Tabletten
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Coronavirus

Schwierige Lage für chronisch Kranke

Für chronisch Kranke stellt das Coronavirus nicht nur ein hohes Risiko für die Gesundheit dar, die Pandemie sorgt auch für Einschnitte im Leben von Betroffenen. Die Palette an Problemen reiche von ausverkauften Desinfektionsmitteln bis zu Problemen bei der 24-Stunden-Pflege, so Jürgen Holzinger, Obmann des Vereins ChronischKrank gegenüber ORF.at.

Holzinger und sein Team haben in den vergangenen Tagen Hunderte Gespräche mit Betroffenen aus ganz Österreich geführt. Die meisten Anfragen betrafen den Bereich Arbeit. Bei vielen chronisch Kranken schwächen entweder die Grunderkrankung oder die Medikamente das Immunsystem. Arbeiten müssen sie trotzdem, auch in Spitälern oder an der Supermarktkasse, wo das Infektionsrisiko potenziell hoch ist.

„Wir empfehlen diesen Menschen, Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufzunehmen und ihn das Risiko abschätzen zu lassen. Wenn hohes Risiko besteht, sollte man sich unbedingt arbeitsunfähig schreiben lassen“, so Holzinger. Im Einzelhandel wurde von den Sozialpartnern eine Lösung erzielt. Im Handel Beschäftigte, die zu Risikogruppen gehören, sollen nicht mehr dem Kontakt mit Kundinnen und Kunden ausgesetzt werden, wie am Donnerstagabend bekanntgegeben wurde.

Ein zweites gewichtiges Problem, das viele chronisch Kranke derzeit betrifft, ist das Fehlen von Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung für den Gebrauch in den eigenen vier Wänden. Manche müssen selbst Katheter setzen, andere leiden unter chronischen Wunden. Die dafür vorgeschriebenen Desinfektionsmittel und Mundschutz seien aber momentan oftmals weder in Ambulanzen noch in Apotheken zu bekommen, berichtete Holzinger unter Berufung auf Gespräche mit Betroffenen.

Pflegepersonal in Quarantäne

Als drittes großes Thema zeichnen sich immer deutlichere Engpässe bei der 24-Stunden-Pflege und -Betreuung ab. Binnen drei Tagen hätte der Verein ChronischKrank diesbezüglich 367 Anfragen verzeichnet, so Holzinger. Ohne Kräfte aus den östlichen EU-Staaten geht es hierzulande in diesem Bereich nicht. Die rigorosen Grenzkontrollen und Quarantänevorschriften, mit denen diese Länder die Verbreitung des Coronavirus eindämmen wollen, haben deshalb auch Auswirkungen auf die Situation Betroffener in Österreich.

Junger Mann verwendet Inhallationsgerät
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Das Coronavirus stellt nicht nur eine besondere Gefahr für chronisch Kranke dar, sondern wirbelt auch ihren Alltag durcheinander

„Wir wissen von Betroffenen, dass sehr viele Betreuerinnen in ihren Ländern in Quarantäne sind“, sagte Holzinger. Das sei etwa in der Slowakei der Fall. Unter den 66.000 Beschäftigten im Bereich der 24-Stunden-Pflege machen Slowakinnen nach Rumäninnen die zweitgrößte Gruppe aus. Zudem sind am Freitag zusätzliche Regelungen in Kraft getreten, die eine Einreise weiter erschweren – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Verein ChronischKrank

Der Verein ChronischKrank bietet jeweils am Montag- und Dienstagvormittag telefonische Beratung an und nimmt auch per E-Mail Anfragen entgegen. Infos und Kontaktmöglichkeiten sind unter chronischkrank.at abrufbar.

Bei vielen schweren Pflegefällen werde die Betreuung derzeit in der Familie organisiert, so Holzinger. Einen Lichtblick sieht er in den 1.000 ehemaligen Zivildienern aus dem Rettungs- und Pflegebereich, die sich bereits freiwillig für einen außerordentlichen Zivildienst von April bis Juni gemeldet haben. Sollte sich in den nächsten drei Wochen keine Lösung für das Problem finden lassen, drohe das System der 24-Stunden-Pflege zu kippen, berichtete der „Standard“. Mit viel „Improvisation“ ließe sich die 24-Stunden-Pflege trotz geschlossener Grenze nur noch bis Ostern durchhalten, hieß es etwa seitens Caritas gegenüber der Zeitung.

Nachbarschaftshilfe nicht überall verfügbar

Ein vierter Punkt, der chronisch Kranke derzeit beschäftigt, ist das Erledigen von Besorgungen für den täglichen Bedarf. Für Menschen mit Vorerkrankungen stellt das Virus eine besondere Gefahr dar. Entsprechend sollten sie Orte meiden, an denen viele Individuen zusammenkommen – wie Supermärkte, Apotheken oder Ordinationen.

Wie Betroffene in diesem Bereich Unterstützung bekommen, sei österreichweit nicht einheitlich geregelt, sagte Holzinger. Wien etwa habe eine Hotline für Betroffene eingerichtet. In anderen Bundesländern sind es die Gemeinden, die Hilfe anbieten. Vor allem in Ortschaften in ländlichen Regionen gebe es oftmals gar keine Unterstützung, so Holzinger: „In diesem Fall können wir die Anliegen der Betroffenen nur an die zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden weiterleiten.“

Was die Vermeidung von Arztbesuchen betrifft, gibt es seit dieser Woche eine Erleichterung seitens der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). „Medikamenten- und Hilfsmittelverordnungen kann man jetzt ja auf dem elektronischen Weg beziehungsweise telefonisch abwickeln mit den Ärzten“, so Holzinger.

Persönliche Schicksale

Neben den großen Fragestellungen erreichen Holzinger und sein Team auch Schilderungen dramatischer Einzelschicksale. „Es hat uns jemand kontaktiert, dessen Frau mit akutem Hirntumor im Spital liegt. Sie wäre operiert worden, aber die OP wurde verschoben wegen der Maßnahmen gegen das Coronavirus“, berichtete Holzinger.

In den Spitälern werden nicht dringende Eingriffe und Operationen derzeit wegen des Coronavirus verlegt, ebenso wie Vor- und Nachsorgeuntersuchungen. „Nicht dringend ist aber immer relativ“, so Holzinger, die Betroffene hatte Beschwerden wie starke Migräne. Letztlich hat sich laut Holzinger eine Lösung finden lassen. Man habe den Fall an Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) weitergeleitet. „Er hat uns geschrieben, dass ihm der zuständige Oberarzt gesagt hat, dass die Frau doch noch operiert wird“, so Holzinger.