Arbeiter auf einer Baustelle
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Leiharbeit

Ablaufdatum in Krisenzeiten

Das Coronavirus macht vor dem Arbeitsmarkt nicht halt. Viele Menschen verloren wegen rigoroser Maßnahmen, die die Verbreitung verlangsamen sollen, ihre Jobs. Dass die Arbeitslosigkeit weiter steigen wird, gilt unter Fachleuten als fix. Besonders Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen gehören in Krisenzeiten oft zu den ersten Verlierern.

Binnen weniger Tage wurden 100.000 neue Arbeitslose gemeldet. Nach Angaben des Arbeitsmarktservice (AMS) betraf es allen voran Personen, die im Tourismus, am Bau oder in der Leiharbeitsbranche beschäftigt waren. Ein Teil der Kündigungen ist auf das frühzeitige Saison-Aus in Skigebieten zurückzuführen, ein anderer Teil auf die Schließungen der Geschäfte und Stopps von Bauvorhaben. Viele Fachleute gehen davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in den nächsten Tagen und Wochen steigen wird – trotz des neuen Kurzarbeitszeitmodells.

Dieses ist allen Unternehmen zugänglich, unabhängig von der Größe oder Branche. Auch für die Arbeitskräfteüberlassung, also für die Personaldienstleister, die Arbeitskräfte in unterschiedliche Branchen „verleihen“, gilt das neue Modell. Unternehmen können wegen der laufenden Krise Kurzarbeit beantragen, damit sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch weiterhin beschäftigen können. Mit staatlichen Subventionen – der Dienstgeber zahlt nur für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit – soll eine Massenarbeitslosigkeit verhindert werden.

Appelle und Skepsis

Zuletzt hatte die Regierung verstärkt an Unternehmen appelliert, die Kurzarbeit zu beantragen, um Arbeitsplätze in Österreich zu sichern. Die Sozialpartner begrüßten, dass nun auch die Zeitarbeitsbranche mit dem Kurzarbeitszeitmodell ihr Personal weiter beschäftigen kann. Laut Erich Pichorner, WKÖ-Bundesvorsitzender der Personaldienstleister, hätten einige der rund 2.000 Unternehmen bereits erklärt, von großflächigen Personalfreistellungen Abstand zu nehmen. Alle anderen Firmen rief er dazu auf, sich über das Modell zu informieren.

Etwas skeptischer zeigt sich Thomas Grammelhofer, Branchenvertreter für Leiharbeit bei der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge. Wie Pichorner begrüßt er die neue Regelung und hofft, dass „jeder Zeitarbeitsbetrieb eine Kurzarbeitsvereinbarung unterschreibt“. Allerdings geht er davon aus, dass einige Personaldienstleister nach „Schema F“ vorgehen werden. „Zuerst werden die Leiharbeiter zum AMS geschickt, erst, wenn Arbeit ansteht, werden sie wieder vom Betrieb angestellt“, sagte Grammelhofer zu ORF.at. „Das AMS darf aber kein Parkplatz sein. Das ist volkswirtschaftlich ein Unding.“

Eine Frau verpackt Ware am Fließband
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In vielen großen Betrieben sind Leiharbeitskräfte beschäftigt. In Krisenzeiten sind sie oft die ersten Verlierer.

Doch gerade in Krisenzeiten ist das der Fall. So geriet die Leiharbeitsbranche etwa 2009 stark unter Druck. Wegen der damaligen Wirtschafts- und Finanzkrise verloren Tausende ihren Job, die Arbeitskräfteüberlassung verzeichnete mit einem Minus von mehr als 15 Prozent den stärksten Einbruch aller Branchen überhaupt. Doch der volatile Markt erholte sich schnell. Binnen weniger Monate konnte der Personalstand vor der Krise wieder erreicht werden. Heute sind über 90.000 Personen in der Leiharbeitsbranche beschäftigt, das sind 2,4 Prozent aller unselbstständig Erwerbstätigen.

Fachleute: Krisen nicht vergleichbar

Dass die derzeitige Coronavirus-Krise samt den Maßnahmen, um eine Ausbreitung zu verlangsamen, für den Leiharbeitsmarkt Folgen haben wird, ist für Arbeitsmarktforscherin Gerlinde Titelbach vom Institut für Höhere Studien (IHS) klar. „Die Arbeitskraftüberlassung reagiert immer und wohl am stärksten von allen Branchen auf wirtschaftliche Veränderungen“, sagte sie im ORF.at-Gespräch. Denn in Zeiten des Aufschwungs würden Unternehmen oft zuerst auf Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zurückgreifen. So können Arbeitgeber „flexibel“ auf Auftragsschwankungen reagieren.

Arbeitskraftüberlassung:

Leiharbeiter bzw. Leiharbeiterinnen werden von Unternehmen („Überlasser“) angestellt und einem anderen Unternehmen gegen Entgelt überlassen. Geregelt ist das im Arbeitskräfteüberlassungsgesetz.

Das bedeutet allerdings auch, dass diese Beschäftigten oftmals zuerst gehen müssen, wenn die Konjunktur schwächelt. Wenn die Firma in einer Krise genügend Stammpersonal hat, um die Aufträge abzuarbeiten, verzichtet sie für gewöhnlich auf weiteres Personal, das zusätzlich Kosten verursacht. „Leiharbeitskräfte sind immer Randbelegschaften“, so Titelbach. Grundsätzlich habe dann der Personaldienstleister dafür zu sorgen, dass der Leiharbeiter wieder überlassen werde. „In Krisenzeiten ist das schwieriger als in Zeiten, wo die Wirtschaft gut läuft.“

Ökonom Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) erinnerte im ORF.at-Gespräch daran, dass die Wirtschaftskrise 2009 die Industrie besonders getroffen hat. „Damals wurde auch die Leiharbeit von der Krise unmittelbar eingeholt, weil der überwiegende Teil der Beschäftigten in der Sachgütererzeugung beschäftigt ist“, so Mahringer. Inwieweit sich die Coronavirus-Krise auf die Arbeitskräfteüberlassung auswirken wird, wagt er noch nicht zu bewerten. Für eine genauere Einschätzung gebe es noch zu wenige Daten, sagte der Forscher.

„Dynamische Bereiche stabilisieren“

„Derzeit wissen wir, dass die Maßnahmen wegen des Virus vor allem den Dienstleistungsbereich treffen“, sagte der Ökonom. Schwierigkeiten gebe es aber auch im Sachgüterbereich und in der Bauwirtschaft, wo eben auf Leiharbeitskräfte gesetzt wird. Er erinnerte aber auch daran, dass die Nachfrage nach Leiharbeitern und Leiharbeiterinnen schon vor dem Coronavirus zurückgegangen ist. „Die Konjunktur hat geschwächelt, was sich insbesondere bei Leiharbeitern bemerkbar macht.“

Ein geschlossenes Geschäft in Wien
APA/Herbert P. Oczeret
Viele Unternehmen in Wien mussten wegen Maßnahmen gegen das Coronavirus schließen: Die Zahl der Arbeitslosen stieg an

Mahringer geht aber davon aus, dass einige Leiharbeitskräfte wegen der aktuellen Krise wieder zu ihren Personaldienstleistern zurückgeschickt werden. Ob die Betriebe auf Kurzarbeit umstellen, sei schwierig zu sagen, so der Ökonom. Das neue Modell sei für den Dienstleistungssektor und Kleinunternehmen attraktiviert worden. Allerdings: „Die Vorteile sind dort eher geringer, wo es eine hohe Fluktuation der Belegschaft gibt“, sagte er und fügte hinzu: „Versuche, dynamische Bereiche zu stabilisieren, sind gut.“

Atypisch Beschäftigte im Krisenmodus

Wenn man von dynamischen Bereichen spricht, fällt oft der Begriff „atypische Beschäftigung“. Darunter fallen unter anderem Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte, aber auch freie Dienstnehmer und Leiharbeiter, wie Veronika Bohrn-Mena, Expertin für atypische Beschäftigung bei der Gewerkschaft GPA-djp, erklärt. „Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind im Durchschnitt zweimal im Jahr arbeitslos. Wenn sie arbeiten, müssen sie das Geld schon auf die Seite legen, weil die Arbeitslosigkeit in der Branche immer droht“, sagte sie im Gespräch mit ORF.at.

Neben den ohnehin schon knappen finanziellen Mitteln, um über die Runden zu kommen, hätten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund der Coronavirus-Krise noch größere Existenzängste, wie die Expertin sagte. „Die Situation ist eine psychische Herausforderung, vor allem für jene, die nicht wissen, wie es mit ihren Jobs weitergeht“, so Bohrn-Mena. Auch wenn eine Krise vorbei ist, sei nicht sicher, ob der Leiharbeiter nicht schon längst in der Firma, wo er zuletzt gearbeitet hat, ersetzt wurde. „Kurzarbeit könnte Sicherheit bieten“, sagte sie.

Laut AMS haben sich bisher über 18.000 Unternehmen wegen der neuen Kurzarbeitsregelung bereits gemeldet. Die WKÖ rechnet überhaupt mit einem größeren Andrang bei Kurzarbeit, da die Arbeitgeber mehr Geld erhalten als bisher. Darüber hinaus entfalle das übliche sechswöchige Vorverfahren, und Kurzarbeitsanträge könnten rückwirkend ab 1. März gestellt werden. Die Arbeiterkammer appellierte an alle Unternehmen, die Kurzarbeit wenn nötig zu beantragen: „Hier haben die Arbeitgeber die Möglichkeit, nahezu zum Nulltarif Kurzarbeit zu nutzen und damit die Krise zu überbrücken.“