Flüchtlingslager in Griechenland
Reuters/Costas Baltas
Notfalleinsatz gefordert

Sorge vor Ausbruch in griechischen Lagern

In Griechenland befinden sich rund 42.000 Menschen in überfüllten Flüchtlingslagern. Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus waren die Bedingungen dort katastrophal. Nun werden Befürchtungen laut, in den Camps könnte sich das Virus großflächig ausbreiten. Das könnte die Maßnahmen in ganz Europa konterkarieren, fürchten NGOs.

In ganz Griechenland ist am Montag eine landesweite Ausgangssperre wegen der Coronavirus-Pandemie in Kraft getreten. Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hatte die Ausgangssperre am Sonntag in einer Fernsehansprache angekündigt. Griechenland werde „jede angebrachte Maßnahme“ im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus ergreifen, sagte Mitsotakis. In Griechenland starben bisher an dem neuartigen Coronavirus 17 Menschen.

Nun dürfen die fast elf Millionen Einwohner – ähnlich wie in Österreich – ihr Zuhause nur noch verlassen, um zur Arbeit oder zum Arzt zu gehen, Einkäufe zu erledigen, Medikamente zu besorgen oder anderen Menschen zu helfen. Griechenland verschärfte zudem das Einreiseverbot.

150 NGOs fordern zum Handeln auf

In den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos, Kos, Leros und Chios leben derzeit laut EU-Kommission 42.000 Menschen, darunter rund 1.500 unbegleitete Minderjährige. Ausgelegt sind die Lager für rund 6.200 Menschen. Allein im riesigen Flüchtlingslager Moria auf Lesbos leben mehr als 19.000 Menschen – der Platz reicht eigentlich für 3.000.

Dort ist die Angst, das Virus könnte großflächig ausbrechen, groß. Am Montag appellierten rund 150 zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen aus Österreich und ganz Europa dringend, die Lager zu räumen: „Wir fordern Sie unverzüglich zur Evakuierung der Flüchtlingslager und Hotspots auf den griechischen Inseln auf, um eine Katastrophe inmitten der Covid-19-Pandemie zu verhindern“, hieß es in dem gemeinsamen Schreiben. Viele Organisationen forderten auch Österreich zum Handeln auf, unterstützt von zahlreichen Personen des öffentlichen Lebens.

„Es wäre Wahnsinn“

„Empfohlene Maßnahmen wie die Wahrung von Distanz zu anderen oder regelmäßiges Händewaschen sind schlicht unmöglich. Es gibt keine Chance, einen Ausbruch in einem Lager einzudämmen“, so der Brief, der unter anderem von Caritas Europa, SOS Mitmensch, der Volkshilfe Österreich, dem Arbeiter Samariter Bund Wien, Südwind sowie der Diakonie Österreich unterzeichnet wurde. „Wir fordern einen Notfalleinsatz, um die Gesundheit und Sicherheit der Asylsuchenden, der Bevölkerung und der Hilfskräfte gleichermaßen zu garantieren.“

„Griechenland kann das nicht alleine bewältigen, Österreich kann hier nicht tatenlos zusehen“, betonte auch Sprecher Lukas Gahleitner-Gertz von asylkoordination österreich in einer Mitteilung. „Es wäre Wahnsinn, hier einen massiven Ausbruch in Kauf zu nehmen und damit die Maßnahmen, die in ganz Europa zur Eindämmung des Virus getroffen wurden, zu konterkarieren“.

Diakonie verweist auf Deutschland als Beispiel

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte, in „einem Notfalleinsatz die Geflüchteten auf den griechischen Inseln in geeignete Unterkünfte bringen – zum Schutz nicht nur der Flüchtlinge selbst, sondern auch der ortsansässigen Bevölkerung und der Hilfskräfte. Es ist nicht auszudenken, was passiert, wenn es zu einem Covid-19-Ausbruch in den Lagern kommen sollte.“ Schutzsuchende sollten direkt in aufnahmebereite Länder ausgeflogen werden, dort zunächst in Quarantäne kommen und medizinisch und psychologisch betreut werden, während ihre Asylverfahren durchgeführt werden.

Moser verwies auf die Ankündigung des deutschen Innenministers Horst Seehofer, trotz der Einreisebeschränkungen aufgrund der Coronavirus-Krise an seiner Zusage festzuhalten und gemeinsam mit anderen EU-Staaten wie Frankreich, Irland, Portugal und Finnland Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Österreich solle diesem Beispiel folgen.

Die EU-Kommission setzte die staatlich organisierte Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisenregionen angesichts der Pandemie aus. Die Vorbereitungen zur Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln liefen jedoch weiter. Deutschland und andere EU-Staaten hatten zugesagt, 1.600 Menschen aus griechischen Lagern – vor allem kranke Kinder und ihre Familien – aufzunehmen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) lehnte eine zusätzliche Aufnahme unter Verweis auf die bereits laufenden Aufnahmen ab.

Appell aus dem EU-Parlament

Den Rufen nach einer Räumung der Camps schloss sich am Montag auch das EU-Parlament an. In den überfüllten Camps gebe es weder die Chance, sozialen Abstand einzuhalten noch angemessene Hygienebedingungen, schrieb der Vorsitzende des Innenausschusses, Juan Fernando Lopez Aguilar, in einem Brief an den EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic.

Um eine schnelle Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, müssten die Lager möglichst rasch vorsorglich geräumt werden. „Falls die EU scheitert, unverzüglich zu handeln, wird die Situation auf den griechischen Inseln nicht zu beherrschen sein, mit dem Risiko vieler Toter“, schreibt der spanische Sozialdemokrat.

Der Ausschuss stellte einige Mindestforderungen auf. Dazu gehört, dass vorsorglich alle Menschen, die älter als 60 Jahre alt sind, aus den Lagern geschafft werden sollten. Auch Menschen mit Atemproblemen, Diabetes und anderen Krankheiten, die zu schwerwiegenden Symptomen führen könnten, sollten davon betroffen sein. Außerdem solle insbesondere die geplante Umsiedlung der unbegleiteten Minderjährigen fortgesetzt werden. Das könne etwa mit Quarantänemaßnahmen oder selbst auferlegter Isolation verbunden werden. Jene, die am verletzlichsten seien, müssten zuerst umgesiedelt werden.

Gesundheitssystem ausgehungert

Auch der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus hatte die Evakuierung der Lager gefordert. Sollte sich in den überfüllten Lagern das Coronavirus verbreiten, wären Massenansteckung und Panik die Folge – auch unter der ansässigen Bevölkerung, sagte Knaus dem „Standard“ (Montag-Ausgabe). Es gelte, vielleicht Tausende Infektionen sowie Todesfälle unter Flüchtlingen zu verhindern, so Knaus. Er plädierte für eine Umverteilung der Schutzsuchenden auf das griechische Festland. Von dort aus sollen diese dann auch auf andere EU-Staaten verteilt werden.

Die griechische Regierung verhängte aus Angst vor einem Ausbruch der Pandemie in den Lagern ein Besuchsverbot. Alle Neuankömmlinge sollten auf Beschluss der Regierung in Athen gesundheitlich untersucht werden. Auch sollten die Anlagen fortan täglich desinfiziert werden. Zudem wurde der Ausgang der Geflüchteten, Migrantinnen und Migranten eingeschränkt.

Die Regierung in Athen startete zudem ein Freiwilligenprogramm, um Personal für das Gesundheitssystem zu rekrutieren. Es richte sich an Ärzte, medizinisches Fachpersonal, Psychologen, Medizinstudenten und pensionierte Wissenschaftler. Das griechische Gesundheitssystem ist durch Sparpakete und Entlassungen während der jahrelangen Schuldenkrise äußerst geschwächt. Tausende Ärzte wanderten damals aus.