Vizekanzler Werner Kogler, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel
APA/Georg Hochmuth
Ministerrat

38-Milliarden-Euro-Hilfspaket angekündigt

Für die schwer angeschlagene Wirtschaft wird es ein bis zu 38 Milliarden Euro schweres Hilfspaket geben. Das sagten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Mittwoch nach dem Ministerrat. Vor dem Umstand, dass vielen Unternehmen die Geschäftsgrundlage weggebrochen sei, dürfe man die Augen nicht verschließen, so Kurz. Man wolle massenhafte Arbeitslosigkeit verhindern und dagegen „alles Menschenmögliche“ tun.

Der Staat müsse in guten Zeiten sparsam sein, damit er in schlechten Zeiten mehr ausgeben könne. Das sei jetzt der Fall. „Unser Zugang ist, koste es was es wolle, um Arbeitsplätze zu sichern“, so Kurz. Das bestehende Paket von vier Mrd. Euro wird auf 38 Mrd. erhöht – das ist fast die Hälfte des Budgets für das Vorjahr. Die Notfallhilfe für Branchen, die besonders betroffen sind, wird auf 15 Mrd. Euro aufgestockt, weitere zehn Mrd. Euro gebe es an Steuerstundungen, neun Mrd. Euro für Kreditgarantien.

Es handle sich um die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg – die Folgen seien größer als jene der globalen Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. Deshalb brauche es besondere und dramatische Maßnahmen, um gegenzusteuern, sagte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Die wichtigste Botschaft sei: „Alles, was es braucht – koste es, was es wolle – für Arbeitsplätze und Unternehmen“, sagte auch Kogler.

Die Finanzhilfen sollen zwar grundsätzlich allen Unternehmen offenstehen – zuerst soll aber direkt von der Krise betroffenen Branchen geholfen werden, sagte Kogler. Wer das sein wird, werde man aber erst nach Tagen oder Wochen sehen.

Von „ganz Kleinen“ bis zu „ganz Großen“

Man solle nicht „eifersüchtig“ sein, so Kogler, „aber wir helfen erst einmal jenen, die es am nötigsten brauchen“. Die Maßnahmen sollen gestaffelt nach Branchentypen ergriffen werden. Zuerst würden diese jenen gelten, „wo die Auswirkungen besonders hoch sind“. Das solle „von Einpersonenunternehmen bis rauf zu den Großen“ erfolgen – „ob das die ganz, ganz Kleinen sind oder die ganz Großen, damit wir diese stützen und helfen, damit die Arbeitsplätze in dieser Durststrecke erhalten bleiben“, so Kogler. Man wolle Dominoeffekte verhindern. Nur weil ein Unternehmen gerade zu wenig Geld in der Kasse habe, also zu wenig Liquidität, solle es nicht in Schwierigkeiten kommen.

„Wir werden jeden Betrag zur Verfügung stellen“

Man müsse jetzt tun, was nötig ist, um zu helfen, sagte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) – „wir leben in einer neuen Zeitrechnung“. Mittlerweile seien fast alle Branchen betroffen. Das Budget werde ganz anders ausfallen, als er sich das vor einer Woche gedacht habe. „Wir wissen nicht, welche Zahlen im Rechnungsabschluss drinstehen. Es ist auch in budgetärer Hinsicht eine Ausnahmesituation.“ Man werde jeden Betrag zu Verfügung stellen, um durchzukommen.

Die Gelder des zuletzt beschlossenen Vier-Mrd.-Euro-Pakets seien schon ausbezahlt, so Blümel. Verwendet worden seien sie etwa für den Ankauf von medizinischen Produkten. „Wir haben aber gewusst, dass das Geld nicht reichen wird.“ Seit Montag könnten Unternehmen Schnellanträge an das Finanzministerium stellen, um derzeit keine Steuern zu zahlen.

Budgetrede entfällt

Die traditionelle Budgetrede wird wegen der Coronavirus-Krise erstmals seit 1953 entfallen. Das Budget wird zwar am Donnerstagabend in den Nationalrat eingebracht und am Freitag debattiert. Blümel wird dabei aber nur eine Erklärung zur budgetären Situation abgeben. Sein Budget sieht Blümel nur als „Momentaufnahme“.

Pressefoyer nach dem Ministerrat

mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Die Grünen).

Mit dem zweiten – fast um ein Zehnfaches höheren – Hilfspaket signalisiert die Regierung: Sie will alles tun, um starke Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt und eine Pleitewelle zu verhindern. Auch wenn sich die Lage noch nicht annähernd seriös abschätzen lässt, diese Signale, dass der Staat alles in Gang setzt, um einerseits Menschenleben zu retten – aber andererseits auch, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, sind jetzt essenziell.

Alleine Montag und Dienstag wurden zusammengerechnet um 49.000 Arbeitslose mehr als noch Sonntagabend gemeldet, so AMS-Chef Johannes Kopf. Betroffen von der „enormen Steigerung“ seien großteils Beschäftigte aus „dynamischen Branchen“, der Großteil aus dem Bereich Beherbergung und Gastronomie (20.000), 4.500 vom Bau und 3.900 aus dem Bereich Arbeitskräfteüberlassung.

Hilfspaket in Ausarbeitung

Derzeit sind allerdings noch viele entscheidende Punkte unklar. Nicht nur die Details des nunmehrigen 38-Milliarden-Hilfspakets, sondern auch jene des zuvor angekündigten Vier-Milliarden-Hilfspakets sind noch in Ausarbeitung. Erste Details dazu kündigte Blümel für Montag an. Erst dann wird für die einzelnen Unternehmen wohl abschätzbar, mit welcher staatlichen Hilfe sie rechnen können.

Unklarheit bei Entgeltfortzahlung

Unsicherheit herrscht etwa bezüglich der Entgeltfortzahlung, die auch für Selbstständige gelten kann. Diese ist laut Epidemiegesetz vorgesehen – diese Bestimmungen wurden durch die Coronavirus-Sondergesetze am Sonntag von der Regierung allerdings außer Kraft gesetzt. Derzeit ist unklar, ob damit Angestellte eines Betriebs, der schließt, um die – vom Staat finanzierte – Entgeltfortzahlung umfallen. Mehrere vom „Standard“ befragte Juristen waren sich in der Frage nicht einig.

ÖGB und Arbeiterkammer verwiesen am Mittwoch auf ein Rechtsgutachten, das dem Gewerkschaftsbund vorliegt, wonach auch geschlossene Betriebe ihren Mitarbeitern weiter Entgelt zahlen müssen. Sollten Nachschärfungen nötig sein, wäre die Regierung dazu bereit, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Die steuerlichen Erleichterungen, die die Regierung gewährt, etwa die Stundung von Steuerleistungen, stehen dagegen fest. Sie können von Unternehmen bereits beim Finanzministerium beantragt werden – und das geschieht auch bereits.

Weitreichendere Ankündigungen in Deutschland

Mit den Ankündigungen vom Mittwoch folgt die ÖVP-Grünen-Regierung dem Beispiel Deutschlands. Dort wurden den Unternehmen bereits in der Vorwoche Kredite in unbegrenzter Höhe durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die staatliche Förderbank, zugesichert. Frankreich seinerseits hatte zuletzt angekündigt, notfalls werde man Unternehmen verstaatlichen, um deren Pleite zu vermeiden.

Positive Reaktionen

Erste Reaktionen auf das Paket fielen positiv aus, so etwa vonseiten der SPÖ. Die Partei verwies jedoch darauf, das „schon von Anfang an“ gefordert zu haben, wie der stellvertretende Klubvorsitzende Jörg Leichtfried in einer Aussendung betonte. Unterstützungsleistungen für Unternehmen müssten aber an Jobgarantien geknüpft werden. Demnach dürften keine Unternehmen Unterstützungsleistungen erhalten, die jetzt Mitarbeiter vor die Tür setzen. Auch sollte für die Zeit der Maßnahmen ein Kündigungsverbot bestehen, verlangte Leichtfried.

FPÖ: „Erste Etappe“

NEOS begrüßte die Aufstockung, ob diese reicht, müsse sich aber erst zeigen. Die Freiheitlichen sahen darin nur eine „erste Etappe“. Für die Bankenrettung habe die Republik 100 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt, daher könne es für die Arbeitnehmer und Selbstständigen „keinen Deckel geben“, argumentierten FPÖ-Chef Norbert Hofer und Klubobmann Herbert Kickl in einer gemeinsamen Aussendung. Auch müssten Wirtschaftstreibende einen Rechtsanspruch auf Abgeltung der Verluste bekommen, Arbeitnehmer eine Arbeitsplatzgarantie.

„Es ist eine notwendige Entscheidung, dass hier endlich mehr getan wird“, so NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. NEOS habe das bereits seit Tagen gefordert. Wesentlich sei, dass die ersten Maßnahmen greifen, sonst drohe eine Abwärtsspirale, die nicht mehr zu stoppen sein wird.

Laut NEOS-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn müsse „maximale Sicherheit und Zuversicht“ das Ziel sein. Der bürokratische Aufwand müsse hingegen so minimal wie möglich gehalten werden. Schellhorn erwartete sich zudem einen finanziellen Beitrag der Wirtschaftskammer, die über 1,6 Mrd. Euro an Rücklagen verfüge.

WIFO und IHS begrüßen Maßnahmen

Positiv äußerten sich auch das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) und das Institut für Höhere Studien (IHS): „Ich halte das für grundvernünftig. Man muss diesen Schritt gehen, what ever it takes“, so WIFO-Chef Christoph Badelt. Was die Hilfen für das Bruttoinlandsprodukt und das Defizit bedeutet, „kann man seriös nicht sagen“. Aber es sei „wichtig und richtig, diese Zeichen zu setzen“, so Badelt.

Für IHS-Chef Martin Kocher sind die 38 Milliarden Euro eine „substanzielle Summe, die in den nächsten Wochen und Monaten einen wirtschaftlichen Schutzschirm“ bilden. Er belaufe sich auf rund zehn Prozent des BIP in Österreich. „Das ist schon sehr viel. Natürlich sind die Ausfälle auch groß, die jetzt passieren, aufgrund des Herunterregelns der Wirtschaft, aber mit 38 Milliarden kommt man schon sehr weit“, so Kocher.