Eine Frau mit Unterlagen vor einem Laptop mit einem kleinen Mädchen neben ihr
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Coronavirus

Alleinerziehende geraten ans Limit

Das Coronavirus verlangt allen Anstrengungen ab, mehrfach belastet sind aber Alleinerziehende. Schon im „Normalzustand“ sind sie häufig armutsgefährdet, Zeitplanung und Betreuung ein Kraftakt. Derzeit gibt es keinen Unterricht, Großeltern fallen aus, gearbeitet werden muss trotzdem, und nebenbei sollen die Kinder Schulaufgaben machen – und alles bleibt an einer Person hängen, die nun auch vielfach um ihre finanzielle Existenz bangen muss. Unter Alleinerziehenden herrscht „Sorge, Überforderung und viel Angst“.

„Die größten Probleme sind die Betreuung, die Arbeit, das Finanzielle und die Kontaktregelungen“, schildert Doris Pettighofer von der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende gegenüber ORF.at. „Wir wissen: Die Alleinerziehenden schaffen die Kinderbetreuung größtenteils nur mit dem sozialen Netzwerk. Großeltern, Freunde, Nachbarn, Eltern von Schulkollegen. Das bricht jetzt alles weg.“

In Österreich gab es 2019 rund 167.000 Familien mit Alleinerziehenden, 91 Prozent davon Frauen. Viele von ihnen kämpfen seit Verhängung der Ausgangsbeschränkungen damit, Arbeit, Kinderbetreuung, Schulbildung und den Haushalt weitgehend allein unter einen Hut zu bekommen: „Es gibt Alleinerzieherinnen, die sich ausschließlich alleine um die Kinder kümmern. Jetzt sind sie Lehrerinnen auch noch. Viele sagen: Ich muss jetzt dreimal am Tag kochen, daneben arbeiten und die Kinder betreuen. Manche haben nur einen PC in der Wohnung, viele leben in beschränkten Wohnverhältnissen. Sie wissen nicht, wie sie das anstellen sollen“, so Pettighofer.

Arbeitspflicht und Nachtstunden im Homeoffice

In vielen Fällen kommen aktuell zu der Betreuung am Tag noch Stunden der Nachtarbeit im Homeoffice hinzu. Besonders herausgefordert sind aber Alleinerziehende, die auswärts arbeiten gehen müssen. Dazu zählen etwa Angestellte im Lebensmittelhandel oder im Gesundheitsdienst, auch die Produktion läuft vielerorts wie gehabt. Oft ist die Situation auch dann prekär, wenn sich Eltern die Betreuung teilen können – etwa dann, wenn beide in „systemrelevanten“ Berufen arbeiten.

Junge Mutter und ihre zwei kleinen spielenden Kinder
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Viele Alleinerziehende stehen aktuell vor einer Mammutaufgabe

„Hier müssen Alleinerziehende die Betreuung trotzdem in einem informellen Bereich regeln, und am Ende hat jeder ein schlechtes Gewissen“, schildert Pettighofer. Zwar gibt es ein Betreuungsangebot für Kindergarten- und Schulkinder, doch viele Eltern hätten gesundheitliche Bedenken. Zuletzt warnten etwa in Salzburg Elementarpädagogen davor, die Kindergärten weiter offenzuhalten. Die empfohlenen Schutzmaßnahmen könnten bei kleinen Kindern nicht eingehalten werden. Damit könnte das Virus über die Kinder erst wieder in „systemrelevante“ Gruppen getragen werden.

Diese Gruppen profitieren auch nicht von dem Sonderurlaub, den die Regierung als Entlastungsmaßnahme vorgesehen hat. Aktuell ist vorgesehen, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit Betreuungspflichten für Kinder unter 14 Jahren für bis zu drei Wochen eine bezahlte Sonderbetreuungszeit bekommen sollen. Dabei deckt der Staat ein Drittel der Lohnkosten. Aber: Solange Schulen und Kindergärten geöffnet sind, braucht es das Einverständnis des Unternehmens. Zudem sind Beschäftigte im „versorgungskritischen Bereich“ eben ausgenommen. Grundsätzlich sei die Maßnahme aber zu begrüßen, so Pettighofer.

Finanzielle Sorgen enorm

Enorm sind nicht nur die Überbelastung, sondern auch die finanziellen Sorgen. Bereits in normalen Zeiten sind 44 Prozent der Alleinerziehenden laut der EU-Befragung SILC Prozent armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Dies dürfte sich nun verschärfen. Aktuell seien vor allem jene bedroht, die ihre Existenz über mehrere Schienen sichern – etwa über Nebenjobs und unregelmäßige Aufträge, über Trinkgelder (die jetzt angesichts der geschlossenen Gastronomie wegfallen) und Unterhaltszahlungen, die wiederum wackeln könnten, wenn auch der Ex-Partner wirtschaftlich von der aktuellen Situation getroffen wird.

„Wir haben große Sorgen, dass Menschen, die sich gerade noch über Wasser halten können, jetzt in die Armut rutschen“, so Pettighofer. Befürchtet wird, dass diese irregulären Formen des Einkommens in den Hilfsmaßnahmen der Regierung nicht mitgedacht werden. Man befinde sich mit dem Familienministerium im Gespräch für weitere Maßnahmen.

Gefordert wird eine Art Nothilfefonds für Menschen, die nicht von den auf Unternehmen fokussierten Maßnahmen profitieren. „Schutzschirme müssen einer Sozialverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Besonderen Fokus braucht es auf jene, die gerade an der Schwelle zur Armut stehen“, so Pettighofer. Ein Lob richtet sie an die Betriebe: Sie sehe hohe Kompromissbereitschaft und Verständnis.

Besuche des anderen Elternteils möglich

Eine drängende Frage ist auch, wie in den kommenden Wochen der Kontakt zum anderen Elternteil geregelt wird. Am Donnerstag hatte es seitens des Justizministeriums geheißen, dass es keinen Kontakt geben darf und sich das Kind beim betreuenden Elternteil aufhalten muss. Das dürfte wohl bei einigen für erheblichen Schock geführt haben – vor allem bei jenen, die sich die Betreuung aufteilen.

Mittlerweile hat das Justizministerium den Passus wieder zurückgezogen. Kinder dürften den getrennt lebenden Elternteil weiterhin besuchen. „Auch bei getrennt lebenden Eltern muss ein Besuch der eigenen Kinder weiterhin möglich sein“, so Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Eine entsprechende Ausnahme soll festgeschrieben werden. Das ist für all jene maßgeblich, die sich die Kinderbetreuung aufteilen.

Pettighofer fordert nun, dass die Informationsangebote für Alleinerziehende ausgebaut werden. „Wir brauchen Informationen, wo sich die Leute hinwenden können, wenn es Probleme gibt.“ Der Verein wolle Alleinerziehende aktuell so weit möglich unterstützen, sie aktiv ansprechen. Dabei geht es nicht nur um die Überbrückung der nächsten Wochen. Es herrsche „Angst, wie lang das dauert, und was noch alles daherkommt. Das versetzt die Leute schon in echte Panik.“

Ansprechstellen und Informationen für Alleinerziehende:

Die Österreichische Plattform für Alleinerziehende sieht sich als Interessenvertretung von Alleinerziehenden, getrennt lebenden Eltern, Patchworkfamilien und deren Kindern und kann auch an Organisationen in den Ländern vermitteln.

Der österreichweit tätige Verein Family Business hat angesichts der Coronavirus-Krise die „Task Force Kinderbetreuung“ ins Leben gerufen. Im Ernstfall kann jederzeit Kinderbetreuung zu Hause bzw. in den Unternehmen gewährleistet werden.

Auch die Kontaktstelle für Alleinerziehende der Erzdiözese Wien bietet Beratung und Hilfe.

Die Familienberatungsstelle des Bundeskanzleramts informiert über das Thema Familie, Alleinerziehen in Wien wendet sich speziell an alleinerziehende Wienerinnen und Wiener und bündelt Informationen zum Thema.

Das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend informiert aktuell über die Themen Coronavirus und Familie.

Rat auf Draht bietet auch telefonische Beratung für Eltern.