Mann schwenkt griechische Fahne während ein Militärfahrzeug vorbeifährt
AP/Giannis Papanikos
Geflüchtete

Griechenlands neue harte Linie

Während der Flüchtlingsbewegung 2015 war die Solidarität der griechischen Bevölkerung mit den Geflüchteten groß. Mittlerweile hat sich die Stimmung im Land um 180 Grad gedreht. Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt in der türkischen Eskalationspolitik und der passiven Haltung der EU. Die seit dem Vorjahr regierende konservative griechische Regierung setzt auf Härte – muss sich aber selbst Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik vorwerfen lassen.

In den vergangenen Tagen kam es am griechisch-türkischen Grenzübergang Kastanies wiederholt zu schweren Ausschreitungen. Griechische Sicherheitskräfte hinderten größere Gruppen von Geflüchteten mit Tränengas und Blendgranaten daran, den Grenzfluss Evros zu überqueren oder einen Zaun am Grenzübergang zwischen Kastanies und Pazarkule zu überwinden und damit in die EU zu gelangen.

Griechischen Medien zufolge wurden die Beamten bei ihren Einsätzen von türkischen Sicherheitskräften mit Tränengasgranaten beschossen. In einem in Sozialen Netzwerken kursierenden Video soll zudem zu sehen sein, wie türkische Grenzschützer versuchen, den Grenzzaun mit einem Panzerfahrzeug einzureißen.

Die Berichte, Bilder und Videos sind mit Vorsicht zu genießen. Zwischen Athen und Ankara tobt längst auch eine Propagandaschlacht. Die Türkei beschuldigte die griechischen Einsatzkräfte, drei Migranten getötet zu haben, was die griechische Seite vehement zurückweist. Auch auf türkischer Seite gibt es Berichte über die Misshandlung Geflüchteter. Verifizieren lassen sie sich aber nur schwer.

Bürgerwehren an der Grenze

Eine Mehrheit der Griechinnen und Griechen befürwortet das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte. Die an der griechisch-türkischen Grenze stationierten Sicherheitskräfte werden von der lokalen Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt. Landwirte helfen dabei, die Grenze nachts mit Scheinwerfern zu beleuchten, um den Sicherheitskräften die Arbeit zu erleichtern. Mancherorts haben sich Bürgerwehren gebildet, die Migrantinnen und Migranten aufgreifen und den Behörden übergeben.

Lokalaugenschein an der EU-Außengrenze

Alexander Kofler (ORF) berichtet über die angespannte Situation an der griechisch-türkischen Grenze.

Die „patriotische Euphorie“ im Nordosten Griechenlands richte sich weniger gegen die Geflüchteten als gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die Migranten instrumentalisiere und sie mit falschen Versprechungen an die Grenze dränge, berichtete die deutsche Zeitung „taz“. Erdogan hatte Ende Februar nach der Eskalation der Lage in der nordsyrischen Provinz Idlib die Grenzen zur EU für geöffnet erklärt. Tausende Menschen machten sich daraufhin auf den Weg Richtung Griechenland. An den nicht weit entfernten Grenzübergängen zum EU-Land Bulgarien blieb es dagegen ruhig.

Grafik zu Flüchtlingen an der EU-Außengrenze
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: IOM

Athen setzte Asylrecht aus

Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, der am Dienstag in Wien mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zusammentrifft, hatte wiederholt betont, dass Griechenland und die EU sich nicht von der Türkei „erpressen“ ließen. Gegenüber den Geflüchteten wählte der Politiker der seit dem Vorjahr regierenden konservativen Nea Dimokratia (ND) drastische Worte. Mehrfach sprach er von „Invasoren“, einer „Invasion“ und einer „asymmetrischen Bedrohung“.

Als Reaktion auf die Lage an der Grenze setzte die griechische Regierung Anfang März das Asylrecht aus. Einen Monat lang dürfen keine neuen Anträge mehr gestellt werden – was laut Fachleuten womöglich gegen EU-Recht verstößt. Zudem kündigte Athen die Einführung von Schnellgerichten an. Sie sollen raschere Abschiebungen gewährleisten. Ein hochrangiger Politiker der Nea Dimokratia drohte Flüchtlingen, die Griechenland nicht verlassen wollten, mit „lebenslangen Haftstrafen“.

Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis, EU-Kommissionspräsidentin  Ursula von der Leyen und Präsident des Europäischen Rates Charles Michel vor einem Hubschrauber
Reuters/Greek Prime Minister’s Office/Dimitris Papamitsos
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen lobte Griechenland als Europas „Schild“

Rückendeckung erhielt Athen von der EU. Brüssel versprach der griechischen Regierung 700 Millionen Euro zur Bewältigung der Situation an der EU-Außengrenze. Bei einem Besuch im griechisch-türkischen Grenzgebiet erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Griechenland sei Europas „Schild“. Verständnis für die griechische Grenzschließung äußerte auch Ex-Premier Alexis Tsipras, dessen linke SYRIZA die größte Oppositionspartei im griechischen Parlament ist.

In Griechenland haben unterdessen Bauarbeiten zum Ausbau des Zauns an der Grenze zur Türkei begonnen. Etwa ein Dutzend Baufahrzeuge begannen am Montag damit, den Stacheldrahtzaun am Grenzübergang Kastanies „zu reparieren und zu verstärken“, wie aus Regierungskreisen in Athen verlautete.

Rechtsextreme Angriffe auf NGO-Beschäftigte

Auf der griechischen Ägäis-Insel Lesbos, die mit Moria das größte Flüchtlingslager Europas beheimatet, sind NGO-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Tage neben dem Leid der Geflüchteten zusätzlich mit Drohungen aus der Bevölkerung und rechtsextremen Gruppierungen konfrontiert. Einige Hilfsorganisationen mussten ihre Arbeit temporär einstellen.

Abgebrannte Schule „One Happy Family“
APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Auf der Insel Lesbos brannte ein Gemeinschaftszentrum einer Schweizer NGO nieder

Bereits in den vergangenen Tagen waren mehrere NGO-Mitarbeiter und Journalisten auf der Insel von Rechtsextremen angegriffen worden. Im Norden der Insel wurde eine nicht mehr genutzte Flüchtlingsbetreuungseinrichtung des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Brand gesteckt. Auch ein Gemeinschaftszentrum einer Schweizer Nichtregierungsorganisation ging in Flammen auf. Wütende Bewohnerinnen und Bewohner verhinderten das Anlegen eines mit Geflüchteten besetzten Schlauchbootes sowie eines Rettungsschiffs.

Bewohner der Insel Lesbos hindern ein Boot mit Flüchtlingen beim Anlegen
APA/AFP/Aris Messinis
Lesbos: Wütende Bewohner verhindern das Anlegen eines Bootes mit Geflüchteten

Berichte über Gewalt gibt es auch von den Inseln Samos und Chios. Auch hier harren Tausende Flüchtlinge zum Teil schon seit Jahren unter katastrophalen Bedingungen in Lagern aus. Auf Chios blockierten wütende Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner kürzlich die Zufahrt zu einem Aufnahmezentrum für Geflüchtete, wie das deutsche Magazin „Focus“ berichtete. Auch auf Samos kam es zu Protesten. Die türkische Ankündigung der „offenen“ EU-Grenzen hatte zu einem Anstieg der Ankünfte auf den drei Inseln geführt. Mittlerweile hat die türkische Regierung die Küstenwache angewiesen, Geflüchtete an der Überfahrt zu hindern.

Brüssel nützte Zeitfenster nicht

Für die prekäre Lage auf den griechischen Inseln mitverantwortlich ist laut Fachleuten die Untätigkeit der EU. Nach der Fluchtbewegung von 2015 schlossen Brüssel und Ankara ein Abkommen. Die Türkei verpflichtete sich darin, Flüchtlinge an der Weiterreise zu hindern und im eigenen Land zu versorgen und sollte dafür sechs Milliarden Euro erhalten. Das versprochene Geld, das tatsächlich für Projekte zur Flüchtlingshilfe eingesetzt wurde, ist noch nicht vollständig ausgezahlt.

Das Abkommen hätte der EU Zeit für eine länderübergreifende Verständigung in der Flüchtlingspolitik geben sollen. Passiert ist das in den vergangenen fünf Jahren nicht. Die faire Aufteilung Geflüchteter auf die Mitgliedsstaaten scheiterte am Widerstand einiger Länder, darunter Österreich. Eine gemeinsame Linie zeichnet sich weiterhin nicht ab. Athen moniert seit Jahren, sich in der Flüchtlingspolitik von der EU alleingelassen zu fühlen – was nicht zuletzt Grund dafür ist, dass es nun auf den Ägäis-Inseln zu Protesten und Gewalt kommt.

Athens Versäumnisse

Doch auch Griechenlands konservative Regierung hat seit Amtsantritt im Vorjahr nur wenig in der Flüchtlingspolitik weitergebracht. Im Wahlkampf hatte Mitsotakis der linken Regierungspartei SYRIZA Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Zudem habe der ND-Parteichef mit einem „fertig ausgearbeiteten Plan für Griechenland“ geworben, berichtete die „Zeit“.

Nach dem Wahlsieg sei das Thema aber wieder in den Hintergrund gerückt. Die konservative Regierung schaffte das Flüchtlingsministerium ab (mittlerweile ist es wiedereingerichtet). Auch das Wahlkampfversprechen, besonders schutzbedürftige Personen aus den Elendslagern auf den Inseln in Betreuungseinrichtungen auf dem Festland zu holen, wurde nicht umgesetzt. Die griechische Regierung betonte, die nun ankommenden Personen seien „Wirtschaftsflüchtlinge“ und nicht vor einem Konflikt geflohen.

Flüchtlingslager Moria auf Lesbos
MSF/Ärzte ohne Grenzen
Das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos ist heillos überfüllt

Ab Sommer 2019 ging die Zahl der Flüchtlingsankünfte auf Lesbos, Chios und Samos erneut in die Höhe. Die Folge: Allein im Lager Moria stieg die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner von 5.500 auf über 16.000 an. Ursprünglich ausgelegt war die Einrichtung für 3.000 Menschen.

Lager auf unbewohnten Inseln

Im Jänner verschärfte die griechische Regierung das Asylrecht. Zudem wurde mitgeteilt, 10.000 Menschen in die Türkei zurückführen zu wollen. Im Jahr 2019 wurden laut „Zeit“ nicht einmal 200 Leute aus Griechenland in die Türkei gebracht. Ob Ankara nun bereit ist, die Menschen aufzunehmen, ist fraglich.

Vor wenigen Tagen erklärte Migrationsminister Notis Mitarakis, die Regierung wolle finanzielle Hilfen für Asylberechtigte künftig stark einschränken. Außerdem kündigte Mitarakis die Einrichtung zweier geschlossener Camps auf dem Festland an. 2.000 Menschen sollen hier Platz finden. Und er brachte eine Idee aufs Tapet, die schon im Wahlkampf für Kritik gesorgt hatte: die Einrichtung geschlossener Flüchtlingseinrichtungen auf unbewohnten Inseln. Eine solche Lösung werde allerdings nicht einfach, so der Minister.