Menschen während eines Videochats
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Virtuelle Kontakte

Soziales Leben in Zeiten des Coronavirus

Die Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus haben vor allem einen Zweck: Direkte Begegnungen sollen auf ein Minimum beschränkt und damit die Kurve der Neuinfektionen abgeflacht werden. Möglichkeiten, mit Familie, Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben, gibt es aber – Digitalisierung sei Dank – trotzdem.

Für viele geht es in diesen Tagen um ganz existenzielle Fragen: Werde ich meinen Job behalten oder nach der Krise wieder einen finden? Wie kann ich Arbeit und Kinderbetreuung zu Hause unter einen Hut bringen? Wird die Großmutter auch in den kommenden Wochen noch jemand pflegen? Vor solch existenzbedrohenden Unsicherheiten verblassen viele Alltagsprobleme. Doch auch wer das Glück hat, von substanziellen Sorgen verschont zu sein: Herausfordernd ist die derzeitige Situation für jede und jeden.

Mit „Niemand ist eine Insel“ prägte der englische Dichter John Donne vor 400 Jahren einen geflügelten Satz, der eigentlich noch weitergeht und im Ganzen lautet: „Niemand ist eine Insel, in sich ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes.“ Seit Langem hat diese Aussage wohl nicht mehr so eindringlich nachgeklungen wie in diesen Tagen, in denen wir – jeder und jede für sich – in unseren Wohnungen und Häusern sitzen, in denen wir versuchen, so wenigen Menschen wie möglich zu begegnen und dort, wo es unvermeidlich ist – im Stiegenhaus, auf dem Gehsteig, im Supermarkt –, den Abstand zu den anderen nie kleiner als einen Meter werden zu lassen.

Distanz zu den am nächsten Stehenden

All das tun wir, weil wir eben keine Inseln, sondern Teil einer Gesellschaft sind, weil unser aller Handeln mit darüber entscheidet, wie tief sich das Virus in unsere Gesellschaft eingräbt. Indem wir die Regeln des „Social Distancing“ befolgen, schützen wir nicht nur uns selbst, sondern auch – oder sogar gerade – andere Menschen, nicht zuletzt jene, die uns nahestehen.

„Social Distancing“ – Abstand halten

Aber es heißt eben auch, dass wir genau die Menschen, die wir gerne treffen, zurzeit nicht mehr sehen dürfen. Besuche bei den Eltern und Großeltern sind abgesagt. Familienfeiern auf unbestimmte Zeit verschoben. Und den Samstagabend verbringen wir auch nicht mehr gemeinsam mit Freundinnnen und Freunden – zumindest nicht im realen Raum.

Von der Science-Fiction aufs Smartphone

Eines ist klar: Hätte uns das Coronavirus vor 20 oder 30 Jahren erwischt, es hätte unseren Kontakt mit der Außenwelt noch viel stärker beeinträchtigt. Ein Videoanruf per Handy bei den Enkelkindern ist heute für viele Großeltern keine unlösbare Aufgabe mehr. Und auch das Zusammenschalten gleich mehrerer Gesprächspartner ist weit von Hexerei entfernt. Waren Videokonferenzen noch rund um die Jahrtausendwende Geheimdiensten, Regierungen und den ganz großen Firmen vorbehalten, so ist das, was vor wenigen Jahrzehnten noch als Science-Fiction galt, inzwischen auf quasi jedem Smartphone, Tablet und Laptop angekommen.

Videokonferenz
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Videokonferenzen sind inzwischen Alltag – umso mehr in Zeiten des „Social Distancing“

Neben den Videofunktionen diverser Onlinemessenger bringen Anwendungen wie Zoom, das Microsoft-Programm Teams oder das Open-Source-Projekt Jitsi unsere Gegenüber in Bild und Ton in die eigenen vier Wände. Auch der heimische Mobilfunker A1 bietet gemeinsam mit dem österreichischen Unternehmen eyeson ein – in den kommenden drei Monate kostenloses – Vidoekonfernez-Tool an. Entwickelt wurden die Programme vor allem als Werkzeuge für den Berufsalltag: Sie sollten einer großen Anzahl von Menschen die Teilnahme an Videokonferenzen vom eigenen Schreibtisch aus erlauben. Und genau dafür kommen sie in diesen Zeiten natürlich auch im großen Stil zum Einsatz.

Familientreffen statt Business-Meeting

Es sind aber nicht allein die Arbeitsbesprechungen aus den Homeoffices, die den Programmen zurzeit einen gewaltigen Zulauf verschaffen. Auch viele Unis nutzen in Zeiten des Coronavirus für ihre Kurse Videkonferenz-Apps. „Wir möchten Sie dazu ermutigen, das ‚Social Distancing‘ besser als ‚Physical Distancing‘ zu verstehen. So wichtig die räumliche Distanz ist, so wichtig sind zugleich soziale Kontakte, ohne einander physisch zu treffen“, heißt es etwa auf der Website der Johannes Kepler Universität Linz. Ebenso setzen Anbieter abseits der Unis, wie zum Beispiel das Österreichische Lateinamerika-Institut in Wien, in der aktuellen Situation auf Videochats.

Neben Chefin und Mitarbeitern nehmen im virtuellen Konferenzraum aber nun auch Oma, Papa, Geschwister und Enkelkinder Platz. Dann geht es in den Gesprächen nicht um Arbeitspakete und Projektfortschritte, sondern darum, ob im Supermarkt wieder alles erhältlich ist. Oder was mit Papas Frisur passiert, wenn er jetzt mehrere Wochen nicht mehr zum Friseur gehen kann.

Feierabendbier in virtueller Runde

Zugleich wanderte in den vergangenen Tagen bei vielen das Feierabendbier in den virtuellen Raum. Per Videoschaltung Kolleginnen und Freunden zuzuprosten mag kein vollwertiger Ersatz für die Runde im Beisl sein. Besser als jeden Abend alleine zu verbringen ist es allemal. Solange die Internetverbindung stabil ist, lässt es sich fast vergessen, dass die anderen gar nicht im selben Raum sitzen.

Und bisweilen hält die virtuelle Runde sogar noch ein paar Boni bereit: Eine gute Freundin hat ihre Wohnung renoviert, aber es ist sich seither nie ausgegangen, auf einen Sprung vorbeizuschauen? Jetzt gibt sie allen in der Runde zumindest eine Videoführung. Ein Paar kommt, seit die Kinder auf der Welt sind, kaum noch gemeinsam zu den Freunderunden? Jetzt können sie zumindest gemeinsam vor dem Bildschirm sitzend am virtuellen Tisch Platz nehmen.

Das Brettspiel als Netzspiel

Die Möglichkeiten enden nicht beim Plaudern und gemeinsamen Trinken. Zugegeben: Gesellschaftsspiele bildeten bereits in Zeiten ohne Coronavirus eine Wasserscheide, an der sich die Fans von den Verächtern trennten. Wer zu Ersteren gehört, muss jedenfalls auch in der Selbstisolation nicht auf seine Spielrunden verzichten. Gleich mehrere Anbieter im Netz holen Brettspiele in den virtuellen Raum.

Menschen spielen Brettspiel
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Scrabble in der Freunderunde ist – zumindest im „Real Life“ – zurzeit tabu

Die Bandbreite reicht dabei von grafisch recht einfachen Umsetzungen wie auf Brettspielwelt.de bis hin zu aufwendig 3-D-modellierten Spieltischen, wie sie zum Beispiel Tabletopia.com bietet. Manche Angebote sind gratis, für andere werden – vor allem für Zusatzleistungen – Gebühren fällig. Allen gemeinsam ist aber, dass man gegen „echte“ Menschen – und damit auch gegen die eigenen Freundinnen und Freunde – spielen kann.

Das erlaubt auch die Website Quizshow-trainingslager.de. Ein kleines Team hat dort in den vergangenen Jahren eine virtuelle Quizarena zusammengebastelt. Bis zu acht Spielerinnen und Spieler können gegeneinander antreten. Über 22.000 Quizfragen hat die Seite bisher zusammengetragen – und glaubt man den Betreibern, wird die Zahl in den kommenden Tagen noch einmal ansteigen. Nutzerinnen und Nutzern reichten zuletzt sehr viele neue Fragen ein, schrieb der Seitenbetreiber vor wenigen Tagen.

Altbekanntes für Gamer

Eine Gruppe kann über solche Angebote aber vielleicht nur müde schmunzeln: Für viele Gamerinnen und Gamer spielte sich bereits vor der Coronavirus-Krise ein bedeutender Teil ihres sozialen Lebens im Netz ab. Seit Anfang der 1990er Jahre die ersten Massively Multiplayer Online Games (MMO) auf den Markt kamen, wuchs der Markt beständig.

Videospielerin
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Viele Gamerinnen und Gamer kennen das soziale Leben im virtuellen Raum schon lange

Inzwischen haben Multiplayer-Spiele bei den Verkaufszahlen jene Games, die man nur für sich alleine spielt, deutlich abgehängt. In Zeiten des „Social Distancing“ wird sich dieser Trend sicher nicht umkehren. Die Gaming-Plattform Steam verzeichnete vergangenes Wochenende einen neuen Zugriffsrekord: Zum ersten Mal waren mehr als 20 Millionen Nutzerinnen und Nutzer zur gleichen Zeit online, über sechs Millionen von ihnen spielten gleichzeitig. Das beliebteste Spiel war übrigens ein alter Bekannter: „Counter-Strike“.