Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Georg Hochmuth
Anschober

Spitze zwischen „Mitte April und Mitte Mai“

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erwartet, dass Österreich der Höhepunkt der Coronavirus-Infektionen noch bevorsteht. „Je erfolgreicher wir sind, desto geringer ist der Peak, aber desto länger dauert es auch, bis alle Erkrankungen stattfinden. Ich gehe von einem Zeitfaktor irgendwo zwischen Mitte April bis Mitte Mai aus“, sagte Anschober Freitagfrüh im ORF-Radio.

Der Minister äußerte sich vor der für Freitag angekündigten Zwischenbilanz der Regierung über die ergriffenen Maßnahmen. Die Regierung werde keine neuen Maßnahmen verkünden, so Anschober: „Es wird aktuell keine Entscheidungen über neue Maßnahmen geben, dazu ist auch die Erfahrung noch viel, viel zu klein, was die Auswirkungen der bisherigen Maßnahmen betrifft.“ Eine professionelle Bewertung erwartet Anschober kurz vor Ostern.

„Wir haben einen Verzögerungseffekt von zehn bis 14 Tagen, was die Wirkung der Maßnahmen betrifft. Ab dann sollten wir sie in der Statistik auch sehen.“ Die Zuwächse bei den Infektionen sollten „jetzt dramatisch sinken“ und danach auch die „Zahlen runtergehen“, sagte Anschober. „Wichtig ist, dass wir dann nicht einen Tag auf den anderen die Maßnahmen beenden. Wenn dann wieder die Steigerungsraten nach oben gehen, wäre alles vorher umsonst gewesen.“ Die angesprochenen Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen, Schul- und Geschäftsschließungen gelten seit 16. März.

Kurz: Lage ist weiterhin ernst

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte im Vorfeld der Regierungspressekonferenz am Freitag an die Bevölkerung appelliert, nicht auf „Beschwichtigungsversuche“ hereinzufallen. „Die Lage ist ernst und sie ist weiterhin ernst“, sagte Kurz am Donnerstag. Ob die Maßnahmen wirken, werde man erst in den nächsten Tagen beurteilen können.

Bekannt sei aber die Zahl der Toten sowie der in Krankenhäusern und Intensivstationen behandelten Patienten. „All diese Zahlen sprechen eine sehr eindeutige Sprache“, so Kurz. „Halten Sie sich an die Vorgaben und glauben Sie keinen Beschwichtigungs- und Beruhigungsversuchen“, appellierte Kurz an die Bevölkerung.

Warten auf Impfung oder „gutes Medikament“

Erneut dämpfte Kurz auch die Erwartungen nach einer vollständigen Aufhebung der Beschränkungen nach dem 13. April (Ostermontag). Auf die derzeitige „Phase massiver Einschränkungen“ werde eine „Phase der neuen Normalität“ folgen. „Erst wenn es eine Impfung oder ein gutes Medikament gibt, wird die Normalität wieder so sein, wie wir das aus der Zeit vor der Krise kennen.“

Bereits am Dienstag hatte Kurz in der ZIB gesagt, dass es zwar Ziel sei, die Maßnahmen mit 14. April schrittweise zurückzunehmen – „die Betonung liegt aber auf Ziel und auf schrittweise“, so der Kanzler. Und: „Es wird nicht das Leben von heute auf morgen wieder so sein, wie es war.“ Auch sagte Kurz damals, es könnte sein, dass die Schulen noch deutlich länger geschlossen blieben als bis Ostern.

Kommen „Big Data“-Auswertungen?

Nicht festlegen wollte sich Kurz am Donnerstag auf die Frage, ob auch verstärkte Handyüberwachung der Bevölkerung Teil dieser „neuen Normalität“ sein könnte. Entsprechende Befürchtungen hatte der Kanzler mit seiner Ankündigung geschürt, dass auch „Big Data“-Auswertungen zur Abwendung weiterer Infektionswellen verwendet werden könnten. Bei NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger schrillen diesbezüglich bereits „alle Alarmglocken“, wie sie im Interview mit der Tiroler Tageszeitung (Freitag-Ausgabe) sagte.

Kurz dagegen sagte, es gehe jetzt darum, den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Im Hintergrund arbeite aber bereits ein Team an Möglichkeiten, wie man die Gesellschaft nach der akuten Krise wieder hochfahren könne. „Am Ende des Tages wird vieles eine Abwägungsfrage sein, für den Staat als Ganzes, für die Gesellschaft, aber auch für Einzelne“, so Kurz. Das beginne beim Tragen von Masken und gehe bis zum Verwenden von Big Data. Aber: „Die Nutzung von Big Data ist sicherlich etwas, was in Europa anders zu handhaben ist als in China.“

Neue Berechnungen mit möglichen weiteren Szenarien der Ausbreitung der Covid-19-Erkrankungen haben am Donnerstag österreichische Forscher vorgelegt. Nach wie vor gibt es große Unsicherheiten – je nach angenommenem Verlauf könnte man ab Anfang April erste Maßnahmen lockern oder müsste sie leicht verschärfen.

Zweifel an Nutzen weiterer Verschärfungen

Der Chef des Complexity Science Hub Vienna (CSH), Stefan Thurner, warnte davor, sich vom leichten Abflachen der Infiziertenkurve zu optimistisch stimmen zu lassen. Dass sich die Verdoppelungszeit der nachgewiesenen Infektionsfälle in Österreich von zwei Tagen vor rund zwei, drei Wochen auf derzeit etwa vier Tage erhöht habe, zeige zwar die Wirksamkeit der Maßnahmen. Aber wenn sich alle vier Tage etwas verdoppelt, „ist es fast so schlimm, wie wenn sich etwas alle zwei Tage verdoppelt“.

Das Forscherteam um Niki Popper von der Technischen Universität (TU) Wien und dem TU-Spin-Off dwh GmbH veröffentlichte indessen Simulationsrechnungen, die zeigen, dass „ab einem gewissen Punkt eine weitere Verschärfung keinen spürbaren Nutzen mehr bringt“. Die Wissenschafter gehen davon aus, dass bei Beibehaltung der aktuellen Maßnahmen der Höhepunkt der Krankheitsfälle bald erreicht wird und die Zahl der Infektionen dann zurückgeht – mehr dazu in science.ORF.at.

Grafik zur Aufhebung der Coronavirus-Maßnahmen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: TU Wien

Neues Modell gibt Hoffnung

Berechnungen des Wolfgang Pauli Instituts (WPI) in Wien bestätigen „Wichtigkeit und Wirksamkeit“ der Maßnahmen, bei ihrer leichten Verschärfung sei von einer Verbesserung der Situation in rund 45 bis 60 Tagen auszugehen. Dabei sei eine noch kurzfristige Zunahme der täglichen Anzahl von Erkrankten „okay“, sagte WPI-Direktor Norbert Mauser. In ihrem Szenario haben die WPI-Wissenschaftler den Höhepunkt der Epidemie mit einem Maximum von rund 17.000 Covid-19-Erkrankten um den 9. April geschätzt – mehr dazu in science.ORF.at.