Französischer Polizist auf der Straße
Reuters/Benoit Tessier
Coronavirus

Pandemie verändert Kriminalstatistik

Die Coronavirus-Epidemie verändert die Verbrechensstatistiken. Kriminelle nutzten Verunsicherung und Angst ihrer Opfer, um diese zu betrügen oder zu bestehlen, warnte am Freitag Europol. Die EU-Polizeibehörde beobachtet einen Anstieg bei einschlägigen Delikten. Auch in Österreich kursieren Warnungen. Doch die „gewöhnliche“ Kriminalität geht in mehreren Ländern stark zurück.

Die Bandbreite von Verbrechen, die die EU-Polizeibehörde mit Sitz in Den Haag in einem am Freitag veröffentlichten Bericht nennt, ist groß. Sie reicht vom Handel mit diversen „Wundermitteln“ und gefälschten Medikamenten bis zu diversen Cybercrime-Delikten. Die Maßnahmen, welche die nationalen Regierungen wegen der Ausbreitung des Coronavirus getroffen haben, hätten eine deutliche Wirkung auf die (organisierte) Kriminalität.

Kriminelle seien „schnell gewesen“, Gelegenheiten zu finden, wie sie die aktuelle Krise ausnützen können, und hätten entsprechend ihre Handlungsweise angepasst oder sich neue Maschen ausgedacht, schreibt Europol. Die Fallzahlen von Betrug, Cybercrime, Diebstahl und Fälschung würden steigen, heißt es in dem Bericht unter dem Titel „Wie Kriminelle von der Covid-19-Pandemie profitieren“.

Ausnutzen von Not, Angst, Unsicherheit

Zu den Faktoren, die Kriminellen neue Gelegenheiten böten, zählten etwa die hohe Nachfrage nach bestimmten Gütern wie Schutzausrüstung und pharmazeutischen Produkten, eine herabgesetzte Mobilität, die generelle Angst und Unsicherheit, die angreifbar machten, Homeoffice und Telearbeit und aktuelle Engpässe bei verbotenen Substanzen in der EU.

Carabinieri
Reuters/Alberto Lingria
Italien berichtet von einem starken Rückgang bei Delikten wie Raub und Einbruch

Der Verkauf von gefälschten Schutzartikeln und Medikamenten sei seit Ausbruch der Krise auf ein Vielfaches gestiegen, schreibt Europol. Fälscher würden Engpässe etwa bei Schutzmasken und Desinfektionsmitteln ausnützen. Im März seien bei länderübergreifenden Polizeieinsätzen rund 34.000 gefälschte chirurgische Masken sichergestellt worden. Angeboten würden auch gefälschte antivirale Medikamente und das Malariamittel Chloroquin, dem eine mögliche Wirksamkeit gegen das Coronavirus nachgesagt wird, sowie Vitaminpräparate.

Überweisungen ins Nichts

Ein europäisches Unternehmen habe 6,6 Mio. Euro für Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel nach Singapur überwiesen, berichtete Europol. Eine Lieferung sei nie gekommen. Auch in Österreich warnten Behörden, Pharmawirtschaft und Apothekerkammer eindringlich vor Medikamentenfälschungen, die aktuell das Land praktisch überfluteten. In Österreich würden deshalb die Zollkontrollen verschärft, hieß es am Freitag. „Wir gehen mit aller Härte gegen den Schmuggel“ von gefälschten Coronavirus-Arzneimitteln vor, so Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) in einer Aussendung.

Europol beobachte auch einen Anstieg bei Cybercrime-Delikten. Kriminelle nutzen aus, dass derzeit sehr viele Menschen von zu Hause aus arbeiteten, dazu oft schlecht gesicherte private Hardware benutzen und so mitunter der Weg in Netzwerke von Unternehmen offen stehe.

Betrüger in Schutzkleidung

Betrüger tauchten als Repräsentanten des Staates oder medizinischer Einrichtungen bei Privatpersonen auf, um so Zutritt zu Wohnungen zu bekommen. In Salzburg sollen genau das mutmaßliche Betrüger in Schutzkleidung versucht haben. Der „Kreativität“ sind, wie sich zuletzt anhand mehrerer Fälle zeigte, kaum Grenzen gesetzt.

Aus Vorarlberg hieß es, Unbekannte hätten sich in Dornbirn als Mitarbeiter der Stadt ausgegeben und versucht, etwa an Kontonummern zu gelangen. In Wien „sammelten“ gleichfalls Unbekannte Geld für angebliche Opfer der aktuellen Epidemie. „Wundermittel“ wurden an der Haustür angeboten. Per „Neffentrick“ wird versucht, für angeblich erkrankte Verwandte Geld zu erschleichen.

Starker Rückgang in Italien und Spanien

Inmitten der Krise gibt es aber offenbar auch eine Gegentendenz. Mehrere europäische Länder meldeten zuletzt einen Rückgang bei bestimmten Delikten oder überhaupt in der gesamten Anzeigenstatistik, darunter Italien und Spanien. In Italien sei die Anzahl der registrierten Verbrechen im Zuge der Ausgangsbeschränkungen stark gesunken, hieß es zuletzt, nämlich zwischen 1. und 22. März um 64 Prozent.

Insgesamt wurden etwa 53.000 strafbare Delikte gezählt. Laut Innenministerium in Rom gab es einen Rückgang vor allem bei Drogendelikten, Kindesmissbrauch und Sexualverbrechen. In ganz Italien gilt seit 10. März eine Ausgehsperre (mit wenigen Ausnahmen).

In Spanien sprach Ministerpräsident Pedro Sanchez zuletzt von einem Rückgang der Kriminalitätsrate um 50 Prozent. Waren in den ersten drei Wochen des Jahres 2019 noch 146.762 Verbrechen gemeldet worden, so sank diese Zahl im Vergleichszeitraum 2020 auf 52.596. Bei der Zahl der gemeldeten Sexualverbrechen kam es zu einem Rückgang von 69 Prozent, bei jenem der Diebstähle von 67 Prozent. Bei Wohnungseinbrüchen gab es ein Minus von 72 Prozent, teilte das Innenministerium mit.

Die Zahl der Überfälle halbierte sich gegenüber dem Vergleichszeitraum 2020 (minus 54 Prozent). Wegen Ausbeutung durch Prostitution gab es 77 Prozent Anzeigen weniger. Bei Misshandlungen in der Familie kam es zu einem Rückgang der Anzeigen von 43 Prozent.

„Mit besonders schäbigen neuen Tricks“

In Deutschland sei das Bundeskriminalamt (BKA) vom Innenministerium in Berlin mit einer Analyse beauftragt worden, hieß es vor wenigen Tagen. Fragestellung: Wie wirkt sich die Coronavirus-Krise auf die Kriminalität aus? Bei der Straßenkriminalität werde es einen Rückgang geben, zitierte die ARD-„Tagesschau“ Expertenstimmen, etwa auch bei Wohnungseinbrüchen, da die Menschen aktuell sehr viel zu Hause seien. Dafür würden Betrugsdelikte mit „besonders schäbigen und perfiden neuen Tricks“ zunehmen. „Aktuell nutzen Kriminelle die bestehende Verunsicherung und Angst rund um die Covid-19-Pandemie aus.“