Kind spielt zu Hause
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Coronavirus

Eltern und die „größte Herausforderung“

Von heute auf morgen hat sich das Leben verändert: Keine Schule, kein Kindergarten, Freizeitaktivitäten wie Handballtraining oder Pfadfinder fallen aus. Wann sie Freundinnen, Freunde und Großeltern das nächste Mal sehen, ist für viele Kinder und Jugendliche ungewiss. Sicherheit zu vermitteln, während man selbst verunsichert ist, sei für Eltern gerade „die größte Herausforderung“, sagt eine Expertin.

Spätestens mit dieser Woche sind Maßnahmen gegen das Coronavirus im Familienalltag angekommen. In Österreichs Schulen wird zwar im Bedarfsfall Betreuung angeboten, Unterricht findet aber nicht mehr statt. Kindergärten laufen auf Notbetrieb. Und auch Sport- und Spielplätze wurden im Zuge der landesweiten Ausgangsbeschränkungen mit Montag geschlossen.

„Natürlich wirkt sich all das, was jetzt gerade passiert, auch auf Kinder und Jugendliche aus“, so die Kinder- und Jugendpsychologin Claudia Rupp gegenüber ORF.at. Je mehr aber Eltern hilfreich und beruhigend zur Seite stünden und Vorbilder im Umgang mit dieser Ausnahmesituation seien, „desto besser und leichter wird sie auch für Kinder bewältigbar“.

Händewaschen und Zuhören

Besonders wichtig sei es, Kinder altersentsprechend und mit Fakten aufzuklären und gut über Hygienemaßnahmen zu informieren. Gerade jüngere Kinder seien auf Informationen durch die Eltern angewiesen. „Teenager versorgen sich vermutlich selbst mit Informationen über Medien und brauchen die Eltern eher als Ansprech- und Diskussionspartner und um seriöse Nachrichten von ‚Fake News‘ zu unterscheiden“, so Rupp.

Abseits vom Händewaschen gelte: Keine Panikmache, den Kindern zuhören, ihre Ängste ernst nehmen und ihnen Sicherheit vermitteln – „im Sinne von ‚gemeinsam schaffen wir das’“. Allerdings „ohne sie dabei anzulügen“, so die Psychologin.

Anstatt zu behaupten, „du brauchst keine Angst haben, in zwei Wochen ist das alles wieder vorbei“, sei es etwa sinnvoller, zu sagen, „ich verstehe, dass du dir Sorgen machst, aber wir versuchen alle unser Bestes, damit die Krankheit sich nicht weiter ausbreitet. Deshalb kannst du zurzeit auch deine Freundinnen, Freunde und die Großeltern nicht besuchen. Wir sind bei dir und passen auf dich auf, und falls du oder einer von uns krank wird, werden wir – wie sonst auch – alles tun, dass wir wieder gesund werden.“

„Sicherheit, Schutz und Geborgenheit“

Weil gerade kleine Kinder Dinge, die sie beschäftigen, gerne malen und zeichnen, rät Rupp, Zeichnungen vom Kind erklären zu lassen und darüber zu reden. Und überhaupt sei „im Gespräch bleiben“ immer wichtig. Denn nicht jedes Kind zeige, wie sehr es verunsichert sei.

Unterstützung am Telefon

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr unter der Notrufnummer 142 erreichbar.

Auch die Helpline des Berufsverbands der Österreichischen PsychologInnen bietet unter der Nummer 01/5048000 kostenlose Beratung an.

Den Kindern Sicherheit vermitteln und gleichzeitig selbst mit einer völlig neuen Situation konfrontiert und vielleicht überfordert zu sein – das sei gerade die größte Herausforderung für Eltern. Sei man selbst sehr besorgt, empfiehlt Rupp den Austausch mit Freunden, Kolleginnen und Verwandten. In besonders schwierigen Situationen gebe es professionelle Hilfe wie Krisentelefonangebote.

Denn: Auch wenn Eltern selbst verunsichert sind, sei es gerade in Krisenzeiten wichtig, „für das Kind da zu sein und Sicherheit, Schutz und Geborgenheit zu vermitteln“. Wenn das Kind möchte, sollte immer über die aktuelle Situation gesprochen werden, allerdings sollten Eltern sie „nicht aktiv zum einzigen Tagesthema machen“.

Wohnzimmer nicht zum Newsroom machen

Das bedeutet auch, sich im eigenen Medienkonsum zurückzunehmen. Viele verfolgen derzeit den ganzen Tag Sondersendungen in Fernsehen und Radio. Insbesondere jüngere Kinder sollten aber nicht übermäßig damit konfrontiert werden, sagt Rupp.

„Sie schnappen davon oft nur einige Wörter oder Bilder auf, die für sie extrem beunruhigend sein können oder sich mit der eigenen Realität vermischen und massive Angst auslösen können.“ Die Psychologin empfiehlt, Sondersendungen abends, wenn die Kinder im Bett sind, nachzuholen und sich auch erst dann mit anderen erwachsenen Familienmitgliedern – sofern vorhanden – oder am Telefon mit Freunden und Freundinnen auszutauschen.

Den ganzen Tag im Pyjama?

Doch auch der neue Familienalltag bringt ein paar Herausforderungen mit sich. Die meisten Kinder und Jugendlichen sind seit spätestens dieser Woche den ganzen Tag zu Hause. Vielen Eltern ist es möglich, im Homeoffice zu arbeiten. Das ist gut und sinnvoll, heißt aber auch: Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung in den eigenen vier Wänden unter einen Hut zu bringen.

Kindergartenkinder wollen unterhalten werden, Volksschulkinder brauchen Unterstützung bei den Arbeitsaufträgen für die Schule, das Mittagessen ist zu kochen, und zwischendurch trudeln E-Mails von Lehrerinnen und Lehrern mit Übungsblättern und Anleitungen für diverse E-Learning-Plattformen ein. In mehreren Blogs bieten Eltern mittlerweile Ratschläge und Materialien zur Strukturierung und Bewältigung des Alltags zwischen Homeoffice, Kinderbetreuung und Haushalt an.

Der Alltag sollte in der nächsten Zeit „noch besser als sonst“ strukturiert werden, empfiehlt auch Psychologin Rupp, mit klaren Lernzeiten und Freizeit. Gewohnte Routinen – vom Anziehen bis zum Abendritual – sollten beibehalten werden. „Vielleicht kann diese Zeit jetzt auch genützt werden zum Beispiel für ein gemeinsames Frühstück anstatt der üblichen Hektik in der Früh.“

Ausnahmen bei Bildschirmzeit

Kinder und Jugendliche werden in den nächsten Wochen wohl auch mehr Zeit als sonst vor einem Bildschirm verbringen. Einerseits schicken Lehrende Links zu E-Learning-Plattformen, es gibt Schulfernsehen und Apps, um Unterrichtsstoff zu üben. Andererseits kann so ein Tag zu Hause lang sein.

Kinder spielen zu Hause
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Unterhaltung, Lernen, Plaudern mit Freunden und Verwandten – vieles läuft in der nächsten Zeit digital

Bildschirmzeiten seien in nahezu allen Familien ein großes Thema, sagt Rupp, und „bevor Eltern die Decke auf den Kopf fällt und sie zwischen Homeoffice, Herd, Hund und tobenden Kindern nicht mehr die Nerven haben, über Beschränkungen der Bildschirmzeit zu diskutieren, dürfen sie auch einmal nachgeben“.

Und alleine für Videotelefonie und Chats mit Freunden, Freundinnen und Verwandten sollten Eltern in der aktuellen Situation mehr Bildschirmzeit erlauben. Allerdings: Neue Regelungen sollten auch klar als Ausnahmeregelungen tituliert werden, damit sie später auch ohne Konflikte wieder abgeändert werden können.