Rednerpult wird desinfiziert
Reuters/Francois Walschaerts
Coronavirus

Die große Schwäche der EU

Kein Auftritt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ohne Einigkeit in der Pandemie zu beschwören: Denn in Zeiten von Binnengrenzschließungen und Abschottung stellt sich die Frage der Bedeutung der EU mehr denn je. Doch diese muss sich gezwungenermaßen auf Diplomatie und Finanzhilfen beschränken, am Ende entscheiden die Nationalstaaten.

Das Dilemma: Das Coronavirus kennt weder Nationalstaatlichkeit noch Grenzen und trifft ganz Europa hart, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Hoffnung in die höhere Macht der EU scheint dabei naheliegend, wurde sie doch unter anderem deshalb gegründet, um in Krisenzeiten geeint zu agieren. Doch Schutz und gemeinsame Lösungen scheinen ferner denn je, Brüssel wirkt hilflos.

Denn während sich Menschen in Schweden, Deutschland und Bulgarien immer noch mehr oder weniger frei bewegen können, werden die Maßnahmen vor allem in Italien, Spanien, Frankreich und auch Österreich viel strenger gehandhabt. In Summe sind etwa die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger der EU von Ausgangsbeschränkungen und -sperren betroffen.

Von der Leyen: Staaten „passen bloß auf sich selbst auf“

Doch liegt der Ursprung der Uneinigkeit im System, denn die EU selbst kann per Gesetz nicht viel gegen die Pandemie unternehmen. So kann sie etwa keine Schulen schließen, Fußballspiele aussetzen und Städte abriegeln. Sie kann auch nicht ihre Außengrenzen schließen. All das dürfen nur die Mitgliedsländer. Zwölf Regierungen, darunter auch Österreich, haben entgegen dem Rat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die passfreie Reisezone im Schengen-Raum gesperrt.

Ursula von der Leyen
EC – Audiovisual Service/European Union, 2020
Konferenzen und sogar Gipfel finden in Zeiten des Coronavirus auch in Brüssel hauptsächlich per Video statt

Das entspreche nicht der Idee der EU, zeigte sich von der Leyen in den letzten Tagen verstimmt und rügte am Donnerstag erneut die Mitgliedsstaaten für ihr Versagen, an einem Strang zu ziehen. Zu viele, sagte sie, hätten egoistisch bloß „auf sich selbst aufgepasst“, EU-Exporte wichtiger Produkte wie Schutzmasken und Desinfektionsmittel eingeschränkt und ihre Grenzen dichtgemacht. Auch Österreich war kurzfristig von an der Grenze zurückgehaltenen Schutzmasken beeinträchtigt.

Hilfsfonds und gemeinsame Beschaffungsmaßnahmen

Was die EU aber tun kann, ist, die sozioökonomischen Auswirkungen der Pandemie abzuschwächen, indem sie ihren Ländern Flexibilität beim EU-Defizit und staatliche Beihilfen bietet. Also soll es einen Hilfsfonds über 37 Milliarden Euro geben, um den Auswirkungen von Covid-19 auf die Wirtschaft Europas entgegenzuwirken. Hierbei wurde vom EU-Parlament bereits grünes Licht gegeben.

Das Geld soll primär in die Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten und an kleinere und mittlere Unternehmen fließen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um frisches Geld, sondern um bisher nicht abgerufene Posten im EU-Haushalt. Wie am Freitag bekanntwurde, will die EU-Kommission außerdem 75 Millionen Euro aus dem EU-Budget zur Verfügung stellen, um die Mitgliedsstaaten bei der Rückführung ihrer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu unterstützen.

Des Weiteren will die Kommission die Mittel für den Aufbau einer strategischen Reserve von Medizinprodukten wie Beatmungsgeräte und Schutzkleidung auf 80 Millionen Euro erhöhen. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen außerdem ein neues permanentes europäisches Krisenmanagementzentrum einrichten.

Keine Einigung über Eurobonds und ESM

In zwei Wochen sollen die Länder der Euro-Zone Vorschläge zur Geldpolitik vorlegen, hieß es am Donnerstag vom Videosondergipfel der Staats- und Regierungschefs. Uneinigkeit besteht aber weiterhin über die Einführung von Eurobonds („Corona-Bonds“) und dem Einsatz des Euro-Rettungsschirms ESM, da Italien ein Veto eingelegt hatte.

Als Eurobond wird eine bisher nicht realisierte, aber häufig diskutierte Art von Staatsanleihen in der EU bezeichnet. In der Theorie würden EU-Staaten gemeinsam Schulden auf dem Kapitalmarkt aufnehmen, diese Mittel untereinander aufteilen und gemeinsam für die Rückzahlung und Zinsen dieser Schulden haften. Die Debatte darüber verdeutlicht einmal mehr die Nord-Süd-Differenz, in der sich die EU bereits während der Euro-Krise befunden hatte.

Italien, Frankreich, Spanien und sechs weitere Länder hatten nun auch in der Coronavirus-Krise die gemeinsame Aufnahme von Schulden als Zeichen der Solidarität in der EU gefordert. Sogar der EU-Parlamentspräsident, der Italiener David Sassoli, kritisierte die „Kurzsichtigkeit und den Egoismus einiger Regierungen“ und verlangte ein gemeinsames Schuldeninstrument.

Woher soll das Geld kommen?

Andere Länder – allen voran Österreich, Deutschland und die Niederlande – sind jedoch gegen Eurobonds. Sie meinen, gemeinsame Anleihen würden Länder wie Italien zu lockerem Geldausgeben verleiten, womöglich auch zum Stopfen alter Budgetlöcher. In den letzten Stunden wurde dabei der Ton rauer. Portugal hatte etwa die harte Haltung der Niederlande scharf kritisiert, da diese eine Untersuchung der Haushaltspolitik ärmerer Staaten verlangte. Das sei „widerwärtig“ und „rücksichtslos“, sagte Portugals Regierungschef Antonio Costa. Der Vorschlag untergrabe „völlig den Geist der Europäischen Union“ und sei „eine Bedrohung für die Zukunft“ der EU.

Wogegen aber etwa Österreich und andere, vorwiegend Länder des europäischen Nordens, nichts einzuwenden haben, sind unterdessen Unterstützungsmaßnahmen durch den Euro-Rettungsfonds ESM. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) etwa bezeichnete das als „richtige Ergänzung“ zu den Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Stabilisierung von Wirtschaft und Märkten.

Doch an die Vergabe von Geld aus dem ESM werden meist strenge Bedingungen an die Mitgliedsstaaten geknüpft. Der ESM hat jedoch den Vorteil, dass das Geld bereits vorhanden ist – ungefähr 410 Milliarden Euro – und, sobald in der EU Einigkeit herrscht, sofort verwendet werden könnte. Über kurz oder lang gehen Expertinnen und Experten in Brüssel deshalb davon aus, dass die Lösung der Krise ESM und EZB heißen wird.