Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck
ORF
Coronavirus und Wirtschaft

Ausstieg aus Maßnahmen als Balanceakt

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie setzen der Wirtschaft zu – umso mehr, je länger sie dauern. Die Arbeitslosigkeit steigt, eine deutliche Rezession in Österreich gilt als fix. Fragen, die sich mit zunehmender Dringlichkeit stellen: Wie lange ist der Ausnahmezustand durchzuhalten? Ab wann ist ein Ausstieg denk- und verantwortbar?

Diese Fragen und ähnliche standen Sonntagabend im Mittelpunkt von „Im Zentrum“. Das „Exit-Szenario“, von dem immer wieder die Rede ist, gleicht einem schwierigen Spagat, wurde in der ORF-Diskussionssendung mehrfach deutlich. Auf der einen Seite stehen medizinische Überlegungen, auf der anderen wird der Druck auf die Wirtschaft rasch größer.

Laut Einschätzung des Instituts für Höhere Studien (IHS) und des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) von letzter Woche wird die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr zwischen 2,0 und 2,5 Prozent schrumpfen, beide Institute erwarten ein Budgetdefizit von 5,0 bis 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Die Situation werde jedenfalls schwieriger, je länger das wirtschaftliche Leben stillsteht, mit jeder Woche seien mehr Menschen, mehr Unternehmen betroffen, hatte es bei der Präsentation der Zahlen geheißen. Je länger der „Shutdown“ dauere, desto kritischer werde es und schwieriger, wieder aufzuholen.

Für Schramböck Überbrückung wesentlicher Punkt

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) nannte es unseriös, würde man aktuell ein Datum nennen, an dem die aktuellen Drosselungen wieder gelockert werden können. Das müsse man Experten überlassen. Man könne nicht sagen, „das ist dieser Tag oder jener Tag“, man fahre derzeit praktisch „auf Sicht“, sagte Schramböck. Generell gelte: Je strikter sich die Menschen an die aktuell geltenden Regeln hielten, desto schneller werde man zur Normalität zurückkehren können.

Wie lange können wir uns den Ausnahmezustand leisten?

Seit zwei Wochen gelten in Österreich strenge Ausgangsbeschränkungen. Was aus gesundheitspolitischer Sicht zur Bekämpfung des Coronavirus notwendig erscheint, hat dramatische Folgen für das gesamte Wirtschaftsleben in Österreich. „Durchhalten“ ist die Parole der Bundesregierung, doch wie lange können Arbeiter, Angestellte und Unternehmen diese Situation ertragen?

Vorerst gehe es darum, dafür zu sorgen, dass sich das Virus nicht weiter verbreite, und außerdem darum, Zeit zu überbrücken. Die Ministerin verwies mehrfach auf die Maßnahmen der Regierung, etwa das neue Kurzarbeitsmodell und finanzielle Hilfen.

Ein leckgeschlagenes Schiff

Jürgen Huber, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Innsbruck, verglich die österreichische Wirtschaft mit einem Schiff, das in einen Sturm geraten und durch die Maßnahmen der Bundesregierung leckgeschlagen sei, beschädigt sei. Das Schiff müsse nun bald wieder losfahren, so Huber. Jede weitere Woche verursache enorme Schäden. Die Wirtschaft brauche außerdem ein Mindestmaß von Planungssicherheit, um neu starten zu können. „Geschätzt“ sprach der Ökonom von 15.000 bis 20.000 Arbeitslosen mehr jeden Tag. Die Zahl war zuletzt zwischen 15. und 26. März um knapp 171.000 gestiegen.

Hacker: Es braucht Perspektiven

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) rechnet mit einer längeren Dauer der Krise. Es sei illusorisch, dass es nach Ostern so weitergehen werde, wie es noch vor mehreren Wochen war. Die Menschen sähen, wie sich die Arbeitslosenzahlen und die Wirtschaft generell entwickelten und brauchten Perspektiven.

Er würde sich nicht „sehr wohlfühlen“, sagte Hacker, wenn jemand sagen würde, besser krank werden als den Job verlieren. Es werde für die nächste Zeit Einschränkungen geben müssen, sagte Hacker, aber man könne „Spielregeln“ aufstellen. Der Forderung, das Arbeitslosengeld zu erhöhen, wie sie am Sonntag der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB), Wolfgang Katzian, erhoben hatte, kann Hacker durchaus etwas abgewinnen. Viele Menschen hätten nicht damit gerechnet, arbeitslos zu werden.

Intensivmedizinerin warnt

Die Intensivmedizinerin und Vorsitzende ARGE Ethik, Barbara Friesenecker, nannte das Sturm-Szenario, das Ökonom Huber gezeichnet hatte, eine „unglaubliche Untertreibung“. Der Sturm ziehe gerade auf, die Intensivstationen füllten sich erst, man sehe, dass auch jüngere Menschen schwer erkranken könnten. Würde man die aktuellen Einschränkungen zu früh lockern, könnte sich ein zweiter „Gipfel“ in der Infektionskurve ausbilden, das Gesundheitssystem und die Intensivstationen überlasten. Zuerst müsse der erste Gipfel bewältigt werden, erst dann könne man über Lockerungen sprechen, sagte die Medizinerin.

Ein „Balanceakt“

Der Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf, sprach Sonntagabend im Interview mit der ZIB2 von einem „Balanceakt“. Man müsse sehen, wo es am „risikoärmsten“ sei, die Wirtschaft wieder hochzufahren. Vorerst gehe es aber vor allem darum, bestimmte Branchen gar nicht „herunterzufahren“, sondern möglichst am Laufen zu halten. Kopf nannte als Beispiel die Bauwirtschaft, für die kürzlich eine Vereinbarung für das Arbeiten unter erhöhten Sicherheitsstandards getroffen worden war. Am Ende gelte aber: ohne funktionierende Wirtschaft auch kein finanzierbares Gesundheitssystem.

„Wir können uns das wirtschaftlich nicht leisten“

Bei der Präsentation der Konjunkturprognose – eigentlich mehr einer Präsentation möglicher Szenarien, beginnend nach Ostern – hatten die Leiter von IHS und WIFO, Martin Kocher und Christoph Badelt, dafür plädiert, eine Verlängerung des „Shutdown“ genau abzuwägen. Es gebe die „dringende Empfehlung, das Hochfahren der Wirtschaft wieder ernsthaft zu überlegen“, sagte Badelt.

Aber: Das sei natürlich eine Abwägung zwischen Gesundheits- und Wirtschaftsthematiken. Kocher konnte sich nicht vorstellen, den aktuellen Ausnahmezustand über den April hinaus zu verlängern, ansonsten werde es auch größere wirtschaftliche Probleme in der Industrie und der Bauwirtschaft geben. „Wir können uns das wirtschaftlich nicht leisten.“

Steiler Anstieg bei Arbeitslosenzahl

Der Ökonom und frühere IHS-Direktor Christian Keuschnigg plädierte für einen „möglichst schnellen Ausstieg“ aus dem „Shutdown“ in Österreich – „unter der Auflage, dass er den gesundheitspolitischen Anforderungen genügt“, wie er kürzlich sagte. Passiere das nicht, drohten die Kosten nicht mehr linear, sondern progressiv zu steigen. Daher sollte man „schon daran denken“, nach Ostern einen Ausstieg zu finden, erklärte der nunmehrige Direktor des Wirtschaftspolitischen Zentrums an der Universität St. Gallen (Schweiz) vergangene Woche.

In Österreich war laut Mitteilung des Arbeitsmarktservices (AMS) vom Freitag die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen zwischen dem 15. und dem 26. März um rund 178.000 gestiegen, am Tag zuvor war die Zahl noch bei 163.200 gelegen. Mit den geltenden Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus hatten unzählige Betriebe vorübergehend schließen müssen, den stärksten Einbruch erlitt der Tourismus. Die meisten Arbeitslosen (plus 56.200) kamen folglich aus Gastronomie und Hotellerie, gefolgt von der Bauwirtschaft (etwa 20.800). Eine Gesamtzahl für März liegt noch nicht vor, mit Stand Ende Februar war sie bei rund 400.000 gelegen.