Nach einer Auszählung von rund 28 Prozent der Stimmen kam der rechtskonservative Likud auf rund 29,1 Prozent, wie das Zentrale Wahlkomitee Dienstagfrüh auf seiner Website mitteilte. Das Mitte-Bündnis Blau-Weiß von Herausforderer Benni Ganz erhielt rund 23,3 Prozent. Die Vereinigte Arabische Liste als drittgrößte Fraktion kam auf 10,2 Prozent. Ex-Verteidigungsminister Avigdor Liebermans Partei Israel Beitenu, die auch in dieser Wahl als Königsmacher gilt, habe 5,4 Prozent erhalten.
Der Likud kommt laut Medienberichten, die sich auf Exit-Polls beziehen, auf 36 oder 37 Mandate, Blau-Weiß wurde mit 32 oder 33 Mandaten zweitstärkste Kraft. Netanjahus rechts-religiöses Lager kam den Prognosen zufolge auf 60 Sitze, das Mitte-links-Lager erhielt 52 bis 54 Mandate. Für eine Regierungsmehrheit sind mindestens 61 von 120 Mandaten im Parlament notwendig.
Netanjahu: Was für eine Freude
Der Wahlerfolg des Likud kam nur zwei Wochen vor Beginn eines Korruptionsprozesses gegen Netanjahu. Netanjahu sprach von einem „Riesensieg“. „Was für eine Freude“, rief der 70-Jährige in der Nacht auf Dienstag vor jubelnden Anhängern in Tel Aviv. „Das ist ein Sieg allen Widrigkeiten zum Trotz.“ Er werde nun „eine starke nationale Regierung einrichten, die gut für Israel ist“, kündigte er an. Viele Likud-Anhänger schwenkten blau-weiße Nationalflaggen. Auch Parlamentspräsident Juli Edelstein – ebenfalls ein Likud-Politiker – schrieb auf Twitter, Netanjahu habe einen „Riesensieg“ erzielt. Die Partei werde rasch eine „starke und gute Regierung bilden“.
Das rechte Lager besteht aus Netanjahus konservativem Likud, dem Jamina-Parteienblock von Verteidigungsminister Naftali Bennett und den streng religiösen Parteien. Die rechtsextreme Ozma Jehudit (Dt.: Jüdische Kraft) scheiterte an der Sperrklausel von 3,25 Prozent.
Ganz rief zum Durchhalten auf
Ganz zeigte sich enttäuscht. „Wenn das die Ergebnisse sind, dann werden sie Israel nicht zurück auf den richtigen Weg bringen“, sagte er in der Nacht auf Dienstag vor Anhängern in Tel Aviv. Er rief seine Anhänger zum Durchhalten auf. „Ich habe keine Angst vor einem langen Weg – ich habe überhaupt keine Angst“, sagte er. Er warf seinen politischen Gegnern vor, gezielt Lügen über ihn verbreitet zu haben. Er sprach von der schmutzigsten Wahlkampagne in der Geschichte Israels.
ORF-Korrespondent Roland Adrowitzer analysiert den Urnengang
Roland Adrowitzer erklärt, was der Sieg der Partei von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bei der Parlamentswahl bedeutet.
Zum Mitte-links-Lager wird neben Ganz’ Blau-Weiß, der linksliberalen Liste von Arbeitspartei, Merez und Gescher auch die Vereinigte Arabische Liste gezählt. Allerdings gelten die arabischen Parteien nicht als potenzielle Koalitionspartner. Der arabische Abgeordnete Ahmed Tibi sprach nach einem TV-Bericht von einer „Niederlage“ von Blau-Weiß. Der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Lieberman hingegen wurde auch bei dieser Wahl als Königsmacher gesehen. Lieberman hatte Netanjahu nach einer Wahl im April vergangenen Jahres seine Unterstützung entzogen. Hintergrund ist ein Streit mit Netanjahus streng religiösen Bündnispartnern über die Wehrpflicht auch für ultraorthodoxe Männer.
Dritter Anlauf
Es war bereits die dritte Wahl binnen eines Jahres. Nach Wahlen im April und September 2019 war aufgrund einer Pattsituation zwischen dem rechts-religiösen und dem Mitte-links-Lager keine Regierungsbildung geglückt. Blau-Weiß war aus der letzten Wahl zwar mit 33 von 120 Mandaten als stärkste Kraft hervorgegangen. Der Likud war auf 32 Mandate gekommen. Netanjahu erhielt allerdings 55 Empfehlungen von Abgeordneten für das Amt des Ministerpräsidenten, Ganz eine Stimme weniger. Beide konnten jedoch keine Koalition schmieden.
Bürgerbewegung wendet sich an Höchstgericht
Bürgerrechtler reichten indes eine Petition gegen Netanjahu beim Höchstgericht ein. Sie wollen verhindern, dass Netanjahu trotz einer Korruptionsanklage erneut den Auftrag zur Regierungsbildung erhält, wie ein Rechtsberater der „Bewegung für Qualitätsregierung“ am Dienstag bestätigte. „Eine Person, die für ihre Freiheit vor Gericht kämpft, kann keine Regierung anführen“, sagte Tomer Naor. „Er wird jede Woche zwei, drei Tage im Gericht sein.“ Die „Bewegung für Qualitätsregierung“ hofft, dass Präsident Reuven Rivlin erst die Empfehlungen für den Auftrag zur Regierungsbildung einholt, wenn eine Entscheidung des Gerichts vorliegt, wie Naor sagte.
PLO: Forsetzung der Besatzung und des Konflikts
Führende Palästinenservertreter kritisierten den Wahlausgang in Israel. „Netanjahu hat entschieden, dass die Fortsetzung der Besatzung und des Konfliktes das ist, was Israel Fortschritt und Wohlstand bringt“, teilte der Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Saeb Erekat, in der Nacht auf Dienstag nach Veröffentlichung von Teilergebnissen mit. „Damit hat er sich dafür entschieden, die Grundlagen und die Säulen des Konflikts sowie den Kreislauf von Gewalt, Extremismus, Chaos und Blutvergießen zu festigen.“ Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas sagte: „Die Identität irgendeiner künftigen israelischen Regierung wird nicht die Natur des Konflikts mit diesem Besatzer verändern.“
Netanjahu gewinnt Parlamentswahl
Die Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die Parlamentswahl in Israel gewonnen. Das Bündnis Blau-Weiß des Herausforderers Benni Ganz wurde zweitstärkste Kraft.
Amtliches Endergebnis in rund einer Woche
Das amtliche Endergebnis wird voraussichtlich in rund einer Woche vorliegen. Präsident Reuven Rivlin hat danach eine Woche Zeit zu entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Üblicherweise erhält den Auftrag der Vorsitzende der Fraktion mit den meisten Stimmen. Er hat dazu bis zu sechs Wochen Zeit. Mit der Bildung einer neuen Regierung wird daher frühestens im kommenden Monat gerechnet.
Rechnerisch möglich ist eine Große Koalition von Likud und Blau-Weiß. Allerdings hatte Netanjahu im Wahlkampf betont, er strebe eine rechts-religiöse Koalition an. Ganz ist dagegen wegen der Korruptionsanklage nur zu einer Großen Koalition ohne Netanjahu als Regierungschef bereit.
Betrugsvorwürfe gegen Netanjahu
Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Es geht dabei um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich rechtswidrige Deals mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute im Gegenzug für politische Gefälligkeiten. Der Regierungschef hat alle Vorwürfe zurückgewiesen.
Netanjahu strebt die Annexion der israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland sowie des Jordantals an. Diesen Schritt zeigt der am 28. Jänner veröffentlichte Plan von US-Präsident Donald Trump auf. Der Plan sieht einen Palästinenserstaat vor, der allerdings mit harten Auflagen verbunden wäre. Von palästinensischer Seite wurde das Vorhaben kategorisch zurückgewiesen. Ganz erklärte, er werde sich nach der Wahl für eine Umsetzung des Trump-Plans „in Zusammenarbeit mit anderen Ländern in unserer Region“ einsetzen.