Wahlplakate in der Slowakei
Reuters/David W Cerny
Slowakei-Wahl

Die Stunde der politischen Sonderlinge

Die politische Landschaft der Slowakei dürfte sich im Zuge der Parlamentswahl am Samstag entscheidend verändern. Den etablierten Parteien droht eine Abfuhr, Populisten und Rechtsextremisten können mit großen Zugewinnen rechnen. Für die Regierbarkeit des Landes verheißt das nichts Gutes.

Eineinhalb Jahrzehnte lang war die Smer dominierende politische Kraft in der Slowakei. Viermal hintereinander errangen die Sozialdemokraten von Robert Fico bei Parlamentswahlen einen klaren Wahlsieg, dreimal war der Parteigründer auch Ministerpräsident seines Landes.

Die Wende kam vor zwei Jahren: Am 12. Februar 2018 wurden der Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova erschossen. Der Investigativreporter hatte sich in seinen Recherchen auf Korruption, Klientelismus, auf Verflechtungen zwischen Oligarchen und der Spitzenpolitik spezialisiert. Als vermutlicher Auftraggeber wird sich der Millionär Marian Kocner vor Gericht verantworten müssen: Er soll über Jahrzehnte Entscheidungsträger aus Politik, Polizei und Justiz bestochen und erpresst haben.

Andacht zur Ermordung von Ján Kuciak
Reuters/David W Cerny
Auch zwei Jahre nach seinem Tod gedachten Tausende Slowaken und Slowakinnen des ermordeten Jan Kuciak

Die Enthüllungen über die grassierende Korruption in dem Land führten zu den größten Protesten seit dem Ende des Ostblocks in der Slowakei: In Bratislava und anderen Städten demonstrierten Zehntausende und forderten unter anderem Ficos Rücktritt. Mitte März 2018 beugte sich der Regierungschef dem Druck und legte, wie zuvor schon der Innenminister und der Polizeichef, sein Amt zurück. Die Smer hielt sich aber an der Macht, Ficos Parteikollege Peter Pellegrini wurde Premier.

Smer im Sinkflug

Doch diesmal scheint der Absturz programmiert: In letzten Umfragen kamen die Sozialdemokraten nur mehr auf 15,6 Prozent der Stimmen – beim letzten Urnengang 2016 erzielten sie noch 28,3 der abgegebenen Stimmen, vier Jahre zuvor gar 44,4 Prozent. Vor Smer lag den Prognosen zufolge die konservative Protestpartei Olano – das Kürzel steht für „Gewöhnliche Menschen und unabhängige Persönlichkeiten" -, die demnach 19,1 Prozent der Stimmen erreichen könnte.

Stimmenanteile der Parteien laut Umfragen – Balkengrafik
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: AKO/Focus

Ideologisch ist Olano kaum zuordenbar. Seit 2010 sitzen ihre Vertreter im Parlament, seit 2012 existiert die Partei auch formell. Gründer und Vorsitzender der Bewegung ist der erfolgreiche Unternehmer Igor Matovic, dessen Hauptziel der Sturz von Smer-Chef Fico ist und der sich als entschiedener Kämpfer gegen die Korruption im Land präsentiert.

Populist führt Umfragen an

Vor Kurzem schien es noch schlecht bestellt um Olano: Matovic‘ autoritärer Führungsstil und seine oft vulgären Auftritte sorgten parteiintern für Unruhe – im Sommer kam die Partei in Umfragen nur auf rund fünf Prozent. Im vergangenen Wahlkampf dürfte der 46-Jährige seinem Popularitätsanstieg zufolge dafür vieles richtig gemacht zu haben. Seine Videos von Protestaktionen fanden regen Anklang in den Sozialen Netzwerken, in TV-Duellen wirkte er meist authentischer als seine Mitbewerber. Die Aussicht, dass der Populist den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten könnte, beunruhigt das Establishment.

Marian Kotleba
Reuters/David W Cerny
Marian Kotleba verspricht, die Slowakei „für alle anständigen Bürger sicher zu halten“

International für mehr Bedenken sorgt der Aufschwung der rechtsextremen Partei Volkspartei – Unsere Slowakei (LSNS) unter Marian Kotleba – in den Umfragen rangierte sie zuletzt bei knapp zehn Prozent auf Rang drei. Der deutsche „Spiegel“ schrieb unlängst: „Der politische Treibstoff der LSNS ist der Hass auf die Eliten in Bratislava und Brüssel, Hass auch auf Roma, Migranten und Schwule. Die Truppe ist so radikal, dass sich verglichen mit ihr die Nationalkonservativen im Nachbarland Polen und der FIDESZ-Partei von Viktor Orban in Ungarn geradezu bürgerlich ausnehmen.“

Kaum verhohlene Rechtsextreme

Übertrieben dürfte das nicht sein: Einst organisierten Kotleba und seine Anhänger Fackelmärsche mit klar faschistischen Botschaften und trugen dabei schwarze Uniformen, die jenen der Hlinka-Garde ähnelten, einer paramilitärischen Truppe in der Slowakei, die sich im Zweiten Weltkrieg den Nazis andiente. Kotleba selbst beschrieb die Juden damals als "Teufel in Menschenhaut“, wie das auf Zentral- und Osteuropa spezialisierte Portal Kafkadesk berichtete.

Auf der Suche nach neuen Wählerschichten trägt Kotleba mittlerweile keine Uniform mehr, hält keine Märsche mehr ab und hat sich vom Feindbild Juden abgewandt. Nun schimpft er auf die asozialen „Zigeunerparasiten“ – die slowakische Roma-Gemeinde – und warnt vor einer drohenden „Invasion der Migranten“. Zwar gab es Versuche, die Gruppierung verbieten zu lassen, doch das Höchstgericht winkte ab: Die LSNS stelle keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie dar.

Dabei blieb es auch, als Kotleba Schecks an drei notleidende Familien in Banska Bystrica, jener Region, in der er früher Gouverneur war, überreichte. Die Schecks hatten einen Wert von jeweils 1.488 Euro – 1488 gilt als rechtsextremer Code. Die Zahl 14 steht für „vierzehn Wörter“, eine Umschreibung für einen verbreiteten Glaubenssatz weißer Neonazis und Rassisten, die 88 bezieht sich auf den achten Buchstaben im Alphabet und soll „Heil Hitler“ ausdrücken.

Robert Fico und Peter Pellegrini
Reuters/David W Cerny
Waren im Wahlkampf eher abgemeldet: Langzeit-Premier Fico (links) und sein Nachfolger Pellegrini

Regierungsbildung dürfte dauern

Experten warnen dennoch davor, die Popularität von Kotlebas Partei mit einem drastischen Rechtsruck in der Slowakei gleichzusetzen. Sie profitiere vielmehr von dem, letzlich auch durch den Kuciak-Mord, geschürten Misstrauen in die politische Klasse, gab die „Neue Zürcher Zeitung“ die Einschätzung des slowakischen Soziologen Michal Vasecka wieder. Kotlebas Wähler beschrieb Vasecka als jung, männlich, gebildet, berufstätig und internetaffin – was nicht unbedingt dem gängigen Bild eines Rechtsextremen entspricht. „Sie sehen sich als Dissidenten gegen ein System, das von mysteriösen ausländischen Kräften gelenkt wird“, sagte Vasecka.

„Dass dieses verschwörungstheoretische Gedankengut auf so viel Resonanz trifft (…), bedeutet auch, dass die etablierten liberalen Kräfte wenig Aussichten darauf haben, eine stabile Regierung zu bilden“, hieß es in der „NZZ“. Kafkadesk schwant Ähnliches: „Was auch immer passiert, die Wahl wird knapp werden und erst durch Vereinbarungen und Koalitionen danach gewonnen werden.“ Für eine Mehrheit ohne Kotleba würde es zumindest fünf Parteien bedürfen. Möglich schiene aber auch, dass die diskreditierte Regierung unter Smer wieder an die Macht kommt – mit stiller Billigung der Rechtsextremen.