Polizeiabsperrband
Reuters/Lisi Niesner
Coronavirus

Die Gründe für das rigorose Vorgehen

Das neuartige Coronavirus hat Österreich erreicht. Um dessen Ausbreitung einzudämmen, werden weitreichende Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Unter anderem können Personen, die unter Verdacht stehen, sich infiziert zu haben, tagelang unter Quarantäne gestellt werden. Virologe Christoph Steininger von der MedUni Wien erklärt gegenüber ORF.at, warum das Vorgehen gerechtfertigt ist.

Der Umgang mit dem Virus hat zuletzt für Aufsehen gesorgt: An der Brenner-Grenze wurde ein Zug angehalten. In Wien wurde eine Schule gesperrt, weil der Verdacht bestand, eine Lehrerin habe sich mit dem Virus infiziert. Zuvor wurden in Innsbruck ein Hotel und in Bad Kleinkirchheim in Kärnten vorübergehend eine Ferienanlage gesperrt, ebenso um Tests durchzuführen – möglich ist das aufgrund des Epidemiegesetzes. Für die Umsetzung der darin festgelegten Maßnahmen sind in erster Linie die Bezirksverwaltungsbehörden zuständig.

„Dort wo Unklarheit besteht, ist es besser, konsequent zu handeln“, so Steininger gegenüber ORF.at. Auch im Fall der kurzzeitig gesperrten Wiener Schule sei das sinnvoll gewesen – unter anderem, weil die Testergebnisse in der Regel ohnehin binnen weniger Stunden vorliegen würden. Die große Vorsicht im Umgang mit dem Virus sei Steininger zufolge notwendig, um dessen Etablierung in der Bevölkerung – wie das etwa bei der Grippe der Fall ist – zu verhindern.

„Müssen Kirche im Dorf lassen“

„Das Problem ist, dass man nicht weiß, wie sich das Virus weiterentwickelt“, so der Virologe. Ob sich das Virus etablieren wird, lässt sich ihm zufolge noch nicht abschätzen. Ebenso unklar ist, ob es, sollte sich das Virus etablieren, ähnlich wie die Grippe immer in den Wintermonaten den Höhepunkt erreicht. „Wir wissen derzeit nicht, ob es bei wärmeren Temperaturen milder wird“, so der Experte.

Zudem bestehe die Gefahr, dass das Coronavirus mutiert, sie habe sich aber bisher nicht bewahrheitet. Aber: „Man muss die Kirche schon im Dorf lassen“, so Steininger: „In acht Wochen haben wir drei bestätigte Fälle in Österreich, im gleichen Zeitraum haben wir aber Hunderttausende Grippekranke gehabt.“

Laut der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) geht man derzeit von einer Sterblichkeit von bis zu drei Prozent aus. Zieht man von der Sterberate allerdings die Zahlen der besonders betroffenen Provinz Hubei ab, liegt sie deutlich unter einem Prozent – mehr dazu in science.ORF.at. Bei der Grippe liegt sie ebenfalls unter einem Prozent. Wie bei der Grippe sind beim neuen Coronavirus besonders ältere Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen einem höheren Risiko ausgesetzt, dass die Infektion einen tödlichen Verlauf nimmt.

Infektionskette wesentlich

Generell gilt: Wer die Symptome einer Infektion aufweist – also Fieber, Husten, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden –, muss die Gesundheitsbehörden oder die Rettung telefonisch – am besten unter der Gesundheitshotline 1450 – informieren. Zudem gilt es zu beachten, ob sich die Person in einer Region, wo Coronavirus-Fälle vorliegen, aufgehalten hat. Verdachtsfälle werden im Krankenhaus isoliert und geprüft. Ob eine Infektion vorliegt, wird mit Tests aus Rachen- und Nasenabstrich festgestellt.

Karte von Italien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Bestätigt sich der Verdacht – ein positiver Test wird mit einer weiteren Probenabnahme bestätigt –, müsse man von Anfang an jeden möglichen Kontakt einer infizierten Person mit anderen Menschen identifizieren, so Steininger. Notwendig ist das, „damit es nicht passiert, dass eine Person durch das Netz schlüpft und es zu einem viel größeren Ausbruch der Krankheit (genannt Covid-19, Anm.) kommt“.

Zudem ist es wesentlich, die Quelle der Infektion ausfindig zu machen, weil dadurch die Infektionskette nachvollziehbar gemacht werden kann. Ist unklar, woher das Virus kommt, so ist auch unklar, woher weitere Infektionen mit dem Virus stammen. „Sämtliche Maßnahmen haben das Ziel, dass möglichst wenige Menschen in Österreich von dem Krankheitserreger infiziert werden“, heißt es diesbezüglich auf der Seite des Gesundheitsministeriums.

Das Problem mit der Inkubationszeit

Das Problem bei einer Infektion mit dem Coronavirus ist Steininger zufolge außerdem, dass eine Person schon Tage vor Krankheitsausbruch infektiös sein kann. Immerhin wird die Inkubationszeit – also die Zeitspanne zwischen Ansteckung und sichtbarem Ausbruch einer Krankheit – beim Coronavirus mit bis zu 14 Tagen angegeben. Zum Vergleich: Bei der echten Grippe (Influenza) liegt diese bei nur einem Tag.

Welche Maßnahmen ergriffen werden, entscheidet aber schließlich die Politik auf Basis der medizinischen Einschätzungen. Es gehört zu den ureigensten Aufgaben des Staates, seine Bürgerinnen und Bürger vor Bedrohungen zu schützen. Die schwierige Frage, die sich dabei stellt, ist freilich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Relation zur Bedrohung. Keine Regierung kann es sich politisch leisten, die Gefahr zu ignorieren – und das nicht nur dort, wo man Gefahr laufen würde, die nächste Wahl zu verlieren. Am Beispiel China zeigt sich, dass selbst mehr oder weniger autokratische Regierungen handeln müssen, weil im Extremfall ihre Legitimität infrage gestellt würde.