Nach dem 9. April und dem 17. September 2019 ist es der dritte Versuch, die Grundlage für eine Regierungsmehrheit zu schaffen. In Israel passierte, was auch in den USA seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten zu beobachten ist: Das Land ist in zwei unversöhnliche Lager gespalten – für und gegen Netanjahu.
Die Inhalte sind nicht nur in der Wahrnehmung im Ausland weitgehend in den Hintergrund gerückt – etwa der Umgang mit dem US-Nahost-Plan. Fast alles spitzt sich auf das Match Netanjahu ja oder nein zu. Soweit man von Zuspitzung sprechen kann: Es gab wohl kaum je einen israelischen Wahlkampf, der lethargischer abgehandelt wurde. Der Dauerwahlkampf hat bei Bevölkerung und Politik deutliche Spuren hinterlassen.
„Bibi“ klammert sich an Amt fest
Nach jahrelangen Ermittlungen ist Netanjahu seit Jahresende wegen Korruption in drei Fällen angeklagt. In zwei Wochen wird am zuständigen Bezirksgericht die Anklage verlesen. Mit einer Mischung aus Popularität, Taktik und politischer Skrupellosigkeit hat es Netanjahu bisher geschafft, im Amt zu bleiben.

Tatsächlich schreibt das israelische Recht einen Rücktritt im Fall einer Anklageerhebung zwingend nur für Fachminister vor, nicht aber für den Regierungschef. Rufe, aus Gründen der demokratiepolitischen Hygiene zurückzutreten, wies „King Bibi“, wie Fans Netanjahu bewundernd nennen, stets zurück.
Israels Gesellschaft ist politisch nach fast elf Jahren, in denen Netanjahu durchgehend Regierungschef war, so gespalten wie nie zuvor. Und das, obwohl – durchaus auch parallel zu vielen westlichen Demokratien – die Gesellschaft insgesamt in der Zeit deutlich nach rechts rutschte.
Heftige Attacken auf Justiz
Wirklich vergiftet haben die innenpolitischen Verhältnisse aber die Korruptionsermittlungen. Dabei gab es auch manche Panne. Besonders ins Gewicht fällt aber, dass Netanjahu jahrelang permanent alles unternahm, um die Ermittlungen zu behindern und deren Legitimität zu untergraben: Polizei, Staatsanwaltschaft und kritische Medien erklärte Netanjahu in einem populistischen Rundumschlag immer wieder zu Feinden.
Vom Parlament wollte sich Netanjahu, der seit fast einem Jahr mit einer Übergangsregierung regiert, die Immunität vor Strafverfolgung zusichern lassen. Der Schachzug wurde von den politischen Gegnern schließlich durchkreuzt. Für Netanjahu geht es bei diesem Wahlgang jedenfalls um alles.

Klare Lagerbildung
Die parteipolitische Landschaft ist in Israel so klar sortiert wie selten zuvor: Alle religiösen Parteien, die sich früher strategisch stets so positionierten, dass sie das Zünglein an der Waage jeder Koalition waren, sind fix ins Lager von Netanjahu und der von ihm geführten rechtskonservativen Likud-Partei gewechselt. Dem steht der Mitte-links-Block Kachol-Lavan (Dt.: „Blau-Weiß“) gegenüber. Er wird angeführt vom früheren Armeechef Benjamin „Benni“ Ganz und seiner vor einem Jahr gegründeten Bewegung Chosen LeJisrael (Dt.: „Widerstandskraft für Israel“).
Zu diesem Lager zählen zudem die Arbeitspartei, jahrzehntelang die wichtigste Partei des Landes. Sie ist mittlerweile zu einer Kleinpartei geschrumpft. Sie hat sich für diese Wahl mit zwei anderen Parteien, darunter der grünen Linkspartei Merez, zu einer Liste zusammengeschlossen, um ein mögliches Rausfliegen aus der Knesset zu verhindern. Likud und Kachol-Lavan lagen bei den Umfragen ziemlich gleichauf. Bei den beiden Blöcken hatte zuletzt das Rechtsbündnis leicht die Nase vorne.
Nur ein Zünglein an der Waage
Das Zünglein an der Waage ist Israel Beitenu (Dt.: „Unser Haus Israel“) von Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Jahrelang ein enger Verbündeter Netanjahus, verbindet die beiden mittlerweile eine tiefe Abneigung. Lieberman kündigte wenige Tage vor der Wahl an, die nächste Regierung werde jedenfalls ohne Netanjahu gebildet.
Drittstärkste Fraktion in der Knesset dürfte Umfragen zufolge die Vereinigte Liste der arabischen Parteien werden. Arabische Israelis machen etwa ein Fünftel der Bevölkerung aus, werden aber gesellschaftlich und politisch an den Rand gedrängt. Sie waren bisher nie Teil einer Regierung. Netanjahu lehnt eine Zusammenarbeit mit der arabischen Liste strikt ab. Ganz verhandelte im Herbst mit der Vereinigten Liste, es kam aber zu keiner Einigung.
Die Liste könnnte diesmal noch weiter zulegen. Ohne sie kann Ganz keine Mehrheit gegen Netanjahu bilden. Bleibt abzuwarten, ob Ganz es wagt, das innenpolitische Tabu zu brechen und eine Kooperation mit den zusehends gewichtigeren arabischen Parteien einzugehen. Ganz’ Problem: Lieberman, ein logischer Partner von Ganz, hat eine Zusammenarbeit mit der Vereinigten Liste ausgeschlossen.
Drei Optionen und der Loop
Wie es nach der Wahl weitergehen könnte, ist unklar. Im Wesentlichen gibt es drei Szenarien: Netanjahu gewinnt mit seinem rechtsreligiösen Block 61 Mandate – die nötige Mehrheit in der Knesset (120 Abgeordnete). In Umfragen zeichnete sich das allerdings nie ab.
Die zweite Variante ist eine von Ganz und seinem Mitte-links-Block geführte Regierung. Weil Lieberman eine Zusammenarbeit mit der Arabischen Liste ablehnt, müssten Ganz und sein Mitte-links-Block stark dazugewinnen. Das ließ sich in den Umfragen aber noch weniger ablesen.
Dritte Möglichkeit ist eine Große Koalition. Anders als vor der zweiten Wahl im Herbst sprach diesmal aber praktisch niemand über dieses Szenario. Entsprechende Sondierungen nach der Wahl im Herbst waren frühzeitig gescheitert. Ganz wie Lieberman schlossen freilich nur eine Zusammenarbeit mit Netanjahu, nicht aber mit dem Likud aus. Ohne Netanjahu stünde einer Großen Koalition wenig im Weg. Eine parteiinterne Revolte gegen Netanjahu ist kurzfristig aber unwahrscheinlich – insbesondere dann, wenn Netanjahu sich zum Sieger erklären kann.
Geht sich keine der drei Varianten aus, blieben die Israelis im „Loop“ gefangen, wie es die öffentlich-rechtliche Medienanstalt Kan zuletzt ausdrückte – sprich: eine weitere Wahl. Diese Option habe bereits so viel von ihrer „psychologischen Abschreckungskraft“ verloren, dass sie mittlerweile als „legitime Option“ gelte.