EU-Flaggen vor der EU-Kommission
Reuters/Yves Herman
EU-Staaten einig

Defizitregeln werden ausgesetzt

Im Kampf gegen die Coronavirus-Krise werden erstmals die europäischen Schulden- und Defizitregeln vorübergehend ausgesetzt. Die EU-Wirtschafts- und Finanzminister stimmten am Montag dem entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission zu.

Der schwere Wirtschaftsabschwung in diesem Jahr durch die Pandemie erfordere „eine entschlossene, ehrgeizige und koordinierte politische Reaktion“, erklärten die Finanzministerinnen und Finanzminister der 27 EU-Mitgliedstaaten. Es müsse sichergestellt werden, „dass der Schock so kurz und so begrenzt wie möglich bleibt und keinen dauerhaften Schaden für unsere Volkswirtschaften und damit für die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verursacht“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung nach einer Videokonferenz der Ministerinnen und Minister.

Die Kommission hatte bereits am Freitag vorgeschlagen, die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu ziehen. Das soll den EU-Staaten vorübergehend freie Hand für Hilfspakete für Unternehmen und Arbeitnehmer geben. So sollen Mitgliedsstaaten alle „für eine angemessene Bewältigung der Krise erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen können, ohne gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verstoßen, wie die Behörde dazu erklärte.

Der Pakt von 1997 legt fest, dass das Haushaltsdefizit höchstens drei Prozent und der Schuldenstand höchstens 60 Prozent der Wirtschaftskraft eines Landes betragen dürfen. Die allgemeine Ausweichklausel wurde 2011 nach der Wirtschafts- und Finanzkrise eingefügt, um in akuten Krisensituationen mehr Handlungsspielräume zu erlauben. Sie wurde noch nie angewendet. Die nunmehrige Einigung der EU-Wirtschafts- und Finanzminister muss nun noch formal in einem schriftlichen Verfahren der 27 EU-Staaten bestätigt werden.

Blümel: Größtmögliche Flexibilität

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hatte bereits vor Beginn der Videokonferenz gesagt, er befürworte die Anwendung der allgemeinen Ausweichklausel. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, dem man verpflichtet bleiben wolle, gebe „genügend Flexibilität“, um die Maßnahmen, die in einer Krise notwendig seien, zu ermöglichen, so Blümel. Dazu gehöre auch die „allgemeine Ausweichklausel“. Diese mache „eine vorübergehende Abweichung möglich“ und schaffe so „die Voraussetzungen, um die notwendigen budgetären Ausgaben zu tätigen“.

„Da alle Länder massiv von der aktuellen Verbreitung und von den Folgen des Coronavirus betroffen sind, ist es sinnvoll, größtmögliche Flexibilität anzuwenden“, so der Minister. Auch die bisher von der EU-Kommission auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Konsequenzen der Coronavirus-Krise begrüßte der Minister.

Euro-Gruppe berät weitere Schritte

Am Dienstag beraten die Finanzminister der Euro-Gruppe über weitere Schritte, um die Konjunktur zu stützen. Weitere Schritte nach den am Montag außer Kraft gesetzten Schulden- und Defizitregeln sind umstritten. Italien etwa hatte „Corona-Bonds“ ins Gespräch gebracht – also eine Vergemeinschaftung von Schulden über Eurobonds. Diskutiert wird auch darüber, Kreditlinien des Euro-Rettungsfonds ESM bereitzustellen.

Rezession erwartet

Aus Sicht der EU-Kommission könnte der Rückgang der Wirtschaftsleistung 2020 vergleichbar mit dem Abschwung im Jahr der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 werden. Damals war die Wirtschaft in der EU um 4,3 Prozent geschrumpft, in der Euro-Zone ging die Wirtschaftsleistung sogar um 4,5 Prozent zurück. Das Münchner ifo-Institut erwartet nun etwa für Deutschland in Hochrechnungen ein Schrumpfen des Wirtschaftswachstums um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet – global – mit einer mindestens so starken Rezession wie nach der Finanzkrise. Im nächsten Jahr sollte sich die Weltwirtschaft dann aber wieder erholen, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa am Montag. „Je schneller das Virus gestoppt wird, desto schneller und stärker wird die Erholung ausfallen.“

Unterstützung für Entwicklungsländer

Der IWF begrüßte die Hilfspakete zahlreicher Staaten sowie die Stützungsmaßnahmen vieler Notenbanken rund um den Globus. Industrieländer seien dabei in einer besseren Position als ärmere Staaten, die mit einer massiven Kapitalflucht zu kämpfen hätten. „Investoren haben seit Ausbruch der Krise schon 83 Milliarden Dollar aus Entwicklungsländern abgezogen.“ Der IWF werde seine Notfallfinanzierungen deutlich aufstocken. Es gebe bereits von fast 80 Ländern Anfragen dazu.

Auch die Weltbank steht nach eigenen Angaben bereit, Entwicklungsländer in den kommenden 15 Monaten mit 150 Milliarden Dollar zu unterstützen. Weltbank-Präsident David Malpass forderte zudem die 20 führenden Industrieländer (G-20) auf, den ärmsten Ländern der Welt die Aussetzung aller zwischenstaatlichen Schuldenzahlungen zu erlauben.