Filmszene aus „Freud“
ORF/Bavaria/Satel Film/Hans Starck
„Freud“

Abgründe im Unbewussten

Das Unbewusste trifft auf das Übersinnliche: In „Freud“ schickt Actionspezialist Marvin Kren den jungen Sigmund Freud auf Mörderjagd im Wien des späten 19. Jahrhunderts. Die erste Koproduktion von ORF und Netflix überzeugt als düstere Thrillerserie und fängt die Stimmung im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts perfekt ein.

Ein Referat über „Hypnosetechnik“ – da können die anwesenden Ärzte im Saal nur lachen. „Freud“ zeigt dem Publikum nicht den anerkannten, weltberühmten Psychoanalytiker. Vielmehr ist Krens Freud (Robert Finster) ein Getriebener, stolz und „unangepasst“, wie es der Doktor selbst formuliert. In seinem kokainbefeuerten Ehrgeiz greift der Mediziner mitunter zu unlauteren Mitteln. Alles mit dem Ziel, seine Theorien zu verbreiten, von deren Richtigkeit er fest überzeugt ist.

Bei seinen Kollegen rennt er mit seinen Ideen gegen Wände. Hypnose? Das Unbewusste? Für Wiens „Nervenärzte“ ist Freud nichts weiter als ein Scharlatan. Aus ihrer Verachtung für den jungen jüdischen Mediziner machen sie keinen Hehl – ebenso wenig aus ihrem Antisemitismus. Der Kampf um fachliche Anerkennung ist aber nur eine Sorge Freuds. Das Geld reicht kaum, die Eltern der Verlobten sehen die Verbindung nicht gerne – und zu allem Überfluss gerät er auch noch in ein mörderisches Komplott.

Freudlose Gassen, rauschende Feste

„Freud“ spielt im Wien des Jahres 1886. Der Großteil der Bevölkerung der K.-u.-k.-Metropole fristet sein Leben in freudlosen Gassen. In der Oberschicht dagegen wird gefeiert. Mittendrin der junge Freud, stets auf der Suche nach prominenten Fürsprecherinnen und Fürsprechern und neuer Kundschaft. Dabei lernt er das Medium Fleur Salome (Ella Rumpf) kennen, und das Unbewusste trifft plötzlich auf das Übersinnliche. Bekanntschaft macht er auch mit Inspektor Alfred Kiss (Georg Friedrich), einem wortkargen, ruppigen Polizisten und Ex-Militär, den der Krieg schwer traumatisiert hat.

Filmszene aus „Freud“
ORF/Bavaria/Satel Film/Hans Starck
Fleur Salome und Freud: Schritt für Schritt in eine Welt zwischen Realität und Traum

Serienschöpfer Kren, der mit Stefan Brunner und Benjamin Hessler auch das Drehbuch schrieb, lässt der Handlung Raum zur Entfaltung. Schritt für Schritt führt er die Zuseherinnen und Zuseher tiefer in eine Welt, in der Realität und Traum schon einmal verschwimmen. Das gibt Kren die Möglichkeit, sich visuell auszutoben. Sein Wien ist Moloch, ganz so, wie es die Weltstadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts tatsächlich war. Und: Krens Wien ist – ganz wie das historische Vorbild – mehrsprachig. Ein kleines Detail, das zu einem stimmigen Ganzen beiträgt.

TV-Hinweis

Die ersten beiden Folgen von „Freud“ sind am Sonntag ab 20.15 Uhr in ORF1 zu sehen. Die weiteren Episoden stehen am Mittwoch und Sonntag (jeweils Triple-Folge ab 20.15 Uhr) auf dem Programm. Netflix zeigt die Serie ab Donnerstag.

Kren (40) hat sich international einen Ruf als Action- und Krimispezialist erworben – unter anderem mit dem düsteren „Grenzland“-Tatort und „4 Blocks“, einer Serie über einen kriminellen libanesischen Clan in Berlin. Auch als Regisseur von Horrorfilmen hat er sich einen Namen gemacht („Blutgletscher“, „Rammbock“) – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Wiener Zungenschlag

Finster stellt Freud als Rastlosen dar, der seinem brillanten Geist gerne mit Kokain auf die Sprünge hilft. Mit sanftem Wiener Zungenschlag verortet er den Doktor in der Wiener Oberschicht. Ganz und gar nicht sanft – zumindest nach außen hin – legt Friedrich seinen Inspektor Kiss an. Er muss nicht laut sprechen, um sich Respekt zu verschaffen. Die Schweizer Schauspielerin Rumpf verleiht ihrer Madame Fleur Salome die Aura des Mysteriösen, der sich auch der junge Doktor Freud nicht entziehen kann.

Filmszene aus „Freud“
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Inspektor Kiss (Georg Friedrich) kommt man besser nicht zunahe – selbst wenn man Angehöriger der K.-u.-k.-Armee ist

Hinzu kommen hochkarätig besetzte Nebenrollen, etwa Johannes Krisch oder Brigitte Kren. Die Mutter des Regisseurs ist – wie bei allen Produktionen des Wieners – auch dieses Mal mit dabei. Als Freuds Haushälterin lockert sie die Handlung mit ihrem Wiener Schmäh auf. Das Ensemble vervollständigen Schauspielgrößen wie Philipp Hochmair, Heinz Trixner, Lukas Miko und Johannes Krisch.

Filmszene aus „Freud“
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Sanfter Wiener Zungenschlag trifft Wiener Schmäh: Freud und seine Haushälterin (Brigitte Kren)

Mit „Freud“ hat Kren eine Serie geschaffen, die den Vergleich zu historischen Krimiserien wie dem in den „Goldenen 20ern“ spielenden Krimi „Babylon Berlin“ nicht scheuen braucht und auch beim Fernsehpreis Romy in der Kategorie „Beste Serie“ nominiert ist. Kren selbst wollte dem weltbekannten Psychoanalytiker mit seiner Serie nach eigenen Aussagen ein besonderes Denkmal setzen: „Ich wollte ihm huldigen – und ihn gleichzeitig von seinem Thron stoßen, um ihn zu einem nahbaren Menschen zu machen“, sagte der Serienschöpfer über seinen Freud.