Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
AP/Michael Kappeler
Kontaktverbot in Deutschland

Merkel muss selbst in Quarantäne

Während in vielen europäischen Ländern aufgrund des Coronavirus der Notstand oder eine Ausgangssperre verhängt worden ist, ist Deutschland auf Bundesebene bisher zurückhaltender gewesen. Deutschlandweit einigten sich Bund und Länder am Sonntag nun auf ein Kontaktverbot. Kurz nach der Konferenz wurde bekannt, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel selbst in häusliche Quarantäne muss.

Das teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Sonntagabend in Berlin mit. Merkel sei nach ihrem Presseauftritt im Anschluss an die Telefonkonferenz mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer unterrichtet worden, dass sie am Freitag zu einem Arzt Kontakt hatte, der mittlerweile positiv auf das Coronavirus getestet worden sei. Der Arzt habe die Kanzlerin am Freitag prophylaktisch gegen Pneumokokken geimpft. „Auch aus der häuslichen Quarantäne wird die Bundeskanzlerin ihren Dienstgeschäften nachgehen“, sagte Seibert.

Zuvor hatte Merkel noch die beschlossenen Maßnahmen verkündet, die deutschlandweit zum Einsatz kommen sollen, und betont, dass sie nahezu alle Termine abgesagt habe, an denen Menschen ins Kanzleramt kommen würden. Ihr Leben habe sich komplett geändert.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
AP/Michael Kappeler
Merkel präsentierte die CoV-Maßnahmen für Deutschland. Kurz darauf erfuhr sie von der notwendigen Quarantäne.

Restaurants sperren, Geschäfte bleiben offen

In einer Telefonkonferenz einigten sich nun Bund und Länder am Sonntag auf ein Kontaktverbot, wonach Ansammlungen von mehr als zwei Personen grundsätzlich verboten sein werden. Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um eine Ausgangssperre. Ausgenommen sollen Familien sowie in einem Haushalt lebende Personen sein. Dienstleistungsbetriebe wie Frisier-, Kosmetik- und Massagesalons sollen schließen. In ganz Deutschland sollen auch Restaurants sofort sperren. Ausgenommen sein sollen Lieferung und Abholung von Speisen. Eine generelle Schließung von Geschäften oder Produktionsstätten ist nicht vorgesehen.

Die Frage einer einheitlichen Ausgangssperre und deutschlandweit restriktiveren Maßnahmen gegen das Coronavirus hatte in Deutschland in den vergangenen Tagen für heftige Diskussionen gesorgt. Einige Bundesländer wie Bayern waren mit einer strikten Ausgangssperre vorgeprescht. Bisher gab es große Unterschiede je nach Bundesland, wie viele Menschen sich noch treffen dürfen.

Menschenansammlung in Berlin Kreuzberg
APA/AFP/David Gannon
In ganz Deutschland soll ab Montag der Kontakt zwischen mehr als zwei Menschen untersagt werden

Merkel: Regeln, keine Empfehlungen

Merkel und die Regierungschefs betonten: „Wir müssen alles dafür tun, um einen unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen zu verhindern und unser Gesundheitssystem leistungsfähig zu halten.“ Die beschlossenen Einschränkungen seien Regeln, keine Empfehlungen, betonte Merkel. Es sei ein großer Unterschied, ob man einen halben oder eineinhalb Meter voneinander entfernt stehe.

Für Merkel stehe nun das „Grundgerüst“ der Maßnahmen, das sich in den einzelnen Ländern sehr ähnle. Manches werde in den einzelnen Ländern noch spezifisch für die jeweilige Situation geregelt. Die aktuellen Maßnahmen hätten jedenfalls alle – Bund wie Länder – mitgetragen. Bayern will nach Informationen der dpa das Ansammlungsverbot für mehr als zwei Personen nicht mittragen und bei der Ausgangssperre bleiben. Demnach dürfen nur Menschen, die zusammen wohnen, auch gemeinsam an die frische Luft.

Kontaktverbot „verhältnismäßiger“

Es gehe darum, „alle Menschen zur Vernunft bringen“, sagte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU). Das Kontaktverbot soll bereits ab Montag gelten, bis zum Ende der Osterferien. Nach Einschätzung von Bund und Ländern sei „nicht das Verlassen der Wohnung die Gefahr, die Gefahr ist der enge unmittelbare soziale Kontakt“. Deshalb sei ein Kontaktverbot ab zwei Personen geeignet, um eine Unterbrechung der Infektionsketten „verhältnismäßiger, zielgerichteter und besser zu vollziehen“.

Durchgesetzt werde das Kontaktverbot von den Ordnungsämtern und der Polizei. Bei leichten Verstößen drohten Geldstrafen von bis zu 25.000 Euro, schwerere Verstöße würden strafrechtlich verfolgt. „Es geht um Leben und Tod“, betonte Laschet. Merkel sagte in ihrer Stellungnahme nach der Konferenz allerdings nichts von einer Geldstrafe von 25.000 Euro, sondern sprach nur von möglichen Folgen, wenn die Regeln nicht eingehalten würden.

Streit über einheitliche Regeln

In Deutschland war heftig über die Verhängung einer Ausgangssperre debattiert worden. Noch am Freitag hatte der deutsche Kanzleramtschef Helge Braun den Samstag als entscheidenden Tag bei der Entscheidung über mögliche Ausgangssperren bezeichnet. Das Verhalten der Bevölkerung sollte den Ausschlag geben, ob weiter gehende Maßnahmen deutschlandweit beschlossen werden.

Die einen pochten auf einheitliche Regeln in Deutschland inklusive Sanktionen, die anderen wollten lockerere Regelungen. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) etwa meinte: „Stellen Sie sich einmal vor, dass Familien mit mehreren Kindern in engen Wohnungen ohne Balkon und Garten gar nicht mehr an die frische Luft gehen könnten. Das ist über einen längeren Zeitraum kaum vorstellbar.“

Menschenansammlung in Berlin Kreuzberg
APA/AFP/David Gannon
Nach Bayern könnte auch in Berlin eine Ausgangssperre verhängt werden

Auch bei den Beratungen am Sonntag gab es Medienberichten zufolge heftigen Streit zwischen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und NRW-Regierungschef Armin Laschet (CDU). Laschet habe Söder attackiert, weil dieser bereits am Freitag „ohne Absprache“ mit dem Bund und den anderen Ländern eigene Maßnahmen mit Ausgangsbeschränkungen für Bayern verordnet hatte.

Gesundheitsministerium will mehr Befugnisse

Gestritten wurde auch über die Frage der Kompetenzen des Bundes. Das deutsche Bundesgesundheitsministerium will im Fall einer Pandemie ermächtigt werden, ohne Zustimmung des Bundesrats etwa Vorschriften für den grenzüberschreitenden Reiseverkehr zu erlassen. Außerdem soll es Maßnahmen anordnen können, damit die Grundversorgung mit Arzneimitteln sichergestellt werden kann.

Die deutsche Bundesregierung will in der kommenden Woche aber noch eine ganze Reihe anderer Gesetze durch den Bundestag bringen. Dazu gehören neben einem Nachtragshaushalt mit neuen Schulden von 156,3 Milliarden Euro auch milliardenschwere Hilfen zur Stabilisierung von Firmen sowie der Schutz von Mietern und Schuldnern.

Unterschiedliche Infiziertenzahlen gemeldet

In Deutschland sind laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) derzeit mehr als 18.600 Menschen mit dem Coronavirus infiziert (Stand Sonntag). Der Anstieg der Neuinfektionen war demnach den vierten Tag in Folge rückläufig. Allerdings seien am Wochenende nicht aus allen Ämtern Daten übermittelt worden, warnte das Institut. Die dpa, die auch die gemeldeten Zahlen aus den Bundesländern berücksichtigte, meldete hingegen am Sonntag bereits mehr als 24.100 Infektionen in Deutschland und 90 Tote.