Ein Mann holt sich einen Einkaufswagen vor einem Geschäft
APA/Barbara Gindl
Neue Schutzregeln

Einzelhandel nur noch bis 19.00 Uhr geöffnet

Der Einzelhandel wird im Zuge der Coronavirus-Krise nur noch bis 19.00 Uhr geöffnet haben. Eine solche Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verkündete Donnerstagabend der Präsident der Wirtschaftskammer (WKÖ), Harald Mahrer, in der ZIB2.

Der Präsident des Gewerkschaftsbundes (ÖGB), Wolfgang Katzian, sagte, er hätte sich eine Schließzeit bereits um 18.00 Uhr gewünscht. Der jetzige Kompromiss sei aber in Ordnung. Man werde das aber weiter beobachten. An weiteren Schutzmaßnahmen für den Handel wurde laut Mahrer vereinbart, dass Schwangere nicht mehr in den Dienst geschickt, sondern freigestellt werden sollen. Risikogruppen sollen nach Möglichkeit nicht mehr in den Kontakt mit Kunden kommen. Außerdem würden den Angestellten Handschuhe und Masken und Schutzvorrichtungen zur Verfügung gestellt.

Viele Supermarktketten haben in den vergangenen Tagen an den Kassen Plexiglaswände zum Schutz der Beschäftigten aufgestellt. Gespräche über ähnliche Maßnahmen gibt es laut Katzian auch in anderen Branchen. Er sei zuversichtlich, dass auch dort Einigungen in den nächsten Tagen zustande kämen. In den Gesprächen am Donnerstag habe man auch vereinbart, die Regierung aufzufordern, dass „Corona-Zulagen“ oder -Prämien, die von manchen Betrieben an die Beschäftigten ausbezahlt werden, nicht durch steuerliche Belastung zusammenschmelzen, sagte Katzian.

ÖGB-Präsident Katzian und WKÖ-Präsident Mahrer zur Einigung im Einzelhandel

Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, und Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, über die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt in der Coronavirus-Krise.

Verhandlungen seit der Vorwoche

In der Vorwoche hatte die WKÖ die Forderung der Gewerkschaft nach einer temporären und deutlichen Verkürzung der Arbeitszeit noch abgelehnt. „Der Handel ist grundsätzlich gegen jede gesetzliche Verkürzung der Öffnungszeiten“, so WKÖ-Handelsobmann Peter Buchmüller. Vor allem der Lebensmittelhandel sei eine wichtige Infrastruktur zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit der gesamten Bevölkerung und „gut gerüstet“. Für die Zeit der Schulschließungen sei es aber „vorstellbar, die Geschäfte erst um 8.00 Uhr zu öffnen, da das Jausengeschäft in der Früh ja wegfällt“, sagte Buchmüller.

Die Gewerkschaft hatte damit argumentiert, dass die geplanten Kindergarten- und Schulschließungen und dadurch entstehende Betreuungspflichten viele der 400.000 heimischen Handelsangestellten in eine Zwickmühle bringen würden und forderte, dass die Öffnungszeiten im Handel für die Dauer der Schulschließungen auf 08.30 Uhr bis maximal 18.00 Uhr eingeschränkt werden.

Der Handelsverband begrüßte die Neuerungen und empfahl eine weitere Schutzmaßnahme: Der Verband schlug vor, die Höchstgrenze für kontaktlose Zahlungsvorgänge während der Krise vorübergehend anzuheben. Eine vorübergehende Anhebung des NFC-Limits ohne PIN auf beispielsweise 50 Euro würde sowohl für die 110.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Lebensmittelhandel als auch für die Konsumentinnen und Konsumenten das Infektionsrisiko erheblich reduzieren, hieß es. Einzig die Einschränkung der Öffnungszeiten sieht der Handelsverband mit Blick auf den angespannten Arbeitsmarkt ambivalent, hat aber Verständnis, wenn damit die bestehende Belegschaft der Lebensmittelhändler entlastet wird.

Neue Regeln für Kurzarbeit

Im Zuge der Coronavirus-Krise steigen mehr und mehr heimische Betriebe auf Kurzarbeit um. Bundesregierung und Sozialpartner, die ein neues Modell dafür verhandelt haben, appellieren an sie, das eher zu tun, als Personal abzubauen. Die Meldungen beim Arbeitsmarktservice (AMS) waren zuletzt enorm gestiegen. Mit dem neuen Kurzarbeitsmodell kann die Arbeitszeit nun vorübergehend auch auf null gesenkt werden, der Bund zahlt schneller dazu als bisher.

Etwa 74.000 neue Meldungen hatte das AMS zuletzt binnen drei Tagen registriert, Arbeitsplätze sind in praktisch allen Branchen in Gefahr. „Unser Appell richtet sich an alle betroffenen Unternehmen in dieser herausfordernden Zeit: Bitte kündigen Sie niemanden, sondern melden Sie stattdessen Kurzarbeit an, um Arbeitsplätze in Österreich zu sichern“, lautete am Donnerstag der neuerliche Aufruf von Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) und den zuständigen Landesrätinnen und Landesräten aller neun Bundesländer.

Anspannung auf dem Arbeitsmarkt

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hat am Mittwoch 38 Milliarden Euro Unterstützung für die Wirtschaft zugesichert. Teil dieses Pakets ist ein umfassendes Kurzarbeitsmodell. Allerdings sind diese Woche trotz der Ankündigung dieses Pakets bereits 74.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekündigt worden.

Durch das neue Modell soll Kurzarbeit laut Regierung im Kern „schneller (verfügbar) und leistbarer“ werden. Beschlossen wurde es letztes Wochenende, aktuell stehen über das AMS 400 Mio. Euro dafür zur Verfügung. Alle Unternehmen sollen es in Anspruch nehmen können, unabhängig von Größe und Branche. Anträge seien ab sofort möglich, hieß es am Donnerstag.

Unter dem Strich mindestens zehn Prozent

Kurzarbeit bedeutet eine vorübergehende Senkung der Regelarbeitszeit, die Rahmenbedingungen müssen in Österreich von den Sozialpartnern verhandelt werden. Voraussetzung ist laut Definition der Arbeiterkammer (AK) eine „wirtschaftliche Störung“, wie sie aktuell durch die Coronavirus-Epidemie gegeben ist.

Hinsichtlich Kurzarbeit und Rechtssicherheit sagte Christoph Klein, Direktor der AK Wien bzw. Bundesarbeitskammer, am Donnerstag im Telefoninterview mit Ö1, dass der Verwaltungsrat des AMS „nach extrem komplizierten Vorarbeiten“ die Richtlinie zur Umsetzung des Kurzarbeitsmodells bereits beschlossen habe. Das Ganze sei ein „kompliziertes juristisches Gebäude“, das für Unternehmen und Arbeitnehmer allerdings möglichst einfach handhabbar sein müsse.

Maximal sechs Monate

Die Kernpunkte sind: Die öffentliche Hand übernimmt via AMS die Lohnnebenkosten für Unternehmen schon mit dem ersten Monat und nicht – wie bisher – erst ab dem vierten. Arbeitgeber zahlen nur die tatsächlich geleisteten Stunden. Außerdem kann die Arbeitszeit mit dem neuen Modell während eines Durchrechnungszeitraums (vorerst drei mit Verlängerungsoption auf sechs Monate) auch einmal auf null gesenkt werden. Unter dem Strich müssen am Ende zehn Prozent stehen.

Einige Rechenbeispiele für beide Seiten

Klein rechnete gegenüber dem Ö1-Journal vor: Bei einer Normalarbeitszeit von 38,5 Wochenstunden, wie sie in vielen Kollektivverträgen steht, entsprächen diese zehn Prozent 3,85 Stunden pro Woche, „über die drei Monate hinweg (…) etwas mehr als 50 Stunden“. Faktisch bedeute das, dass Unternehmen ihr Personal wochenlang nach Hause schicken könnten, „erst in den letzten zwei Wochen fährt dann die Arbeitszeit langsam wieder hoch“. Im äußersten Fall könnten Menschen über sechs Monate Kurzarbeit leisten, sie bekommen dafür laut dem AK-Direktor je nach Höhe 80 bis 90 Prozent ihrer Normalbezüge – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Bei einer Arbeitnehmerin bzw. einem Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von 2.000 entstünden dem Dienstgeber im Regelfall 3.000 Euro Lohnkosten, beim aktuellen Rechenbeispiel zur Kurzarbeit nur noch 300 Euro, und das, wie Klein betonte, auch nur in Monaten mit Sonderzahlungen. Stehen die nicht an, mache das Unternehmen über die Zahlungen des AMS sogar einen kleinen „Gewinn“. In der ZIB2 Mittwochabend hatte Klein ähnliche Fälle durchgerechnet und versichert: „Die Geldseite schaut fantastisch aus.“

Christoph Klein (AK Wien) zum Kurzarbeitsmodell

Christoph Klein, Direktor der Wiener Arbeiterkammer, erklärt, wie das von der Regierung beschlossene Kurzarbeitsmodell funktioniert und welche Kosten dabei übernommen werden.

„Es hilft uns durch die Krise und nach der Krise“

AK-Präsidentin Renate Anderl bedankte sich in einer Aussendung bei allen Verhandlungsparteien „für die rasche und konstruktive Zusammenarbeit“. Es habe „sich einmal mehr gezeigt, wie gut die Sozialpartnerschaft funktioniert“. Gleichzeitig rief sie Unternehmen mit Bedarf dafür auf, das neue Kurzarbeitsmodell anzuwenden.

Für die Wirtschaftskammer (WKÖ) lobte Renate Scheichelbauer-Schuster, Spartenobfrau für Gewerbe und Handel, dass das Kurzarbeitsmodell auch für Lehrlinge anwendbar ist. Das sei „ein wichtiges Signal für unsere Tausenden Ausbildungsbetriebe und ihre rund 45.000 Lehrlinge“. Sie unterstrich auch die Relevanz von Überbrückungsfinanzierungen und eines Entgegenkommens der Banken als „außerordentlich wichtig“.

Der Handelsverband lobte das Kurzarbeitpaket, forderte aber auch Nachbesserungen: So müsse die Überweisung des Personalaufwandersatzes „Zug um Zug“ nach Vorlage der Überweisung erfolgen, um die Liquidität zu erhalten. Eine Überweisung einen Monat danach sei vor allem für beschäftigungsintensive Firmen zu spät. Zudem müssten auch geringfügige Mitarbeiter analog zum Modell der Kurzarbeit einbezogen werden.

Rekordwerte bei AMS-Anträgen

Die zahlreichen Appelle an Unternehmen, auf Kurzarbeit umzusteigen anstatt Personal abzubauen, haben ihre Gründe. Laut AMS-Vorstand Johannes Kopf war die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen zwischen Sonntag- und Dienstagabend um beinahe 49.000 gestiegen, mit Mittwoch waren es etwa 74.000. Sehr viele davon, rund 29.000, kämen aus der Tourismuswirtschaft, so Kopf am Donnerstag. Im Tourismus ging die Wintersaison vorzeitig zu Ende, Ausgangsbeschränkungen, Sperren von Restaurants und Hotels sowie teilweise über Skiorte verhängte Quarantänen inklusive.

Viele Saisonkräfte würden üblicherweise erst nach Ostern arbeitslos, und das nur bis Anfang Juni, dem Beginn der Sommersaison. Betroffen ist laut dem AMS-Chef mit rund 8.000 Meldungen aber auch die Bauwirtschaft, eine gleichermaßen „dynamische Branche“, in der schnell Jobs gestrichen werden, sobald Aufträge ausbleiben. Zur Einordnung der Zahlen: Ende Februar gab es in Österreich bei sinkender Tendenz knapp 400.000 Personen ohne Job, Schulungen mit eingerechnet. Am Donnerstag hieß es auf der Website des AMS weiterhin: „Bitte um Verständnis, unsere Telefone sind überlastet.“ Dort finden sich seither allerdings auch nötige Dokumente sowie Fragen und Antworten zum aktuellen Kurzarbeitsmodell.