Ischgl in Tirol
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Coronavirus

Kritik an Krisenmanagement in Tirol

Hat Tirol rechtzeitig auf das Coronavirus im Skiort Ischgl reagiert oder nicht? Diese Frage sorgt aktuell für Debatten. Unmittelbarer Anlass: Die Aussagen von Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP), wonach die Behörden „alles richtig gemacht“ hätten. Hunderte Urlauberinnen und Urlauber sollen – ohne Tests – weitere Tage in Tirol verbracht haben. Auch international sorgt das für Schlagzeilen.

Der deutsche „Spiegel“ fragte am Dienstag unter dem Titel „Die Brutstätte“, ob hier etwa „Profit vor Gesundheit“ gegangen sei. „Touristen aus aller Welt“ hätten sich im Tiroler Paznauntal mit dem Virus infiziert. „Obwohl es längst Indizien gab, blieben in Tirol Lifte und Bars bis zum Wochenende geöffnet.“

Die aktuelle Verbreitung des Virus geht nach Angaben des Gesundheitsministers im deutschen Bundesland Baden-Württemberg, Manne Lucha (Grüne), auch besonders auf Kontakte in Skigebieten zurück. „Unser Problem heißt nicht Iran, es heißt Ischgl“, sagte er am Dienstag bei einer virtuellen Pressekonferenz in Stuttgart. „Die Apres-Ski-Partys in Tirol haben uns ein ganz großes Problem ins Land gebracht.“ Er glaube, dass die Behörden in Tirol „richtig agiert“ hätten, hatte dagegen Gesundheitslandesrat Tilg Montagabend im Interview mit der ZIB2 gesagt. „Die Behörden haben alles richtig gemacht.“

Nachdem am Freitag die Quarantäneverordnung für das Paznaun erlassen worden war, hätten Tausende Touristinnen und Touristen das Gebiet verlassen und hätten eigentlich umgehend die Heimreise antreten oder in Quarantäne abwarten müssen, schrieb der „Standard“ am Dienstag. Doch „plötzlich“ hätten sich am Freitag Hunderte „über ganz Tirol“ verteilt, die Landesregierung habe erklärt, auf eigene Faust. Auch ein Video feiernder Urlauber sorgte für Aufregung – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Regierung: Aus Fehlern lernen

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) meldeten sich Dienstagnachmittag zu Wort. „Man kann nirgendwo ausschließen, dass Fehler passieren“, sagte Anschober. Er berichtete, er habe sich die Daten vorlegen lassen, man werde das genau analysieren. „Schauen wir es uns an, wo hat es funktioniert, wo sind Fehler passiert“ – und weiter: „Dann braucht es auch Konsequenzen, um Verbesserungen zu erreichen.“

Innenminister Nehammer sagte, alle, die im Einsatz stehen, seien gezwungen, „ihr Bestes zu geben“. Und: „Ja, wir sind alle gefordert, aus Abläufen zu lernen, besser zu werden.“ Weitere Quarantänemaßnahmen (wie in Tirol, Vorarlberg und im Kärntner Heiligenblut) sind derzeit nicht in Vorbereitung, sagte Anschober. „Es wird jeden Tag evaluiert“, ob es zu lokalen „Clusterbildungen“ kommt und wie hoch das Risiko Ausbreitung ist. „Dann wird immer am selben Tag entschieden, gleichgültig wie der Ort heißt, ob es prominente Wirtschaftstreibende gibt oder nicht.“

„Skandal schadet Österreich“

Zuvor hatte es heftige Kritik am Vorgehen der Behörden gehagelt. Für die FPÖ sah Bundesparteiobmann Norbert Hofer Gesundheitsminister Anschober in der Pflicht und verlangte eine Stellungnahme des Ministers ob des „Skandals“. Tirols SPÖ-Chef Georg Dornauer forderte den Rücktritt Tilgs.

Tilg: „Behörden haben richtig reagiert“

Bernhard Tilg (ÖVP), Gesundheitslandesrat von Tirol, verteidigte das Krisenmanagement seines Bundeslandes in Sachen Coronavirus.

„Dieser Skandal schadet Österreich nachhaltig. Ich erwarte mir dazu endlich eine Stellungnahme von Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der sich als verantwortliches Regierungsmitglied mit Sicherheit über alle Details informiert hat“, erklärte Hofer in einer Aussendung. Das gestrige – „eher hilflos wirkende“ – Interview von Tilg in der ZIB2 lege den Verdacht nahe, dass dieser nun der Öffentlichkeit als „Bauernopfer“ präsentiert werden soll.

SPÖ Tirol fordert Tilgs Rücktritt

„Mittlerweile ist bewiesen, dass es Hunderte Corona-Fälle europaweit gibt, deren Epizentrum in Ischgl liegt. Die Zahlen steigen weiter an“, sagte der FPÖ-Chef. „Wir brauchen jetzt kein Scherbengericht. Zuerst gilt es, die Krise zu bewältigen, anschließend wird man sich aber sehr intensiv über diese Fehlentscheidungen unterhalten müssen“, so der Tiroler FPÖ-Landesobmann Markus Abwerzger.

Tilg sei mit der aktuellen Situation überfordert und mit seinen eigenen Fehlentscheidungen beschäftigt, sagte Dornauer. „Er muss mit sofortiger Wirkung abberufen werden“, verlangte Dornauer. Es brauche jetzt Experten im Gesundheitsressort. Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) stehe in der Verantwortung, so schnell wie möglich Maßnahmen zu ergreifen. Die Tiroler ÖVP übte wiederum Kritik an Dornauer. Der habe das Ausmaß der Krise nicht verstanden und wolle sich nun „medial in Szene setzen“.

Die Bundes-SPÖ wiederum verlangte in der Causa Aufklärung. „Was da in Ischgl passiert ist, muss jedenfalls aufgeklärt werden. Gewinninteressen dürfen niemals wichtiger sein als der Schutz von Menschenleben. Die parlamentarische Aufarbeitung folgt, sobald wir die Krise gemeinsam gemeistert haben“, so Gesundheitssprecher Philip Kucher Dienstag in einer Aussendung.

Laut Platter das „Menschenmöglichste“ getan

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) weist weiterhin jede Kritik am Vorgehen der Behörden in Ischgl zurück. Man habe in der jeweiligen Situation das „Menschenmöglichste“ getan, betonte er am Dienstag in einer Videopressekonferenz. Außerdem sei das Virus ja nicht in Ischgl entstanden, fügte er – wie zuvor Tilg – hinzu. Auch bei der Ausreise, die teilweise offenbar chaotisch abgelaufen sein dürfte, habe man das Möglichste getan, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten.

Es seien immerhin Tausende Touristen im Paznauntal gewesen. Die Einsatzleitung des Landes sei mittlerweile seit 22 Tagen aktiv. „Jede Frage und Maßnahme wurde dort diskutiert und entschieden“, sagte Platter. „Das waren keine politischen Entscheidungen, sondern sie sind in Absprache mit den Experten getroffen worden“, betonte der Landeshauptmann – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Platter: Abläufe müssen auf „Prüfstand“

Dienstagabend reagierte Platter erneut auf die Vorwürfe, dass die Tiroler Behörden zu spät gehandelt hätten. Man müsse im Nachhinein die Abläufe „auf den Prüfstand stellen und klären, was besser gemacht werden hätte können“, räumte Platter ein.

„Wir werden das auch rasch aufarbeiten müssen“, meinte der Landeshauptmann. Leider könne niemand „das Buch von hinten lesen“. Alles richtig zu machen sei angesichts dieser Krise nicht möglich. Nachdem die Situation überstanden wurde, müsse Tirol „daraus Lehren für die Zukunft ziehen“. In seinen Augen seien Entscheidungen „schnell“ getroffen worden und „sehr radikal“ – „aber diese Kompromisslosigkeit rettet am Ende Leben“, so der Landeshauptmann in einer Aussendung.

„Nicht die Zeit der Abrechnung“

„Mitten in einer der schwersten Krisen der letzten Jahrzehnte ist es ein Gebot der Stunde, zusammenzuhalten und an einem Strang zu ziehen. Jetzt ist nicht die Zeit der Abrechnung und der Krisenanalyse“, erklärte Liste-Fritz-Klubobfrau Andrea Haselwanter-Schneider. Aber auch sie nahm Gesundheitslandesrat Tilg in die Pflicht. Er habe die Verunsicherung mit seinem TV-Auftritt vergrößert. „So sieht Krisenmanagement definitiv nicht aus. Die Menschen erwarten sich klare Worte und kein Herumeiern, Verschleiern und Vertuschen.“

Grafik zu Ausgangsbeschränkungen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Bundeskanzleramt

NEOS übte scharfe Kritik sowohl an Platter als auch an Tilg. „Es ist unerträglich, wie die verantwortlichen Tiroler Landespolitiker in der Causa Ischgl herumlavieren“, so Gesundheitssprecher Gerald Loacker in einer Aussendung. „Politiker mit Verantwortungsbewusstsein“ würden Fehler einfach eingestehen und alles daransetzen, dass sie sich nie mehr wiederholen. „Aber Platter und Tilg behaupten einfach stur weiter, alles richtig gemacht zu haben. Das ist in vielerlei Hinsicht verantwortungslos.“