Neben der Entwicklung zur Pandemie und einer möglichen Eindämmung besteht zudem die Möglichkeit, dass das Virus ähnlich wie die saisonale Grippe jährlich in Wellen wiederkehren könnte. Aktuell schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Risiko einer weltweiten Verbreitung der Lungenkrankheit als sehr hoch ein.
„Wir haben die aktuelle Risikobewertung auf sehr hoch von zuvor hoch angehoben“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus Ende letzter Woche in Genf. Es bestehe aber immer noch die Chance, die Ausbreitung des neuartigen Virus SARS-CoV-2 einzudämmen.
Entwicklung in Computersimulation berechnet
Voraussetzung dafür ist laut Wissenschaftlern, dass der Erreger den Gesundheitsbehörden nicht „davonläuft“. Entscheidender Faktor dabei ist das schnelle Erkennen einer Infektion ab Symptombeginn, haben jetzt Experten der London School of Hygiene in Computersimulationen berechnet.
„Die Isolierung von Fällen (Patienten, Anm.) und das Nachverfolgen der Personenkontakte wird benutzt, um Ausbrüche infektiöser Erkrankungen unter Kontrolle zu bringen, und wurde auch für Covid-19 durchgeführt. Ob diese Strategie aber die Krankheit wirklich unter Kontrolle bringt, hängt von den Charakteristika des Erregers und der Antwort (durch das Gesundheitssystem, Anm.) ab“, schrieben Joel Hellellwell und die Koautoren im Fachblatt „The Lancet“.
Basisreproduktionsrate ausschlaggebend
Die Experten haben mathematische Modelle für die Ausbreitung von SARS-CoV-2 entwickelt und unter den verschiedenen Parametern rund 1.000-mal durchgerechnet. Stehen am Anfang nur fünf Erkrankte und beträgt die Basisreproduktionsrate des Virus 1,5 (ein Infizierter steckt statistisch 1,5 Personen an) und erfolgt keine weitere Übertragung vor Auftreten von Krankheitssymptomen, kommt es kaum auf das Auffinden von Kontaktpersonen an, stellten die Fachleute fest.
Das ist aber bei SARS-CoV-2 nach derzeitigem Wissen nicht der Fall. Bei mehr anfänglichen Erkrankungsfällen und einer Basisreproduktionsrate von 2,5 bis 3,5 (bei Covid-19 wird ein Faktor von etwa zwei angenommen) sowie mehreren weiteren Infektionen bis zum Auftreten von Symptomen wird die Wahrscheinlichkeit, den Ausbruch binnen drei Monaten unter Kontrolle zu bringen, schon geringer.
Schnelle Identifikation wichtig
Je schneller Personen mit Coronavirus-Verdacht identifiziert werden, desto besser. „Die Zeitverzögerung zwischen Auftreten von Symptomen und der Quarantäne von Betroffenen hat eine große Bedeutung für die Kontrolle von Ausbrüchen. Kann man 80 Prozent der Kontaktpersonen auffinden, sinkt diese Wahrscheinlichkeit von 89 auf 31 Prozent, wenn dieser Zeitraum lang ist“, schrieben die Wissenschaftler.
Für eine Einschätzung, ob der Coronavirus möglicherweise künftig ein saisonales Phänomen werden könnte wie die Grippe, sei es noch zu früh. Laut Peter Hotez vom Baylor College of Medicine in Texas wisse man von anderen Viren aus der Corona-Familie, dass sie „in den Wintermonaten auf der Nordhalbkugel auftreten und dann wieder abflauen“. Möglicherweise träfe das auch auf SARS-CoV-2 zu, so Hotez in „The Lancet“.
Coronaviren neigen zu saisonalem Verlauf
Auch John Oxford, Virologe von der Queen Mary University betont, dass es derzeit noch Kaffeesudleserei wäre, vorherzusagen, welches Szenario am wahrscheinlichsten ist. Soweit man von Coronaviren bisher wisse, sei ein saisonales Auftreten aber nicht unwahrscheinlich, so Oxford gegenüber dem „Telegraph“.
Falls es so sei, würde man bald einen Rückgang der Neuinfektionen verzeichnen. In Kombination mit der weltweiten Anstrengung, Überträgerinnen und Überträger zu isolieren, würde so die Zeit gewonnen, in der hoffentlich ein Impfstoff oder Medikamente zur Behandlung entwickelt werden können. Die WHO geht derzeit von einem Zeitraum von einem Jahr aus, bis eine ausreichende Produktionsmenge an SARS-CoV-2-Impfstoff für die Allgemeinbevölkerung zu Verfügung stehen kann.