Finanzminister Blümel (ÖVP) während einer Rede im Nationalrat
APA/Georg Hochmuth
Coronavirus

Vom Überschuss zum „Budget der Krise“

„Koste es, was es wolle“ und „Tun, was notwendig ist“: Die Bundesregierung hat im Kampf gegen die Folgen der Coronavirus-Epidemie umfangreiche Notfallpakete geschnürt. Sie hat auch signalisiert, dass sie bei Bedarf weiteres Geld aufbringen würde. Budgetdisziplin ist aktuell nicht das Thema Nummer eins. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) sprach am Freitag von einem „Budget der Krise“.

Die Rede Blümels war der erste Tagesordnungspunkt der 19. Sitzung des Nationalrats in der Legislaturperiode und stand unter dem Motto „Tun, was notwendig ist“. Außergewöhnliche Zeiten erforderten außergewöhnliche Maßnahmen, sagte der Finanzminister zu Sitzungsbeginn. Zum ersten Mal seit 1953 gebe es keine Budgetrede wie üblich, die Situation habe sich binnen Tagen grundlegend geändert.

Noch im Februar habe man von Rekordbeschäftigung und einer verbesserten Stimmung in den Unternehmen gesprochen. Wenige Tage später „ist die Welt eine andere“, sagte Blümel, auch aus der Sicht des Finanzministers. Das Leben laufe „quasi auf Notbetrieb“. Dass die Welt auch für einen Finanzminister eine andere geworden ist, heißt unter anderem, dass Budgetdisziplin derzeit nicht an erster Stelle steht.

Budgetrede gestrichen

Er habe vor zwei Wochen eine Budgetrede mit einem „soliden Überschuss“ im Staatshaushalt vorbereitet. Nach Gesprächen mit Expertinnen und Experten über die Frage, was die durch die Epidemie ausgelöste Krise am Ende kosten könnte, habe er seinen Text wegwerfen können, von einem Plus von mehreren hundert Millionen Euro sei keine Rede mehr gewesen.

Finanzminister Blümel bei seiner Erklärung im Nationalrat

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) erklärte im Nationalrat, wie es in kurzer Zeit vom prognostizierten Überschuss zu einem „Budget der Krise“ kam.

Für das aktuelle Budget galten allerdings ohnehin andere Maßstäbe, es sei „ein Budget der Krise“. Es müsse nun alles Mögliche getan werden, damit Menschen ihre Fixkosten decken, Arbeitsplätze und Unternehmen erhalten werden. Entscheidend sei nicht die Zahl im Rechnungsabschluss, sondern – hier wiederholte sich Blümel sinngemäß –-, wie viele Menschenleben, Arbeitsplätze und Unternehmen gerettet werden können.

Kosten nicht kalkulierbar

Welche Zahlen „am Ende des Tages“ im Rechnungsabschluss stehen werden, wisse man nicht, sagte Blümel. Er verwies auf den beschlossenen, vier Mrd. Euro schweren Hilfsfonds, aus dem bereits Auszahlungen, etwa für den Ankauf von Schutzausrüstung, erfolgt seien. Der Fonds sei auch schon im Budget „abgebildet“, ein Minus von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) das kalkulierte Ergebnis.

„Das war nur ein erster Schritt.“ Blümel verwies auf viele weitere Mrd. Euro – 38 Mrd. alleine für einen „Schutzschirm“ für die Wirtschaft, weitere Milliarden für Hilfs- und Kompensationszahlungen, Steuerstundungen, die Übernahme von Garantien und Haftungen, die sich summieren und auf das Budget auswirken würden.

Niemand weiß, wie lange die Krise dauert

Gesundheit, Arbeitsplätze und der Wirtschaftsstandort Österreich „sind wichtiger“, sagte Blümel. Außerdem mache Budgetdisziplin in der Vergangenheit es aktuell möglich, rasch zu helfen. Das Budget sei eine Momentaufnahme in einer Krisensituation, von der niemand recht wisse, wie lange sie dauern wird. Die Bundesregierung werde aber helfen – und hier wiederholte Blümel ein Zitat von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): „Koste es, was es wolle. Vielen Dank.“

Sehr oft fielen am Freitag im Nationalrat die Begriffe „Notbetrieb“, „Ausnahmezustand“, „Schutzschirm“, „alles anders“, „Schulterschluss“. Auch die Sitzordnung war nicht die gewöhnliche. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte die Abgeordneten bei der Eröffnung des Plenums dazu aufgerufen, die notwendigen Sicherheitsabstände einzuhalten und Desinfektionsmittel zu verwenden. Sie fand folglich in einer „gelockerten“ Sitzordnung unter Einbeziehung der Galerie im Parlamentsausweichquartier statt.

Unterbrechung wegen positiven Falls im Parlament

Nach einigen Reden ließ Sobotka die Sitzung für eine Präsidiale, eine Besprechung, unterbrechen. Grund: ein positiver Test im Nationalrat. Betroffen sei der Abgeordnete Johann Singer (ÖVP), hieß es später. Er war zwar weder Donnerstag noch Freitag im Parlament anwesend, aber am Wochenende. Nach einer ersten Unterbrechung appellierte Sobotka nochmals an die Abgeordneten, die hygienischen Empfehlungen infolge der Coronavirus-Epidemie zu beachten. Nach einer längeren Unterbrechung teilte Sobotka kurz vor 15.00 Uhr mit, dass alle Kontaktpersonen des Mandatars umgehend getestet würden. Dann wurde die Sitzung fortgesetzt. Für Singer gab es Genesungswünsche.

Für Kurz eine „Zeit des Ausnahmezustands“

Kurz sprach am Freitag vor dem Nationalrat von einer „Zeit des Ausnahmezustands“, einer „sehr herausfordernden Phase“, vieles, das vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen wäre, „findet jetzt gerade im Moment statt“, sagte Kurz.

Bundeskanzler Kurz bedankt sich für Zusammenarbeit

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach von einer „Zeit des Ausnahmezustands“ und bedankte sich vor allem auch für die Kooperation über die Parteigrenzen hinweg.

Er werde oft mit Fragen konfrontiert, sagte der Bundeskanzler, wie denn alles weitergehen werde, ob die gegen die Ausbreitung des Virus gesetzten Maßnahmen wirkten, wie lange die Krise dauern werde. Er sei fest davon überzeugt, „dass wir das Richtige tun“, sagte Kurz. Wichtig sei, „dass wir die Ausdauer nicht verlieren“. Er ersuche alle Österreicherinnen und Österreicher, gemeinsam durchzuhalten und die nötige Disziplin für die nächsten Wochen zu halten.

„Dass unser System funktioniert“

„Nach fast einer Woche Ausnahmezustand“, „Herunterfahren auf Notbetrieb“, bedankte sich Kurz für diese Disziplin und bei allen Menschen, „die dazu beitragen tagtäglich, dass unser System funktioniert“, dass ein wirtschaftlicher Minimalbetrieb aufrechterhalten werden könne.

Kurz sprach auch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes an. Hier wolle die Republik alles tun, um zu helfen. Kurz bedankte sich auch dafür, dass diese Hilfe „quer über die Parteigrenzen mitgetragen“ werde. Er lobte schließlich auch das „gute gemeinsame Vorgehen“ mit der Opposition, wofür er Applaus erhielt. Es werde noch Monate brauchen, bis die Krise gänzlich überstanden sei. „Aber je stärker wir zusammenhalten, desto erfolgreicher werden wir sein. Vielen Dank.“

„Ein Marathon“

Ja, herausfordernd sei die aktuelle Situation, sagte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Freitag. Viele Nachwirkungen würden wohl auch Monate dauern. Auch er bedankte sich bei allen, „die mitmachen“, weil sie alle dabei halfen, Menschenleben zu retten, indem Infektionen vermieden werden. „Zusammenhalten heißt jetzt Abstand halten. Das ist so.“

Vizekanzler Kogler: „Zusammenhalten heißt Abstand halten“

Die Kurve der Infektionen müsse möglichst flach gehalten werden, sagte Kogler. Und es gebe berechtigte Hoffnung, dass das österreichische Gesundheitssystem mit der Situation fertigwerden würde. Es sei „ein Marathon, ja“, aber im Moment sei die Situation so, dass schon am Beginn im Sprinttempo gelaufen werden müsse. Es müsse rasch gehandelt werden, sagte Kogler mit Blick auf die geschnürten Hilfspakete.

Anschober gesteht auch Fehler ein

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) räumte in der Nationalratsdebatte auch Fehler im Umgang mit dem Coronavirus ein. Er stellte eine „breite, schonungslose, transparente Evaluierung nach dieser Krise“ in Aussicht und erklärte: „Ich bin der erste, der hier dabei ist.“ Bei Medikamentenversorgung und Schutzkleidung müsse Österreich etwa selbstständig werden.

Gesundheitsminister Anschober schildert Fehler und erste Erfolge

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sieht erste positive Effekte der getroffenen Maßnahmen, warnt aber vor Nachlässigkeit.

Eine wesentliche Konsequenz aus der aktuellen Krise müsse sein, dass Österreich die Versorgung im Gesundheitsbereich zentral steuern und lenken kann, so Anschober. Er machte auch Hoffnung. Laut jüngsten Zahlen ist der tägliche Zuwachs bei den registrierten Infektionen auf unter 20 Prozent gesunken. Bis Ostern müsse man nun in den einstelligen Bereich kommen, sagte Anschober, warnte aber vor zu viel Optimismus und vor allem Nachlässigkeit. Die Zahlen sollten nicht dazu verführen, zu sagen, „jetzt sind wir auf dem richtigen Weg, und das war’s jetzt“.

Zuvor hatte sich auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) bei jenen bedankt, die in der Krise „unsichtbar“ im Hintergrund mitarbeiten würden, vor allem bei den Lehrlingen. „Die österreichische Wirtschaft leidet“, sagte sie, verwies aber auf die rund 38 Mrd. Euro an Hilfen durch die Regierung – „weil wir wissen, dass es ernst ist“. Auch Schramböck wiederholte das Versprechen von Bundeskanzler Kurz, die Wirtschaft zu stützen, „koste es, was es wolle“.

SPÖ und FPÖ wollen Arbeitsplatzgarantie

SPÖ und FPÖ, sonst eher selten einer Meinung, sprachen sich in der Debatte am Freitag für eine Jobgarantie aus. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner plädierte dafür, Unterstützungsleistungen für Unternehmen an eine solche zu koppeln. Dafür sprach sich auch der freiheitliche Klubobmann Herbert Kickl aus. Die größte Gesundheitskrise der Zweiten Republik dürfe nicht auch noch zur größten Sozialkrise werden, sagte die SPÖ-Chefin. Man müsse verhindern, dass der soziale Friede zu etwas werde, „woran wir uns nur noch vage erinnern“.

Für Kickl wird die Welt nach der Krise eine neue Normalität haben, in der vieles anders gesehen wird – etwa die EU. Denn diese habe in der Finanzkrise alle Schleusen für die Finanzwirtschaft aufgemacht. Aktuell herrsche eine Mischung aus Abwesenheit, Trägheit und Hilflosigkeit. Kritisch sieht der Freiheitliche auch die Globalisierung, und hinterfragen werde man wohl auch das Kaputtsparen in Spitälern und im Sicherheitsbereich müssen, das von früheren Regierungen verantwortet werde.

NEOS fordert „Ablaufdatum“ für Einschränkungen

NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger bezeichnete die Zustimmung ihrer Partei zum atuellen Gesetzespaket als Selbstverständlichkeit. Allerdings betonte Meinl-Reisinger, es sei wichtig, dass die beschlossenen Maßnahmen, die der Regierung viel Macht in die Hand geben, ein Ablaufdatum haben: „Man darf sich nicht daran gewöhnen, dass man seine Freiheitsrechte abgibt.“ Die Sonderrechte dürften nur für die Zeit der Krise gelten „und keinen Tag länger“, sagte auch Rendi-Wagner.