Mann am Laptop während seine Frau und Kinder daneben spielen
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Alle unter einem Dach

Zu viel Nähe als Konfliktpotenzial

Geschlossene Schulen und Kindergärten, Homeoffice, keine Abendtermine und vielleicht sogar in einigen Fällen Quarantäne: Österreichs Familien verbringen in diesen Wochen viel Zeit mit sich selbst. Und viel Nähe auf engem Raum birgt auch viel Konfliktpotenzial. Die Regierung stellte am Donnerstag ein Maßnahmenpaket vor, Expertinnen und Experten haben Tipps parat, um das Miteinander reibungsloser zu gestalten.

Schon zu Feiertagen, wenn Familien mehr Zeit miteinander verbringen als sonst, mehren sich Konflikte und auch häusliche Gewalt. In der derzeitigen Situation ist nicht nur das Ende der Abschottung nicht ganz klar, sondern auch Ungewissheit, Ängste und Sorgen heizen die Dynamik an.

Erfahrungswerte gibt es auch aus China: „Seit das Virus ausgebrochen ist, rufen Frauen doppelt so oft bei der Polizei an wie zuvor", postete der pensionierte Polizeibeamter und Gründer einer Frauenrechtsorganisation Wan Fei im chinesischen Twitter-Äquivalent Weibo“.

Auch bei Hilfezentren für Frauen mehrten sich die Anrufe. Berichtet wurde zudem von „gefangenen“ Ehefrauen, die aufgrund der Quarantänebestimmungen und Reisebeschränkungen nicht bei ihren Verwandten oder Bekannten Hilfe suchen können. Die „Global Times“ berichtete zudem, dass nach Ende der strengen Quarantänebestimmungen in der Metropole Xi’an die Scheidungszahlen stark anstiegen.

Maßnahmenpaket vorgestellt

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) stellten Mitte März ein Maßnahmenpaket vor. Die strafrechtliche Verfolgung der Täter bzw. Gefährder sei „weiter gesichert“, bekräftigte Zadic. Die Polizei werde zudem den von häuslicher Gewalt Betroffenen gleich beim Erstkontakt Anträge zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen gewalttätige Partner aushändigen können.

Raab verwies darauf, dass die 24-Stunden-Helpline finanziell und personell aufgestockt und die Onlineberatung für von Gewalt bedrohte Frauen ausgebaut wurde.

Auf Anstieg vorbereitet

„Wir rechnen auch in Österreich mit ansteigender Gewalt an Frauen und Kindern während der Coronavirus-Krise“, sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) – mehr dazu in wien.ORF.at. Die Soziologin Laura Wiesböck verwies auch darauf, dass der ökonomische Druck, den jetzt viele Menschen verspüren, für zusätzliche Belastung der Lage sorgt – mehr dazu auf fm4.ORF.at.

Man sei darauf vorbereitet, dass ein Anstieg aufgrund der Krise und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit zeitverzögert eintreten könnte, hieß es aus Wien: Der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien und der Frauenhausnotruf würden rasch und unbürokratisch helfen. Bisher berichten die Einrichtungen noch über einen nur geringen Anstieg bei den Beratungszahlen.

Neue Herausforderungen durch Homeoffice und Betreuung

Verschärft werde die Gefährdung derzeit vor allem, weil viele Familien nun mehr Zeit als sonst gemeinsam in den Wohnungen verbringen. Durch die Ausgangsbeschränkungen könnte dort, wo es bereits Spannungen und Gewalt gab, die Situation eskalieren. „Wenn es kein Timeout mehr gibt, wo man etwa mal rausgehen kann, wirkt sich die Aggression in der Familie voll aus“, so Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt. Auch seien es viele Männer nicht gewohnt, so viel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. „Gerade kleine Kinder können bekanntlich schwer dazu gebracht werden, still zu sein.“

Doch es ist nicht nur die räumliche Nähe, die viele vor neue Herausforderungen stellt, sondern auch die neue und ungewohnte Nutzung der eigenen vier Wände: Findet man genügend Ruhe für Heimarbeit und Ersatzunterricht? Wie erklärt man anderen, vor allem kleinen Kindern, dass man zwar anwesend, aber nicht verfügbar ist?

Tipps für den Alltag

Expertinnen und Experten haben einige Ratschläge parat, wie das Zusammenleben gut gelingen kann: Prävention sei das beste Mittel. Von sämtlichen Stellen werden vor allem drei Punkte immer wieder genannt: sich eine Tagesstruktur zu geben, an der man sich anhalten kann, sich Freiräume zu nehmen und anderen welchen zu geben und Kommunikation – sowohl innerhalb der eigenen vier Wände als auch nach draußen.

„Versuchen Sie auch in dieser Ausnahmesituation, im gewohnten Ablauf zu bleiben“, empfehlen die Psychologinnen Pia Andreatta, Barbara Juen und Karin Unterluggauer. Man solle demnach zu bestimmten Zeiten aufstehen, zunächst Aufgaben erledigen, um dann Freizeit zu haben, und auch essen und zu Bett gehen zu üblichen Zeiten. Das sei vor allem für Kinder sehr wichtig – mehr dazu in science.ORF.at.

Rückzugsmöglichkeiten und Freiräume

Der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) rät dazu, für alle Familienmitglieder Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen und klar abgegrenzte Zeiten zu schaffen, in denen jeder und jede für sich sein kann. In einem Informationsblatt gibt der Verband in fünf Kategorien Ratschläge im Umgang mit Ängsten und Sorgen, aber auch für das Zusammenleben und den Umgang mit Konflikten. Und genau dort gelte, wie eigentlich immer: Offene Kommunikation hilft, um Konflikte nicht eskalieren zu lassen.

Die Gesundheitspsychologin Elke Prochazka, die auch für Rat auf Draht arbeitet, empfiehlt vor allem, soziale Beziehungen im Freundeskreis wie auch zur Familie auch aus der Entfernung aufrechtzuerhalten, sei es mit digitalen Tools oder per Telefon – mehr dazu in fm4.ORF.at. Durchgängig empfohlen wird auch, sich Auszeiten von der medialen Berichterstattung zu nehmen – und vor allem, sich von alarmistischen Berichten und Panikmachern fernzuhalten.

Humor als Bewältigungsmittel – auch für Kinder

Auch Expertinnen und Experten für Kinderschutz geben Empfehlungen, wie man Spannungen verhindern und abbauen kann. Und im Wesentlichen decken sich diese wenig überraschend mit jenen für Erwachsene. Natürlich brauchen diese altersgerechte Informationen – auch genauso wie ihre Eltern eine verlässliche Tagesstruktur und Freiräume.

Hedwig Wölfl, Psychologin und Leiterin der Kinderschutzorganisation, fasst zusammen: „In Ausnahmesituationen geht es darum, weder zu bagatellisieren noch zu katastrophisieren, sondern die Unsicherheit gemeinsam mit den Kindern auszuhalten und mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken.“ Und auch sie betont wie andere Expertinnen und Experten: Humor stellt eine gesunde Krisenbewältigungsstrategie dar, und auch der eine oder andere Coronavirus-Witz zwischendurch kann helfen.

Hotlines und Beratungsstellen

Von Gewalt betroffenen Frauen steht zu jeder Tages- und Nachtzeit die Telefonnummer 0800 222 555 mit Expertinnen zur Seite. Eine Onlineberatung ist – parallel zur telefonischen Beratung – täglich in der Zeit von 15.00 bis 22.00 Uhr unter Haltdergewalt.at erreichbar. Weitere Informationen unter Frauenhelpline.at.

Die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie bietet telefonische Beratung täglich von 8.30 bis 20.00 Uhr, samstags von 8.30 bis 13.00 Uhr und nach Vereinbarung am Wochenende unter 01 585 32 88.

Die Telefonberatung der Kinderschutzzentren die Möwe ist unter 01 532 15 15 (Montag bis Donnerstag 9.00 – 17.00 Uhr, Freitag 9.00 – 14.00 Uhr) erreichbar.

Bei akuter Gewalt: Polizei unter 133 oder 112. Für eine sichere Unterkunft: Frauenhausnotruf Wien 05 77 22.