Vorschlag vorlegen, der einem ehrgeizigerem Projekt für das EU-Budget entspricht“, sagte Italiens Premier Conte bei einer Pressekonferenz. „Wollen wir ein ambitioniertes Europa, dann brauchen wir dementsprechende finanzielle Mittel.“ Italien sei in seiner Linie nicht isoliert. „Die große Mehrheit der EU ist für ein ehrgeiziges Europa“, sagte Conte.