Karl Nehammer, Rudolf Anschober, Pamela Rendi-Wagner, Dagmar Belakowitsch, Beate Meinl-Reisinger und Elisabeth Puchhammer-Stöckl bei „Im Zentrum“
ORF
Coronavirus

„Müssen Stresssituationen begleiten“

Seit Mitternacht ist das öffentliche Leben in Österreich auf ein Minimum heruntergefahren. Zu den rigorosen Maßnahmen gab es überparteiliche Einstimmigkeit. In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ wurde über die bevorstehenden schwierigen Lebenslagen diskutiert, so etwa über die Sorgen vieler um ihre berufliche Zukunft und die vielen Stunden in den eigenen vier Wänden.

Im Hinblick auf die voraussichtlich lange Zeit mit wenigen sozialen Kontakten und den zwangsweise starken Fokus auf das Zuhause müsse man als Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, „akute Stresssituationen zu begleiten“, sagte Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne). Er verwies auf den Umstand, wonach in solchen Lebenslagen auch das Gewaltpotenzial in den eigenen vier Wänden steigen könne.

Doch waren auch Stresssituationen in Zusammenhang mit der breiten beruflichen Unsicherheit ein Thema. Insbesondere die Opposition plädierte für rascheren finanziellen Einsatz für Kleinstunternehmen. Dass sie Geld aus dem Hilfsfonds vielleicht erst in ein paar Monaten bekämen, sei viel zu spät, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. „Wenn es Nachbesserungsbedarf gibt, wird die Regierung das machen“, so Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).

NEOS: Soforthilfe nötig

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagte, alle Maßnahmen würden Klarheit verlangen. Das gelte neben der medizinischen Versorgung der Menschen auch für die Wirtschaft. Dass Leute, die, während sie in der Schlange im Supermarkt anstehen, gekündigt werden, sei untragbar. Für Einpersonenunternehmen (EPUs) brauche es Soforthilfe, man müsse Beiträge stunden, „automatisch für drei, vier Monate“.

„Im Zentrum“ zu den Maßnahmen gegen das Coronavirus

Im Kampf gegen das Coronavirus hat die Regierung ein Maßnahmenpaket geschnürt, das große Einschränkungen des Alltagslebens vorsieht. In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ wurde über die bevorstehenden schwierigen Lebenslagen diskutiert.

Bei EPUs gehe es um Existenzen, es brauche „einen unbürokratischen Härtefonds“, der entsprechend dotiert sei. Meinl-Reisinger verwies auf den „deutschen Weg“, der unbegrenzte Hilfen vorsieht. NEOS habe die vier Milliarden in Österreich mitgetragen, aber es sei viel zu wenig.

FPÖ-Klubobmann-Stellvertreterin Dagmar Belakowitsch sprach von einem „Blindflug“: „Warum gerade vier Milliarden?“ Zudem vermisse sie eine „klare Aufteilung“ der vier Milliarden Euro. Auch die Banken, die vom Steuerzahler gerettet worden seien, könnten verpflichtet werden, so die Freiheitliche.

Anschober: Mehr Tests im Gesundheitsbereich

Auch medizinische Fragen standen zur Diskussion: Anschober kündigte an, die Tests im Gesundheitsbereich intensivieren zu wollen. Insbesondere die Spitäler müssten geschützt werden, „weil uns da teilweise ganze Abteilungen ausfallen“. Er verwies einmal mehr auf zwei Gruppen in der Bevölkerung: die Jungen, die vergleichsweise weniger gefährdet seien, jedoch starke Überträger seien, nämlich Überträger an die stark gefährdeten Älteren, also die besonders schutzbedürftige Gruppe.

„Klappern derzeit Weltmarkt ab“

Anschober berichtete von 880 bestätigten Infektionen in der Bevölkerung am Sonntagabend. Der Fall eines positiv auf das Coronavirus getesteten Anästhesisten im Uniklinikum Salzburg hatte am Wochenende die Quarantäne für mehr als 100 Ärzte, Pfleger und die Besatzung eines Rettungshubschraubers zur Folge.

„Wir klappern im Moment den Weltmarkt ab, um mehr Schutzausrüstung zu bekommen“, so Anschober. Derzeit verfüge man zwar über genügend Ausstattung, doch präventiv wolle man neues Material anschaffen – schließlich wolle man auf alle Szenarien vorbereitet sein. Es gehe auch darum, „in Sachen Betten eine Entlastung zu erreichen“. Da gehe es um Zusatzstrukturen, etwa in der Wiener Messehalle, wo leichtere Fälle versorgt werden könnten.

„Aufschreie“ von Allgemeinmedizinern

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner verwies darauf, dass es besonders wichtig sei, das Gesundheitspersonal zu schützen. „Wir müssen uns jetzt wappnen, um in allen Spitälern genügend Schutzausrüstung zu haben.“ Von den Allgemeinmedizinern habe sie „Aufschreie“ gehört. Dass es bei Hausärzten fünf Prozent Ausfallsquote wegen Quarantänisierung gebe, sei ein Risiko.

Die SPÖ-Chefin forderte neben genügend Schutzausrüstung auch ausreichend Beatmungsgeräte für schwere Krankheitsfälle. Auch Schulungen für das Personal seien wichtig, jetzt habe man gerade noch Zeit dafür. Die größte Infektionsquelle bei der Ausbreitung von SARS im Jahr 2003 sei gewesen, „dass sich Personal beim An- und Ausziehen der Schutzkleidung infiziert hat“, so die Medizinerin.

Nehammer: „Korrektes Vorgehen“ in Ischgl

Nehammer verwies unterdessen auf ein „korrektes Vorgehen“ der Gesundheitsbehörden im Paznauntal mit Tourismus-Hotspots wie Ischgl und Galtür sowie St. Anton am Arlberg. Hier hatte es besonders viele Erkrankungen gegeben, Island warnte bereits früh vor Reisen in das Skigebiet. „Aus der Jetzt-Situation sagen alle Experten, dass da richtig vorgegangen worden ist.“ Er appellierte auch an die Eigenverantwortung, wenn man Symptome hat, die Hotline 1450 anzurufen.

Kritik zur Causa Ischgl äußerte FPÖ-Klubobmann-Stellvertreterin Belakowitsch. Bereits am 5. März habe es geheißen, dass „Ischgl ein Hotspot für Corona“ sei. Sie vermutete, „dass es sich einige richten konnten in der Tourismusbranche“. Die Verwaltung in Tirol habe nicht korrekt gearbeitet und Menschenleben riskiert – „und zwar bewusst und vorsätzlich“.

Virologin hofft auf Abklingen bis zum Sommer

Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Leiterin des Zentrums für Virologie der MedUni Wien, bestätigte die Angabe der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, wonach 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung bis zum Ende der Epidemie erkranken werden. Es dürfe nicht „innerhalb weniger Wochen zum Tragen kommen“. Die Virologin weiter: „Wir hoffen, dass wir bis zum Sommer ein Abklingen der Epidemie schaffen, aber es wird sicher ein paar Wochen und Monate dauern.“

Die Expertin appellierte an jeden Einzelnen, der ja selbst – etwa bei einem Herzinfarkt oder Motorradunfall – ein Krankenhausbett brauchen könnte. „Es ist in jedem einzelnen Interesse, dass das Gesundheitssystem funktioniert.“ Je weniger soziale Kontakte man derzeit habe, desto besser sei es, erinnerte Anschober. Der Gesundheitsminister erwartete „eine Krise, die uns monatelang beschäftigen wird“.

Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt

Das Coronavirus sorgt dafür, dass Österreich jetzt weitgehend stillsteht. Per „Ausgangsbeschränkung“ wird die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum weitgehend eingeschränkt. Alle Menschen sollen in ihren Wohnungen bleiben. Aufsperren dürfen nur noch Geschäfte, die der Grundversorgung dienen. Die Gastronomie darf nur noch am Montag bis 15.00 Uhr offen haben, danach dürfen Lokale nur noch für Lieferservices öffnen und nicht mehr von Kunden betreten werden.

Schulen und Kindergärten werden zwar nicht zugesperrt. Kinder, für die es keine andere Möglichkeit gibt, werden weiterhin betreut. Aber der Unterricht bzw. die Kindergartenpflicht sind ausgesetzt. Die Schüler erhalten Übungsaufgaben, wo das möglich ist, wird auf „Distance Learning“ umgestellt. Das ist auch an den Universitäten der Fall, die seit Montag zu sind.

Von der Ausgangsbeschränkung gibt es nur vier Ausnahmen: Berufsarbeit, die nicht aufschiebbar ist, dringend notwendige Besorgungen und Hilfe für andere Menschen. Darüber hinaus sind auch Spaziergänge gestattet, sofern diese alleine oder im Familienverbund (Personen, die in einem Haushalt leben) gemacht werden. Die Maßnahmen werden von der Polizei kontrolliert, im Bedarfsfall drohen empfindliche Verwaltungsstrafen.