Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Gast im ORF-Report-Studio
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Frauen und Kinder

Van der Bellen für Aufnahme Geflüchteter

Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht Österreich als Teil der EU gefordert, einen größeren Beitrag bei der Lösung der aktuellen Flüchtlingskrise in der Türkei bzw. in Griechenland zu leisten. Eine „Koalition der Willigen“ würde er gerne unterstützen, sagte er am Dienstag im ORF-„Report“, das Land sollte sich „in bestimmtem Ausmaß“ an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kam prompt eine Absage.

Kinder und Frauen sollten dabei Priorität haben, äußerte er Unterstützung für die Haltung von Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler. Solange zumindest auf den ersten Blick ein Asylgrund gegeben sei, sollte Österreich Flüchtlinge aufnehmen. Er erinnerte auch daran, dass viele Asylunterkünfte hierzulande wieder leerstünden. Man habe die Situation im Griff, sagte er zu den Folgen des Flüchtlingsandrangs 2015, wenn es auch Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt gebe.

Zur aktuellen Situation international sagte er, die Lage etwa auf der griechischen Insel Lesbos werde als katastrophal beschrieben. „Die Griechen mit dieser Art von Überbesetzung allein zu lassen widerspricht dem europäischen Gedanken zutiefst“, sagte der Bundespräsident. Auch mit der Türkei müsse man reden und dabei „bei der Sprache ein bisschen zurückdrehen“. Nicht alles könne man polemisch abtun, schließlich habe die Türkei eine sehr große Zahl betroffener Menschen aufgenommen.

Bundespräsident Van der Bellen zur Flüchtlingspolitik

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte im Interview mit dem ORF-„Report“, Österreich solle sich „in bestimmtem Ausmaß“ an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen.

Mehr Hilfe „ansatzweise“ im Regierungsprogramm

Die nun von der türkis-grünen Koalition beschlossenen drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für die syrische Region Idlib reichen laut Van der Bellen wahrscheinlich nicht. Mehr Hilfe zu leisten stehe „ansatzweise“ im Regierungsprogramm, so der Bundespräsident: „Ich würde mich freuen, wenn es auch umgesetzt wird.“

Dass die offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen ÖVP und den Grünen in diesen Fragen die Koalition belasteten, wollte Van der Bellen nicht sehen: „Lassen wir die Kirche im Dorf. Bei jeder Meinungsverschiedenheit davon zu reden, dass die Koalition gespalten ist, würde ich auch nicht tun.“

Absage von Kurz

Bundeskanzler Kurz erteilte am Mittwoch dem Appell von Van der Bellen für die Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere Frauen und Kindern, eine Absage. „Unsere Linie als Bundesregierung ist klar, nämlich keine zusätzliche freiwillige Aufnahme in Österreich“, sagte Kurz bei einem Medientermin mit den Sozialpartnern zum Coronavirus in Wien.

„Österreich ist unter den am stärksten belasteten Ländern der Europäischen Union. Es gibt kaum ein Land weltweit und schon gar nicht in Europa, das pro Kopf mehr Flüchtlinge aufgenommen hat“, sagte Kurz. „Insofern plädiere ich dafür, dass wir zunächst einmal die gut integrieren, die jetzt schon hier sind. Wir haben zum Beispiel 30.000 arbeitslose Asylberechtigte, wo es gut wäre, die in den Arbeitsmarkt zu bringen.“

Kurz verwies auch auf die „Zahlen“. „Wir haben allein im letzten Jahr über 10.000 Menschen aufgenommen. Insofern haben wir im letzten Jahr allein einige tausend Frauen und Kinder aufgenommen. So wird es auch in diesem Jahr sein“, so Kurz. In den vergangenen fünf Jahren seien es insgesamt 200.000 Asylanträge gewesen, davon Zehntausende Frauen und Kinder.

Nehammer verweist auf mitreisende Väter

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ergänzte in einer Stellungnahme gegenüber der APA, dass Österreich „2020 bereits 1.000 Frauen und Kinder neu ins Asylverfahren aufgenommen“ habe. „Alleine in den letzten zwei Jahren haben rund 11.000 Kinder und 4.000 Frauen einen Asylantrag gestellt. Das sind so viele, wie Eisenstadt Einwohner hat.“ Kaum eine Frau reise alleine, sondern das passiere im Familienverband.

„Das heißt, darüber hinaus hat die Aufnahme von Frauen und Kindern auch die Familienzusammenführung, also Aufnahme von Vätern und Brüdern, zur Folge. Es darf jetzt zu keiner neuen Aufnahme- und Zuwanderungswelle kommen, denn wir sind jetzt noch mit den Folgen der Migrationswelle von 2015 beschäftigt. Die Integrationsmaßnahmen werden Jahre dauern“, so Nehammer.

Regierung: „Volle Unterstützung“ für Athen

Die ÖVP-Grünen-Regierung hatte schon am Dienstag die jüngsten Entwicklungen an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei besprochen.Kurz und Vizekanzler Kogler verurteilten den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Flüchtlinge für seine Zwecke missbrauche. Österreich will Griechenland beim Grenzschutz unterstützen und Menschen in Syrien helfen.

Griechenland wurde von der Regierungsspitze „volle Unterstützung“ zugesichert. Kurz sprach von einem finanziellen Beitrag und von einem „Beitrag mit Polizisten und Polizistinnen“ für den Grenzschutz. Man sei zudem in Kontakt mit den Westbalkan-Staaten, falls die Grenze zu Griechenland „durchbrochen“ wird. Außerdem sollen drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für Menschen in Syrien, auch jene in der stark umkämpfen Stadt Idlib, bereitgestellt werden. Das ist laut Kurz die größte Ausschüttung für ein Land seit Bestehen des Fonds. Die Hilfe soll über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz laufen.

Kurz: Druck auf Erdogan ausüben

Der türkische Präsident Erdogan hatte am Wochenende die Grenzen zur EU für Flüchtlinge öffnen lassen. Er begründete das damit, dass die Europäische Union ihre Verpflichtungen aus dem Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016 nicht einhalte. Seither versuchten Tausende Flüchtlinge, über die türkisch-griechische Grenze in die EU zu gelangen. Griechische Grenzschützer hielten am Wochenende etwa 10.000 Menschen vom Grenzübertritt ab. Am Montag drohte Erdogan, die Grenzen blieben offen. Es sei nun an der EU, ihren „Teil der Last“ in der Flüchtlingskrise zu tragen.

Sowohl Kurz als auch Vizekanzler Kogler machten Erdogan für die aktuelle Lage an der EU-Außengrenze verantwortlich. Laut Kurz gab es vor einer Woche nämlich noch „keine humanitäre Krise in der Türkei“. Seit dem Wochenende erlebe man aber eine „massive Zuspitzung an der Grenze zu Griechenland“, so der Bundeskanzler. Das deute darauf hin, dass der „Ansturm von Migranten ganz gezielt“ stattfinde. „Dieser Ansturm ist kein Zufall, er ist organisiert“, sagte Kurz.

Wenn man nun den Druck von Erdogan nachgäbe, würden „Hunderttausende“ nachkommen, ein „Europa ohne Grenzen“ wäre dann Geschichte, sagte Kurz weiter. „Es braucht gemeinsam Druck auf die Türkei, dass Präsident Erdogan dieses menschenunwürdige Verhalten ändert und Migranten nicht missbraucht.“ Österreich werde sich „massiv“ hinter Griechenland stellen und in der EU fordern, dass man gegen Erdogen „vorgeht“.

Grafik zu Flüchtlingen an der EU-Außengrenze
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: IOM

Kogler: „Menschlichkeit und Ordnung“

Vizekanzler Kogler pochte auf „Menschlichkeit und Ordnung“. Es sei eine „massive Provokation“, dass man auf dem Rücken der Menschen Politik mache. „Erdogan missbraucht Menschen“, so Kogler. Aber als Europäische Union habe man die Verantwortung, dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei verlängert wird. Man dürfe sich nicht erpressen lassen, gleichzeitig müsse man die Situation in der Türkei für Flüchtlinge verbessern – „aus grüner Sicht danach trachten, dass an der Stabilität in der Türkei was getan wird“, sagte der Vizekanzler.

Der Vorstoß Koglers zur Aufnahme von Frauen und Kindern aus überfüllten Flüchtlingsquartieren auf griechischen Inseln ist wieder vom Tisch. Kogler bezeichnete diesen Vorschlag bei der Pressekonferenz als private Meinung: In der Regierung sei man eben „nicht so weit“.

Pressekonferenz zur aktuellen Flüchtlingssituation

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) haben über die aktuelle Situation in Griechenland, der Türkei und Syrien informiert.

UNHCR: Nicht mit 2015 vergleichbar

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) Deutschland hält die Lage an der türkisch-griechischen Grenze für nicht vergleichbar mit der Flüchtlingskrise vor fünf Jahren. Die Lage sei angespannt, aber kein Notstand für Europa, sagte der Sprecher des UNHCR in Deutschland, Martin Rentsch. Lösungen für die Situation in Griechenland gebe es, fügte er hinzu. Diese müssten nun umgesetzt werden. Dazu seien „vor allem Dialog und Kooperation nötig und nicht Abschottung und Alleingänge“, sagte Rentsch.

Gewalt gegen schutzsuchende Menschen könne nicht Europas Antwort sein. „Wichtig ist erst einmal die unmittelbare humanitäre Hilfe, und dann muss es eine Möglichkeit geben, die griechisch-türkische Grenze zu managen“, sagte Rentsch. Es müsse weiterhin möglich sein, die Asylgesuche der Menschen zu überprüfen. „Das ist geltendes Recht – und dazu brauchen Griechenland und die Türkei Unterstützung.“ Als Ursache für die Lage sieht Rentsch vor allem die seit Jahren bestehende Uneinigkeit innerhalb der EU. Nicht die Flüchtlinge seien die Krise, sondern die fehlende Antwort der EU auf solche Situationen.

SPÖ für UNO-Unterstützung, FPÖ fordert Grenzübung

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner verlangte angesichts der aktuellen Lage in Syrien und in der Türkei sowohl von der Bundesregierung als auch von der EU rasches Handeln. Abgesehen von Soforthilfe brauche es auch ein Gesamtkonzept und dazu eine starke einheitliche europäische Linie. Wichtig seien die Etablierung eines funktionierenden Außengrenzschutzes sowie einheitliche EU-Asylverfahren. Um hier eine gemeinsame Linie zu finden, plädierte Rendi-Wagner einmal mehr für einen EU-Sondergipfel. Bei der humanitären Hilfe warb sie für eine UNO-Unterstützung.

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl warnte am Mittwoch vor „illegalen Einwanderern“, die alsbald Österreichs Grenze „attackieren“ würden. Antworten will er mit Tränengas, letztlich aber „natürlich“ auch mit Waffeneinsatz. Als Gegenmaßnahme propagierte er – als Unterstützungsleistung für die Bundesregierung, wie er anmerkte – ein „Grenzübertrittsverhinderungspaket“.

Dazu solle das Asylrecht in Österreich temporär oder auch unbefristet ausgesetzt werden, so Kickl. Es solle keine Möglichkeit mehr geben, einen Asylantrag auf österreichischem Boden zu stellen. Die betreffenden Personen sollten rückgeführt werden, und zwar in ihre Herkunftsländer oder in „sichere Zonen“. Andererseits sollten Aufgegriffene wegen des Coronavirus unter Quarantäne gestellt werden.

Für ein „Relocation-Programm“ sprach sich einmal mehr NEOS aus. „Das System in Griechenland muss effizient und human aufgestellt werden und die Menschen aufs Festland gebracht werden“, forderte die NEOS-Sprecherin für Inneres und Migration, Stephanie Krisper. Würde die Europäische Union 5.000 Menschen aufnehmen, bedeute das für Österreich 105 Personen. „Die Regierung muss ihre Kampfrhetorik dringend zurückfahren und zu konstruktiven, europäischen Lösungen zurückkehren“, so Krisper.