Labormitarbeiterinnen in Schutzkleidung
APA/Hans Klaus Techt
Heikle Vergleiche

Fallzahlen und ihre Tücken

Seit Ausbruch der Coronavirus-Krise werden weltweit die Zahlen von Neuinfektionen und Todesfällen verfolgt. Lag zuerst das Zentrum der Epidemie in China, ist es nun Europa. Doch die Zahlen werden nicht überall auf der Erde auf dieselbe Weise erfasst. Auch die Häufigkeit von Tests wirkt sich auf die Zahlen aus und verändert so, wie stark der Ausbruch mancherorts erscheint.

Die Infizierten- und Sterblichkeitsraten sind in Spanien und Italien besonders hoch. Italien verzeichnete zuletzt mehr als 8.000 CoV-Tote. Das hat bekanntermaßen mit der dortigen hohen Altersstruktur zu tun – aber nicht nur. Es liegt auch an der unterschiedlichen Weise, wie und wer getestet wird, wer Verdachtsfall ist und wer als an den Folgen des Virus verstorbener Mensch gilt. Diese Faktoren sind oft unterschiedlich, ein Vergleich mit anderen Ländern also de facto schwer.

In Italien fließen nur Todesfälle in Krankenhäusern und Altersheimen in die offiziellen Statistiken ein. Zudem gilt als Covid-19-Todesfall jeder Mensch, der stirbt und positiv getestet worden ist – ganz unabhängig vom Vorliegen von Grunderkrankungen, wie das Istituto Superiore di Sanita in Rom feststellte. So wird auch in Österreich verfahren.

Eine erst 27-jährige Verstorbene aus Oberösterreich gilt als CoV-Todesfall, auch wenn sie schwere Vorerkrankungen aufwies. Der zuständige Arzt sagte, dieser Fall sei „nur indirekt mit der momentanen Corona-Thematik verknüpft“ gewesen. Das ist nicht in allen Ländern gleich. Auch ist unterschiedlich, ob bei Verstorbenen nachträglich ein Test gemacht wird oder nicht. Laut Richard Pebody, einem Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wird das in manchen Ländern praktiziert, in anderen nicht. Auch das hat Einfluss auf die Statistik.

Kriterien für Tests

In Österreich wird fallabhängig entschieden. Das Gesundheitsministerium gab gegenüber ORF.at bekannt, dass es dazu keine „bundesweite Vorgehensweise zur Klärung der Todesursache“ gibt. Getestet dürfte postum werden, wenn die jeweilige Sanitätsbehörde begründeten Verdacht sehe.

Unterschiedlich ist auch, wer als Verdachtsfall gilt. In Österreich wurden die Kriterien dazu im Lauf der Zeit erweitert. Verdachtsfälle sind Personen mit akuten Symptomen ohne plausible Erklärung sowie nach Aufenthalt in einer betroffenen Region oder Kontakt mit einer betroffenen Person. Auch ein Mediziner/eine Medizinerin kann einen Verdachtsfall feststellen – ein Kriterium, das erst hinzukam. Diese Menschen werden dann getestet.

Prinzipiell gilt: Wo viel getestet wird, gibt es mehr registrierte Fälle. Das ist etwa in den USA erkennbar. Dort stieg die Zahl inzwischen auf mehr als 86.000, doch vor allem deshalb, weil die Millionenmetropole New York die Tests stark ausweitete.

Mann wird im Auto ein Nasenabstrich für einen COVID-19-Test genommen
APA/AFP/Pascal Pochard-Casabianca
Beim PCR-Test werden Abstriche aus Nase oder Rachen genommen und im Labor auf Virenerbgut untersucht

In Italien wurden in der frühen Phase der Epidemie sowohl Kontaktpersonen mit und ohne Symptome getestet worden. Ab dem 25. Februar habe man dann umgestellt auf das Testen von Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf und auf Hospitalisierte. „Diese Strategie hat sich in einem hohen Anteil an positiven Resultaten (Anteil der Infizierten unter den Getesteten; Anm.) ausgewirkt“, schrieben die Experten vom Istituto Superiore di Sanita.

Der Dunkelziffer auf der Spur

Würden in Italien mehr Jüngere getestet, sähe die Fallsterblichkeit wahrscheinlich ganz anders aus, so auch der Nothilfekoordinator der WHO, Michael Ryan. In der Statistik Italiens gebe es daher sehr viele schwere und wenige leichte Verläufe der Krankheit. Der italienische Virologe Roberto Burioni hält auch die Zahl der Infizierten in Italien für falsch, weil Erkrankte ohne Symptome nicht mitgezählt würden.

Ausnahme bei den Tests ist die Region Venetien: Sie beschloss vergangene Woche, flächendeckend zu testen. „Wir testen nicht nur die Personen mit Symptomen, sondern auch ihr gesamtes soziales und geografisches Umfeld“, so der Forscher Andrea Grisanti von der Universität Padua im Ö1-Radio. Modell dafür war die Gemeinde Vo. Nach den ersten zwei Infizierten sei die Gemeinde unter Quarantäne gestellt und alle 3.000 Bewohner getestet worden, erklärte Venetiens Regionalpräsident Luca Zaia. Bei 66 sei das Virus nachgewiesen worden, obwohl sie symptomlos waren. Die 66 seien komplett isoliert worden. Zwei Wochen später seien es nur noch sechs Infizierte gewesen, alle symptomlos.

Schnelltests sollen kommen

In Österreich sollen nun die Testkapazitäten deutlich erhöht werden, wie die Bundesregierung am Dienstag ankündigte. Am Tag sollen 15.000 Tests durchgeführt werden können, bei Verdachtsfällen und zielgruppenorientiert, wie es hieß. Symptomlose Menschen mit den derzeit gängigen PCR-Tests zu testen, sei hingegen sinnlos. Wenn man Personen testet, die nicht symptomatisch sind, „sagt ein negativer Test nichts aus, denn die Person kann sich in der Inkubationszeit befinden“, so das Gesundheitsministerium auf seiner Website.

Die Regierung will zudem auf Schnelltests setzen, um möglichst rasch Hunderttausende Menschen zu testen. Schnelltests sind laut dem Virologen Herwig Kollaritsch sinnvoll, wenn man ein Kollektiv untersuchen und schauen wolle, wie viele Personen unbewusst Kontakt mit dem Virus gehabt hätten.

Daten im Föderalismus

Eine weitere Krux liegt bei der Erfassung von Daten, wie das Beispiel Deutschland etwa zeigt. Dort erfassen in den Bundesländern unterschiedliche Behörden die Daten, die auch zu unterschiedlichen Zeiten veröffentlicht werden. So sind die ersten in der Regel die örtlichen Gesundheitsämter. Sie übermitteln ihre Daten an die Landesgesundheitsämter.

Je nachdem, wer hier wann mit den Zahlen an die Öffentlichkeit geht, können die Daten von außen betrachtet schon dann nicht mehr übereinstimmen. Die deutsche Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten, das Robert-Koch-Institut (RKI), sammelt die Zahlen aus den Ländern – und hinkt somit schon automatisch mit der Veröffentlichung hinterher.

Anders die renommierte Johns Hopkins University mit Sitz in Baltimore, die oftmals erste Anlaufstelle für Interessierte auf der ganzen Welt ist. Sie bezieht für ihre Karten und Darstellungen Daten von Behörden und andere Stellen weltweit. Dazu gehören die WHO, nationale Gesundheitsämter, aber auch Dateneinrichtungen und auch lokale Medien. Die WHO wiederum bekommt die Angaben von den nationalen Behörden. So meldete das RKI am Donnerstag rund 36.508 CoV-Fälle in Deutschland, die Johns Hopkins University lag bereits bei rund 800 mehr.

Auch in Österreich unterscheiden sich die offiziellen Zahlen des Gesundheitsministeriums oft von denen, die im Lauf des Tages berichtet werden. Bei Ministerium werden die von den Bezirksverwaltungsbehörden eingemeldeten Fälle gezählt. Diese können eben zeitverzögert aufscheinen.

Wieso man dennoch die Zahlen braucht

Laut dem deutschen Forscher Andre Scherag von der Universität Jena ist bei Ländervergleichen generell Vorsicht geboten. Keine Quelle liefere hundertprozentig genaue Daten. Für das eigene Land unter konstanten Bedingungen lasse sich die Entwicklung aber dennoch relativ gut ablesen. „In der Regel kann man Trends innerhalb einer Region gut erkennen.“ Man müsse erkennen, ob sich die Dynamik ändert, um Maßnahmen zu planen. „Und man kann der Bevölkerung aufzeigen, welchen Effekt die aktuellen Maßnahmen haben“, so Scherag.

Um das Ausmaß der Todesfälle ein wenig einordnen zu können, lohnt ein Vergleich in die Sterbestatistik. In Österreich sterben jährlich rund 80.000 Menschen, in den vergangenen Jahren schwankte diese Zahl zwischen 75.000 und 83.000. Nimmt man 80.000 als Mittelwert, ergibt das 220 Todesfälle pro Tag in Österreich. Allerdings: In der kalten Jahreszeit ist der Wert deutlich höher und liegt bei bis zu 280. In der wärmeren Jahreszeit gibt es entsprechend weniger Todesfälle.

Warten auf aussagekräftige Ergebnisse

Das schwer betroffene Italien hatte in den vergangenen Jahren durchschnittlich rund 1.600 Sterbefälle pro Tag, Spanien rund 1.100. Beide Länder verzeichneten zuletzt an einigen Tagen mehr als 600 oder gar 700 Coronavirus-Todesfälle. Das bedeutet, dass an diesen Tagen im Falle Italiens um knapp 50 Prozent mehr Tote zu beklagen waren, in Spanien gar um fast 70 Prozent mehr als im Tagesschnitt vor der Pandemie.

Aussagekräftigere Vergleiche etwa auf Monatsbasis sind dann wohl erst in einigen Wochen möglich, vielleicht sogar erst in einigen Jahren: Nachdem das Virus für hochbetagte Menschen besonders gefährlich ist, weisen Statistiker darauf hin, dass als Langzeitfolge der Pandemie mit vielen Toten die Zahl der Sterbefälle danach für einige Zeit deutlich zurückgehen könnten.