Junge Frau blickt besorgt aus einem Fenster
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Soziale Isolation

Angst vor der Einsamkeit

Häusliche Isolation, Quarantäne, Social Distancing – die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus stellen viele vor große Herausforderungen. Nicht zuletzt deshalb, weil Abschottung auch die psychische Gesundheit belastet. Von der Angst vor Einsamkeit sind besonders Alleinlebende betroffen. Doch es gibt Strategien, um damit umzugehen.

Leergefegte Plätze und Straßen, geschlossene Restaurants und Kaffeehäuser sowie Menschen, die einen Meter Abstand voneinander halten – und das rund um die Welt. Auch hierzulande bleiben Österreicher und Österreicherinnen aufgrund der Ausgangsbeschränkung großteils zu Hause. Für mehr als ein Drittel der Bevölkerung bedeutet das: alleine zu Hause.

Während sich Einsamkeit für manche wie Urlaub anfühlt, kann es für andere zu einer großen psychischen Belastung werden. Gerade, wenn es sich etwa durch verordnetes Homeoffice um eine neue und somit ungewohnte Situation handelt. „Wir Menschen sind soziale Wesen. Positive Sozialkontakte schützen unsere Gesundheit“, sagt Gesundheitspsychologin Doris Wolf im Gespräch mit ORF.at. Unfreiwillige soziale Isolation könne eine psychische Abwärtsspirale in Gang setzen, die in Depression, im schlimmsten Fall sogar in einem erhöhten Suizidrisiko münden könne.

Ein alter Mann mit einem Stock auf einem Sofa
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Wer wie viele ältere Menschen alleine lebt, hat besonders mit Einsamkeit zu kämpfen

„Einsamkeit kann krank machen“

Der Psychoneuroimmunologie zufolge, einem Forschungsgebiet, das sich mit der Wechselwirkung der Psyche, des Nerven-, Immun- und Hormonsystems beschäftigt, kann Einsamkeit demnach auch krank machen. „Vor allem, wenn man Angst hat, sich möglicherweise mit dem Coronavirus infiziert zu haben“, so Wolf. Denn dadurch komme es zur vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen, was das Immunsystem wiederum anfälliger für die Entwicklung von Krankheiten werden ließe.

Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der Universität Versailles: Daten von über 20.000 Personen ließen einen statistischen Zusammenhang zwischen Alleinleben und Erkrankungen erkennen. Ausschlaggebend war dabei weniger das Alter als die Angabe, ob die Menschen sich einsam fühlen.

„Das bedeutet, ich kann sowohl über gesundheitsschädliche Gedanken, im Sinne von ständigem Grübeln, das nicht lösungsorientiert und zielführend ist, als auch über die Auswirkungen meiner Gedanken auf den Körper depressiv bzw. krank werden“, sagt die Gesundheitspsychologin. Sie rät mit Verweis auf die Macht der Gedanken daher zu einem aktiv gesetzten „Grübelstopp“.

Verschiedene Möglichkeiten, der Einsamkeit zu entfliehen

Um der Einsamkeit und dem Grübeln zu entfliehen, gebe es viele Möglichkeiten, etwa seine Gefühle mit anderen zu teilen und zu telefonieren: „Versuchen Sie, wieder Kontakt aufzunehmen zu Menschen, Freunden, Bekannten, von denen Sie schon länger nichts gehört haben. Greifen Sie einfach zum Telefon und rufen Sie an.“ Wolf appelliert, zumindest einmal am Tag mit jemandem zu telefonieren.

Rat und Unterstützung

Rat und Unterstützung im Krisenfall bieten folgende Telefonhelplines:
Psychiatrische Soforthilfe:
01 313 30
Telefonseelsorge: 142
Psycholog. Berufsverband:
01 504 8000
Ö3-Kummernummer: 116123
Frauenhelpline: 0800 222 555
Kriseninterventionszentrum: 01 406 9595

Wichtig ist es laut Wolf auch, sich eine neue Tagesstruktur zu schaffen: „Zeiten wie diese können enorm verunsichern, da braucht es vermehrt Vertrautes, Gewohnheiten und Rituale, um sich wieder einigermaßen sicher fühlen zu können.“ Geplantes Handeln gebe das Gefühl, einer Situation nicht hilflos ausgeliefert zu sein und könne das Gefühl einer gewissen Kontrolle vermitteln. Konkrete bedeute das: Fixe Arbeitszeiten, neue Projekte und ein Highlight am Tag, auf das man sich freuen könne.

Warum fällt es vielen schwer, alleine zu sein?

Dennoch – nicht jede Minute des Tages lässt sich verplanen, irgendwann landet man doch wieder bei sich selbst. Warum aber fällt es vielen so schwer, mit sich alleine zu sein? „Weil viele es gewohnt sind, sich ständig von Social Media, Radio, Fernsehen usw. ablenken zu lassen. Wir sind ständig mit anderen im Kontakt, nur nicht mit uns selbst“, konstatiert die Psychologin.

Manche Menschen würden sich zudem innerlich leer fühlen, wenn sie einmal gerade nichts (aktiv) tun. Dabei helfe es, die „gewonnene“ Zeit aktiv zu schätzen und sich in seinem Tagesablauf einfach einmal Zeit zu lassen. Und: sich auf das Positive im Leben zu fokussieren.

Eine junge Frau mit Fernbedienung vor einem TV-Gerät
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Viele hätten verlernt, mit sich selbst zu sein – statt Ablenkung sollte man den Blick bewusst auf sich selbst lenken, so die Psychologin

Rat: Situation als Chance begreifen

Wolf plädiert dafür, in der derzeitigen Situation auch eine Chance zu sehen, wieder mehr zu sich selbst zu finden. Dabei könne es beispielsweise helfen, eine Liste zu erstellen, „mit Dingen, die mir Freude machen, die mir guttun. Dingen, die ich gut kann. Oder Dingen, die ich nach der Zeit der Quarantäne wieder angehen kann.“

Gerade im Hinblick auf die Zukunft könnte das entscheidend sein: „Die Pandemie wird sich in vielen Lebensbereichen auf unser Leben auswirken. Es ist wichtig, hier geistig flexibel darauf zu reagieren und eventuell einen Plan A, B und sogar noch C im Ärmel zu haben.“

Psychohygiene „so wichtig wie Händewaschen“

Dennoch: Sollten die Ängste oder das Gefühl der Überforderung zu groß werden, sollte die Lage zu eskalieren drohen (Stichwort Lagerkoller) oder sollte man Panikattacken verspüren, rät Wolf dazu, einen klinischen Psychologen oder eine klinische Psychologin zu kontaktieren – nicht aber in die Notaufnahme zu fahren.

„Wir kommunizieren derzeit per Handy, Skype, Signal, Zoom und Videofonie mit unseren KlientInnen, um diese vor möglicher Ansteckung zu schützen. Ich persönlich benutze nur sichere end-to-end-verschlüsselte Systeme“, erklärt die Gesundheitspsychologin. Ihr abschließender Rat: „Psychohygiene ist in Zeiten wie diesen ebenso wichtig wie regelmäßiges, richtiges Händewaschen mit Seife.“