Frau mit Jogginganzug auf einer Instagramseite
Instagram-Profil jrdnbart (Montage)
Salonfähig

Jogginganzug kommt aus dem Schmuddeleck

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, hat der verstorbene Modeschöpfer Karl Lagerfeld bekanntermaßen einst gesagt. 2020 gilt das nicht mehr: In Zeiten sozialer Distanzierung ist der kuschelige Jogginganzug zur idealen Uniform avanciert – sei es für das Homeoffice, Skype-Verabredungen oder zum Netflix-Schauen.

Dass ein regelrechter Hype um Sportanzüge besteht, erkannte zuletzt Schauspielerin Jane Fonda. Nachdem sie sich in einem Modell in Grau samt Regenbogenapplikation auf Instagram zeigte, war der Zuspruch so groß, dass Fonda kurzerhand beschloss, eine eigene Kollektion aus dem Boden zu stampfen. Die Einnahmen will die 82-Jährige, die sich immer wieder für soziale und politische Zwecke engagiert, für wohltätige Zwecke spenden.

Die Renaissance des Jogginganzugs bahnte sich aber schon an, bevor Hashtags wie „#StayHome“ oder „#StayTheFuckHome“ Soziale Netzwerke fluteten. Ob Model Winnie Harlow, Schauspielerin Jessica Alba, Reality-TV-Star Kylie Jenner oder Sänger Justin Bieber – sie alle trugen in den vergangenen Monaten dazu bei, die kuscheligen Sportanzüge salonfähig zu machen. Bieber beispielsweise trägt diese nicht nur regelmäßig selbst, sondern vertreibt sie auch über seine Modelinie Drew House – ähnlich wie Rapper Kanye West mit seiner Marke Yeezy.

Mit jenem hautengen Sportanzug in Glanzoptik von Juicy Couture, der vor fast zwei Jahrzehnten en vogue war, hat der Jogginganzug von heute nur noch wenig zu tun. „Jogginganzüge sind körperbetont, aber nicht zu eng. Sie bedecken den Körper, ohne überdimensional groß zu sein“, schrieb die Fachzeitschrift „Business of Fashion“. Frühlingshafte Varianten bestehen mitunter aus einem bauchfreien Kapuzenpullover und Sweatpants, die Leggings ähneln.

Jogginganzug als Wohlstandssymbol

„Die Hosen können heikel sein: Sie sind bis zur Mitte hin gerade, können aber keineswegs wie Leggings geschnitten sein, und sie sind nicht oversized“, so Scott Sternberg, der Designer der Marke „Entireworld“. In der Regel werden Jogginganzüge – im englischsprachigen Raum Sweatsuits genannt – heutzutage in Pastellfarben getragen. Minimalismus und Komfort stehen zwar im Vordergrund, glamourös soll der Sportanzug nichtsdestotrotz sein.

Er soll neuerdings quasi eins signalisieren: Wohlstand. „Sie (Jogginganzüge, Anm.) fangen an, ein Symbol eines gehobeneren Lebensstils zu werden – also eines Lifestyles, der Vielfliegermeilen sowie viel Zeit in Los Angeles umfasst und einer ohne rigide Konzernstrukturen. Und wenn du so einen Lebensstil nicht hast? Naja, dann kannst du dich immer so anziehen, als ob“, schreibt das Lifestylemagazin „The Cut“.

Mode für jeden Körpertyp

Dass Jogginghosen und Glamour sich nicht ausschließen müssen, zeigte zuletzt auch die „TommyNow“-Show. Für die Capsule-Wardrobe-Kollektion „TommyxLewis“ kooperierte Tommy Hilfiger mit Formel-1-Star Lewis Hamilton und der Sängerin H.E.R. Die Frühling/Sommer-Kollektion besteht nicht nur großteils aus nachhaltigen Materialien (ein weiterer Megatrend), sondern wird auch von Sweatern und Jogginghosen – zum Teil in Neonfarben – dominiert.

Auch auf Instagram sind Sportanzüge der Hit. „Was Streetwear betrifft, kaufen Menschen stilvolle Kapuzenpullover, um diese mit Leggings zu kombinieren, aber mit Instagram wird jetzt dazu übergegangen, zusammenpassende Sweater und Jogginghosen zu tragen, einfach deshalb, weil es ein simpler Look ist“, sagt Peiman Raf, Mitgründer der Modemarke Madhappy, gegenüber dem Modeportal Business of Fashion (BoF). Für den Jogginganzug spreche auch, dass dieser an jedem Körpertyp gut aussehe, so die Stylistin Cassandra Sethi.

Obwohl die Anzüge billig und leicht zu produzieren sind, ist die Preisspanne riesig. Erstehen kann man einzelne Modelle bei Fast-Fashion-Anbietern wie Boohoo oder Pretty Little Thing bereits ab etwa zehn Euro. Das Onlineversandhaus Net-a-Porter bietet wiederum teure Modelle von Nili Lotan an – Kostenpunkt rund 550 Euro. Konkurrent Farfetch vertreibt Sweatshirt und Jogginghose von Kanye Wests „Sunday Service“-Kollektion – zu kaufen um rund 750 Euro.

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Sportmode erlebt Renaissance

Jogginganzüge und deren Gegenstück, der Trainingsanzug – dieser besteht meist aus Jacke und Hose – sind bereits seit den 70ern ein Kernstück in der Sportmode. Anders als der Trainingsanzug bestehen Jogginganzüge nicht aus Nylon, sondern aus Baumwolle. Auch die Hip-Hop-Szene zelebrierte den Sportanzug – und war in den 1980ern damit maßgeblich daran beteiligt, die Sportkleidung alltagstauglich zu machen. In den 90ern kam diese dann mehr und mehr aus der Mode.

Eine Art Renaissance erlebte Sportmode – und damit auch der Jogginganzug – in den vergangenen fünf Jahren. Zu verdanken ist das nicht zuletzt dem „Athleisure“-Trend. Das Wort setzt sich zusammen aus den englischen Begriffen für Sport (athletics) und Freizeit (leisure) und umschreibt alltagstaugliche Sportkleidung – die Grenzen zwischen Funktionalität und Stilsicherheit verschwimmen seither zunehmend.