Chinesische Frau mit Schutzmaske auf einer Rolltreppe vor einer Anzeigetafel mit Aktienkursen
Reuters/Aly Song
Zurück zur Arbeit

Chinas riskante Wirtschaftsstrategie

In China dürfte es aufgrund der drastischen Maßnahmen gelungen sein, die Ausbreitung des Coronavirus vorerst unter Kontrolle zu bringen. Nun steht die Regierung vor einer neuen Herausforderung: der Wiederbelebung der Wirtschaft. Doch der Weg zurück zur Normalität scheint riskant – nicht zuletzt wegen einer möglichen zweiten Ausbreitungswelle.

Aus offiziellen Zahlen der Pekinger Gesundheitskommission geht hervor, dass es in China derzeit nur noch vereinzelt zu neuen lokalen Infektionsfällen kommt. So wurden Ausgangssperren, Reisebeschränkungen und Blockaden gelockert. Auch hinsichtlich Chinas Wirtschaft zeigen sich dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge Anzeichen einer Normalisierung. Die meisten größeren Unternehmen hätten ihren Betrieb wieder aufgenommen, und viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt, erklärte der IWF.

Elektronikläden, Kaffeeketten und sogar die Behörden senken derzeit ihre Preise und verteilen Rabattcoupons, um die Kundschaft zum Einkaufen zu bewegen. In den Provinzen Hebei, Zhejiang und Guangxi etwa lassen die Behörden Gutscheine für Touristenattraktionen, Kinos und Geschäfte ausgeben. Etwa 500 Kinos wurden am vergangenen Wochenende wiedereröffnet, nachdem sie fast zwei Monate lang geschlossen waren. Der Andrang hielt sich jedoch in Grenzen. Einkaufszentren dürfen kommende Woche ihre Tore öffnen.

Junge Männer mit Einkaufstaschen und Schutzmasken vor einem Shopping Center in Peking (China)
Reuters/Thomas Peter
Nach zwei Monaten Lock-down scheint China zur Normalität zurückzukehren

Die Umsätze der Einzelhändler in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt brachen im Jänner und Februar um ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein, wie die amtlichen Daten zeigen. In dieser Zeit begann die Volksrepublik, mit drastischen Maßnahmen wie Ausgangssperren die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Mobilisierung von Arbeitern

„Chinas Plan, die Wirtschaft zu retten, beruht auf einer Reihe von Maßnahmen und Kampagnen, die darauf abzielen, die Menschen wieder an die Arbeit zu bringen, das Vertrauen der Unternehmen im In- und Ausland zu fördern und so viele Unternehmen wie möglich vor dem Scheitern zu bewahren“, schrieb der US-Nachrichtensender CNN.

Schwaches Wachstum

Die Ratingagentur Moody’s sagt für China zwar ein Wachstum um 3,3 Prozent voraus – angesichts der vorherigen, deutlich höheren Wachstumsraten für China wäre das dennoch ein schmerzlicher Einbruch bei der Wirtschaftsleistung.

Zudem habe die Regierung Geld für Infrastrukturprojekte zur Verfügung gestellt, um so neue Arbeitsplätze zu schaffen. Für kleine Unternehmen seien Steuern gesenkt worden, Banken seien aufgefordert worden, bei Kreditrückzahlungen großzügig zu sein.

Risiko der zweiten Welle

Spezielle Vorkehrungen seien auch bei Arbeitern und Arbeiterinnen getroffen worden: So soll Peking Eisenbahn- und Fluggesellschaften angewiesen haben, Sonderzüge und -Flüge zu organisieren, um die rund 290 Millionen Wanderarbeiter – oft mit Migrationshintergrund – von der „Tür ihres Hauses zum Tor der Fabrik“ zu befördern. CNN spricht von diesen Arbeitern als „kritische Treiber der Wirtschaft“.

Die „South China Morning Post“ („SCMP“) warnte bei der frühen Rückkehr von „Millionen von Wanderarbeitern“ in die Städte jedoch vor dem Risiko einer zweiten Ausbruchswelle. Denn während die Zahl der lokalen Infektionsfälle laut Behörden drastisch sinke, steige indes die Zahl der importierten Infektionen. Rund 500 solcher Fälle sind laut Pekinger Gesundheitskommission bekannt.

„Experiment mit hohem Risiko“

Zwar schloss China wohl aus Furcht von einer zweiten Welle am Samstag seine Grenzen für Ausländer – nicht jedoch für „besonders notwendig erachtete Fachkräfte und Geschäftsleute“, wie es in einer amtlichen Mitteilung hieß. CNN spricht bei den Bemühungen Chinas, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, daher von einem „Experiment mit hohem Einsatz“.

Arbeiter mit Schutzmaske in einer chinesischen Fabrik
APA/AFP
Kehren die Arbeiter zu früh in die Fabriken zurück, könnte das fatale Auswirkungen mit sich bringen

Peking: 90 Prozent der Industriebetriebe aktiv

Was passiert, wenn der Schritt der Wiederöffnung der Unternehmen zu früh erfolgt, zeige das Beispiel eines chinesischen Titanproduzenten: Dieser habe CNN zufolge seine Fabriken bereits im Februar wieder angestartet – nur, um sie kurz darauf aufgrund von Neuinfektionen bei den Arbeitern wieder schließen zu müssen.

Der staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform zufolge seien bereits seit Mitte März mehr als 90 Prozent der Industriebetriebe in fast allen chinesischen Provinzen wieder aktiv. Für kleinere und mittlere Unternehmen sei es schwieriger, hier seien laut Regierungsdaten nur 60 Prozent der Unternehmen geöffnet.

Experten skeptisch

Experten und Expertinnen zeigten sich aber nicht nur skeptisch, was Chinas starken Zeitdruck zur Wiederaufnahme der Arbeit betreffe, sondern auch, was die von offizieller Seite kommunizierte tatsächliche Wirtschaftsleistung betreffe. Medienberichten zufolge sollen in der östlichen Provinz Zhejiang etwa Lichter und Maschinen in Fabriken angeworfen worden sein, ohne dass jedoch produziert werde. Mit dem gestiegenen Energieverbrauch würde man die Regierung täuschen wollen.

Back on Track?

Dass sich die wirtschaftliche Lage in China nun etwas stabilisiert zu haben scheint, führen Ökonomen unter anderem auf den steigenden Energieverbrauch zurück.

„Da lokale Unternehmer wissen, dass sie von der Regierung hart bestraft werden, wenn sie die Ausbreitung neuer Infektionen zulassen, gehen viele auf Nummer sicher und zögern wirtschaftliche Aktivitäten noch hinaus“, sagte Victor Shih von der University of California, San Diego, gegenüber CNN. Der harte Kurs der Regierung führte in einem ersten Schritt zwar zur Einhaltung der Quarantänemaßnahmen, nun habe dies allerdings ein Verhalten zur Vermeidung von Risiken zur Folge, so Shih. Medienberichten zufolge würden auch Beschäftigte aus Angst vor einer Ansteckung daheim bleiben. Laut Experten könnte diese Fälschung von Produktionsdaten fatale Auswirkungen auf Chinas Pläne zur wirtschaftlichen Erholung haben.

Blaupause für den Rest der Welt?

„Während das tatsächliche Ausmaß des wirtschaftlichen Neustarts Chinas noch ungewiss ist, könnte seine Fähigkeit, die Anfangsphase des Ausbruchs zu überwinden, den Ländern, die sich noch im Krisenmodus befinden, aber Hoffnung geben – und zumindest teilweise als Blaupause dienen“, so CNN. Denn Regierungen auf der ganzen Welt stünden derzeit vor einem heiklen Balanceakt: der Frage, wie lang Ausgangsbeschränkungen und -sperren aufrechterhalten werden müssen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, ohne die Wirtschaft zu sehr zu belasten.

Allerdings, so betonen Experten, ließe sich die Situation in China nur schwer mit jener in westlichen Staaten vergleichen. Während China über viele staatseigene Unternehmen verfüge und etwa mit großen Infrastrukturprojekten die Wirtschaft leichter ankurbeln könne, sei in westlichen Volkswirtschaften die Privatwirtschaft dominierend. So meinte auch Shih: „Die Herausforderung im Westen wird darin bestehen, die Menschen zu motivieren, in Restaurants, Theater und Sportveranstaltungen zu gehen, anstatt die Arbeiter zurück in die Fabriken zu bringen.“