Milchflasche in einer Wiese
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Glasrevival

Milchverpackung im Wandel des Zeitgeists

Milchkanne, Glasflasche sowie Plastikschlauch, -flasche und -becher und Verbundverpackungen aus Karton – Milch wurde und wird in vielen unterschiedlichen Verpackungsformen angeboten. Jede spiegelt dabei den herrschenden Zeitgeist wider: Drang zu mehr Convenience, Plastikboom und Ökologisierung – mit einigem Auf und Ab.

Die zuletzt sehr intensive Debatte über die wiederbefüllbare Milchflasche aus Glas wird bei Menschen etwas fortgeschrittenen Alters womöglich Deja-vus hervorrufen, denn es ist nicht die erste ihrer Art. Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre wurde zuletzt mindestens ebenso heftig über Sinn und Unsinn von wiederbefüllbaren Glasflaschen vs. Verbundverpackungen für Milch debattiert wie heute.

Es habe „heilige Kriege“ gegeben um das Thema, so Johann Költringer, Chef der Vereinigung der Österreichischen Milchverarbeiter (VÖM), gegenüber ORF.at. Auch damals war Müllvermeidung großes Thema, Erwin Pröll, als Umweltlandesrat in Niederösterreich, engagierte sich besonders intensiv und propagierte die wiederbefüllbare Glasflasche gar als „Flaggschiff der Abfallvermeidung“ – allerdings vergeblich.

Schulmich in Deutschland 1994
APA/dpa/Achim Scheidemann
Heißes Thema in der heimischen Milchflaschendebatte war in den 90er Jahren auch die Schulmilch

Am Ende setzte sich die Verbundverpackung aus Karton und Plastik durch. Die Glasflasche geriet zum absoluten Nischenprodukt und war jahrzehntelang vor allem im hochpreisigen Biosegment und bei lokalen Anbietern im ländlichen Raum in Gebrauch. Anfang 2018 wurden laut AMA 72.236 Tonnen Milch in Kartonverpackungen verkauft, nur rund 40 Tonnen in Glasflaschen, weitere 1.810 in Plastikflaschen.

Höherer Preis kein Hindernis mehr

Konsumentenschützer sahen Mitte der 90er Jahre die Preisdifferenz zwischen Flaschenmilch und Packerlmilch als Grund für den Erfolg der Verbundverpackungen: 1994 etwa kostete ein Liter Frischmilch im Packerl 9,90 bis 11,80 Schilling, in der Glasflasche zwischen 11,80 und 12,90 Schilling, zuzüglich drei Schilling Pfand. Heute scheint der ebenfalls höhere Preis nicht mehr so stark abzuschrecken: Der Verkauf von Milch in – zunächst nicht wiederbefüllbaren – Glasflaschen stieg seit der breitflächigen Neueinführung 2018 sprunghaft an und verzehnfachte sich auf zuletzt über 4.000 Tonnen.

Milchflaschen
ORF
Der Transport und die Lagerung der Milchflasche, die früher auch nicht komplett dicht war, ist schwieriger als bei Packerln

Der Erfolg der Milch in Glasflaschen hat selbst Anbieter Berglandmilch überrascht, der nun Milch für die großen Handelsketten REWE und Spar sowie die eigenen Marken Tirol Milch und Schärdinger in wiederverwendbare Glasflaschen mit Pfandabgabe füllt. Wichtig sei immer, „dass der Konsument mitzieht“, sagt Költringer, und dabei müsse man auch bedenken, was dem Konsumenten und der Konsumentin zumutbar sei und was man vielleicht erklären müsse. In dem Fall etwa die Flaschen sammeln und ins Geschäft zurückbringen.

Öffnen eines Milchpackerls

Das Öffnen eines Milchpackerls ohne Drehverschluss war nicht immer ganz einfach, wie in dem Video aus dem ORF-Archiv zu sehen ist.

Zu den notwendigen Erklärungen zählt mitunter auch, wie Verpackungen geöffnet werden, wie ein Ausschnitt einer ORF-Sendung aus dem Jahr 1989 zeigt (das lachende Publikum im Hintergrund ist aus einer anderen Sendung, bei der das Video gezeigt wurde).

Verbundverpackungen als Zeichen der Zeit

Die Einführung der Verbundverpackung aus Karton und Plastik Mitte der 50er Jahre in Österreich galt als Errungenschaft der damaligen Zeit. Vermeidung von Müll aus Konsumgütern war so kurz nach dem Krieg kein Thema, Plastik in allen Varianten ein sehr beliebter Werkstoff, und die Vorteile des geringeren Gewichts und der Unzerbrechlichkeit der Kartonverpackungen in Zeiten, wo noch meist zu Fuß eingekauft wurde, bestechend.

Einkaufskorb gefüllt mit Milchpackungen
APA/Roland Schlager
Das Milchpackerl hat in Österreich schon einige Umgestaltungen erlebt

Zudem ist das Volumen geringer, und in der späteren rechteckigen Form – erste Modelle waren in Form von Tetraedern – sind Verbundkartons leicht stapelbar, was auch der Wirtschaft und der Logistik zugutekam. Argumentiert wurde auch mit der Lichtundurchlässigkeit der Kartonverpackungen. Andere Verpackungen wie der Milchschlauch setzten sich in Österreich nicht durch, waren und sind in anderen Ländern aber noch durchaus im Einsatz.

Umweltschutz fachte Debatte an

Mit dem in den 80er Jahren erstarkenden Umweltschutzgedanken wurde allerdings auch die Kritik am Wegwerfprodukt Getränkekarton lauter. Immer wieder werden Studien vorgelegt, die die Vorzüge und Unbedenklichkeit der jeweiligen Verpackungsgattung hervorstreichen. Verfechter der wiederbefüllbaren Milchflasche führen an, dass mit ausreichend vielen Nutzungszyklen mit einer Flasche viel Müll gespart werden kann. Dafür sind sie schwerer und unhandlicher im Transport, und die Reinigung verbraucht Wasser und Reinigungsmittel.

Milchpakete in Deutschland 2003
APA/dpa/Bernd Thissen
Milchsackerln oder -schläuche haben sich in Österreich nicht durchgesetzt

Verfechter der Verpackungskartons führen ins Feld, dass die verschiedenen Materialien, wenn auch mit einem gewissen Aufwand, recycelt werden können – vorausgesetzt, sie landen nicht im Restmüll. Gegner halten dem entgegen, dass etwa Papier, aus dem Verbundkartons zu 80 Prozent bestehen, nicht ewig recycelt werden kann, weil im Laufe des Prozesses die Papierfasern kürzer werden – es werde also immer wieder neues Papier aus dem Rohstoff Holz benötigt.

Plastik im Zentrum der Kritik

Zuletzt kam noch ein weiterer Aspekt in der öffentlichen Debatte dazu: die Vermeidung von Plastik aus gesundheitlichen Gründen. Gerade in der klassischen Ökobilanz werde der gesundheitliche Aspekt nicht ausreichend beachtet, sagt etwa Christian Pladerer vom Ökologie Institut. Diese sei damit nicht ausreichend für die umfassende Bewertung der Glasflasche. Auch das Littering, also der erzeugte Müll, werde in der Ökobilanz nicht abgebildet.

Milchwerbung; Milchautomat
ÖMIG; Carina Juliette Wallner
In den 60ern wurden Milchpackerln intensiv beworben

Der Verbundkarton habe schon auch Vorteile, so Pladerer, etwa bei Lagerung und Transport, aber darin komme die Milch immer mit Plastik in Berührung. Glasflaschen mit optimierten Verschlusskappen seien die beste Lösung. Er sieht das aktuelle Revival der Milchglasflasche zudem als Erfolg der entsprechenden Nachfrage durch die Konsumenten und Konsumentinnen: „Vor einem Jahr hab ich auch nicht geglaubt, dass wir jemals wieder über Milchflaschen reden.“

Plastik kann auch schützen

Kunststoff werde zu Unrecht als schlecht dargestellt und wahrgenommen, meint hingegen Verpackungsexperte Michael Washüttl vom Österreichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI). Gerade im Lebensmittelbereich könne Plastik etwa für die Haltbarkeit und den Produktschutz positiv eingesetzt werden. Plastik unterliege zudem strengen EU-Regelungen, um die Qualität und Sicherheit für Konsumenten und Konsumentinnen zu gewährleisten. Es gebe aber sicherlich Möglichkeiten, den Einsatz von Plastik zu reduzieren.

Milchflaschen in einem Geschäft in Wien
APA/Hans Klaus Techt
Die wiederbefüllbare Milchflasche für den breitflächigen Verkauf in den großen Supermarktketten wurde in den 90er Jahren eingestellt

Ob nun die Milchflasche oder das Milchpackerl die ökologisch beste Variante ist, konnte auch Washüttl nicht direkt beantworten. Das Thema sei sehr komplex, man müsse etwa auch Distributionswege einbeziehen, also ob ein Produkt lokal vertrieben oder über größere Strecken transportiert wird, ob es frisch ist oder länger haltbar, und so weiter. Es könne nämlich mitunter sinnvoll sein, ein Verpackungsmaterial mit schlechterer Ökobilanz zu nehmen, wenn es das Lebensmittel besser schützt und so Lebensmittelmüll vermieden wird. Der Umweltnutzen durch vermiedene Abfälle sei oft fünf- bis zehnmal höher als der Umweltaufwand für die Verpackung.

Transport wichtig für Gesamtbilanz

Das Thema Transport ist auch bei der wiederbefüllbaren Milchflasche wichtig, da sie schließlich zurück zur Abfüllanlage gebracht werden muss. Man habe den Standort für die neue acht Mio. Euro teure Abfüllanlage in Aschbach (Niederösterreich) gezielt so ausgesucht, dass Kunden von Salzburg bis Wien innerhalb eines Umkreises von 250 Kilometern liegen würde, so eine Sprecherin von Berglandmilch gegenüber ORF.at. Für den Westen werde in Wörgl abgefüllt.

Milchkannen
ORF
Milchkannen waren einst das einzige Transportmittel für Milch, auch für Konsumenten

Die leeren Flaschen werden in den Zentrallagern der Handelsketten gesammelt und mit Lkws, die sonst leer fahren würden, zur Abfüllanlage transportiert. 15 Zyklen will Berglandmilch mit einer Glasflasche schaffen, wichtig sei, dass die Flasche standardisiert wurde und für mehrere Anbieter eingesetzt wird. Auch andere Produkte sollen demnächst in Mehrwegflaschen abgefüllt werden.

Gelingt das Revival?

Über den möglichen Erfolg der Glasflasche gibt es geteilte Meinung. Einen gewissen Anteil werde die Verbundverpackung immer haben, meint Pladerer vom Ökologie Institut, er ist aber überzeugt, dass sich die Milchflasche durchsetzen wird. Költringer ist skeptischer, er glaubt, dass die Packerlmilch führend bleibt – auch wenn die Politik sich verpflichtet hat, Mehrwegsysteme auszubauen und Einweggebinde zu reduzieren.

Dass der Vorgänger der Glasflasche, die Milchkanne, abseits romantisierter Dekoeinsätze, ein durchschlagendes Revival erlebt, ist allerdings unwahrscheinlich. Selbst bei den, früher als eiserne Kuh bezeichneten, meist im ländlichen Raum angebotenen Automaten für die eigene Milchabfüllung sind meist Flaschen im Einsatz. Zumindest dort wird sich auch die Packerlmilch wohl nicht durchsetzen können.