Illustration zeigt Virus-Übertragung zwischen Menschen
QuickHoney/ORF.at
Exponentielles Wachstum

Wettlauf gegen die Zeit bei Coronavirus

Auch in Österreich sind im Kampf gegen das Coronavirus drastische Maßnahmen in Kraft getreten. Für manche mögen diese angesichts der derzeitigen Fallzahl überzogen wirken. Doch die Zahl könnte innerhalb kurzer Zeit auf ein Vielfaches steigen. Der Grund: Die Infektionen folgen einem exponentiellen Wachstum.

ORF.at berichtete am 31. Dezember zum ersten Mal über das Coronavirus. An der „mysteriösen Lungenkrankheit“ in Zentralchina seien 27 Personen erkrankt, hieß es in der Meldung. 72 Tage später sind es bereits mehr als 126.000 Infizierte – 302 davon in Österreich (Stand Donnerstagvormittag). Hinter dem Anstieg lässt sich ein besonderes Muster erkennen: Bereitet man die Zahlen grafisch auf, so entsteht eine Kurve, die steil nach oben geht.

Vielen mag die Expontentialkurve noch aus dem Schulunterricht bekannt vorkommen. Zur Erinnerung: Sie liegt dann vor, wenn sich ein Wert in jeweils gleichen Zeitschritten immer um denselben Faktor verändert. Noch ist, nicht zuletzt aufgrund der Dunkelziffer, unklar, um welchen Faktor in welchem Zeitraum es sich beim Coronavirus genau handelt. Klar ist aber, dass sich die Kurve in den Ländern mit größeren Ausbrüchen ähnelt.

Grafik zum Coronavirus in Österreich
Grafik: ORF.at; Quelle: Bundesministerium für Soziales

Grund dafür ist, dass jeder Träger des Virus ja nicht nur eine, sondern gleich mehrere Personen anstecken kann. Die Zahl, selbst wenn sie zu Beginn sehr niedrig ist, kann daher innerhalb kürzester Zeit stark steigen. Will man die Ausbreitung eindämmen, gleicht das folglich einem Wettlauf gegen die Zeit.

„Die Wucht der großen Zahl“

„Die Wucht der großen Zahl“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) titelte, ist es auch, die die Menschen verunsichert: „Der Mensch ist an lineare Prozesse gewöhnt, die kann er begreifen. Beim linearen Wachstum kommt in festen Zeitabständen eine feste Anzahl an Fällen hinzu, beispielsweise tausend pro Woche. Beim exponentiellen Wachstum dagegen findet in einem festen Zeitraum jeweils eine Verdopplung der Fallzahl statt.“

Exponentielles Wachstum sei gefährlich, da man es am Anfang leicht unterschätze: „Zu Beginn läuft die Kurve gemächlich vor sich hin. Dann wird sie immer steiler und schießt bald nahezu senkrecht nach oben“, so die „SZ“. Entscheidend dafür, wie schnell sich das Virus ausbreite, sei jener Zeitraum, in dem sich die Fälle verdoppeln. Bei einem ungebremsten Wachstum, also ohne dass Gegenmaßnahmen gesetzt werden, könnten sich allein in Deutschland bereits in zwei Monaten eine Million Menschen infiziert haben, so die Autoren.

Modellrechnung zu weiteren Ansteckungen

Das Coronavirus verläuft für die meisten Betroffenen mild, sodass diese in häuslicher Quarantäne bleiben können. Infizierte können jedoch mehrere Personen anstecken, wodurch die Zahl schnell steigen kann.

Virologin: Zeitpunkt der Maßnahmen gut gewählt

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zufolge gibt es in Österreich zwei Möglichkeiten: „Entweder es entwickelt sich exponentiell so weiter, oder es gelingt uns eine Abdämpfung und eine Zeitverzögerung.“ Der Zeitpunkt für das Ausrollen der „einschneidenden Maßnahmen“ ist laut der Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl gut gewählt, da die Kurve in Österreich derzeit exponentiell steige.

Ähnlich begründete auch ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) die Schließung der Schulen: Ein starker Anstieg stehe bevor, jedoch könne dieser durch die getroffenen Maßnahmen verhindert werden. Wenn die Zahl der Fälle allerdings einmal „explodiere“, werde es schwierig.

Ziel: Höhepunkt verzögern und niedrig halten

Zwar verläuft die Krankheit bei einem Großteil der Betroffenen mit milden Symptomen, bei etwa 20 Prozent der Infizierten ist jedoch ein Krankenhausaufenthalt notwendig – bei einem kleinen Teil sogar auf der Intensivstation. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionswelle zielt daher primär darauf ab, besondere Risikogruppen zu schützen und die Kapazitäten der Gesundheitsinfrastruktur aufrechtzuerhalten.

Experten und Expertinnen sowie der Regierung zufolge geht es nun darum, den Höhepunkt der Erkrankung einerseits möglichst niedrig zu halten und zu verflachen sowie anderseits möglichst weit nach hinten zu verschieben und zu verzögern. Laut Anschober müsse das so lange gelingen, bis es Medikamente gibt. Und: Auch exponentielles Wachstum hat ein Ende – ab einem bestimmten Zeitpunkt flacht die Kurve und somit die Zahl der Neuinfektionen automatisch ab. Das bedeute, so schreibt die „SZ“, zwar nicht unbedingt, dass weniger Menschen, aber dass weniger Menschen gleichzeitig krank werden.

Simulationsexperte über die Ausbreitung des Virus

Niki Popper, Simulationsexperte von der TU Wien, spricht über die zu erwartende Ausbreitung des Virus und die Berechnung einer Simulation.

Beweis für effektive Maßnahmen

Dass Maßnahmen wie Schulschließungen oder Quarantäne effektiv sind, zeigt nicht zuletzt China selbst. Zu Beginn war auch hier ein exponentielles Wachstum zu verzeichnen, mittlerweile hat sich die Ausbreitung, traut man offiziellen Zahlen und Berichten, jedoch stark verlangsamt. Mit nur noch 19 neu nachgewiesenen Virusfällen meldeten Chinas Behörden am Dienstag den niedrigsten Anstieg der Infektionen seit Beginn der täglichen Berichte über die Epidemie vor sieben Wochen.

Auch Anschober wirbt mit Statistik für die Einhaltung der verhängten „gravierenden“ Maßnahmen: „Wenn wir unsere Sozialkontakte um rund ein Viertel reduzieren, dann schaffen wir es, dass wir das Risiko der Ansteckung beinahe halbieren.“ Und fügte hinzu: „Das zeigt, jeder Einzelne ist hier gefragt.“