Straßensperren zu Mecklenburg-Vorpommern
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Beispiel Mecklenburg-Vorpommern

Ein Land igelt sich ein

Das deutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern greift in der Coronavirus-Krise zu radikalen Maßnahmen. Das flächenmäßig große, dünn besiedelte Land im Nordosten der Bundesrepublik hat die Touristen aus dem Land geworfen, lässt nicht einmal mehr Zweitwohnsitzbewohner in die Region. Und will aus Situationen wie in Tirol Lehren ziehen. Auch weil die medizinische Versorgung in „Meck-Pom“ schon unter normalen Umständen mit den wenigen Städten und großen Distanzen schwierig ist.

Niemand kommt rein, niemand mehr raus. Seit mehr als einer Woche hat sich das deutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern komplett abgeschottet und sich selbst in freiwillige Selbstisolation begeben. Der Grund: Man will mit allen Mitteln die Infektionsrate so niedrig wie möglich haben, ist Mecklenburg doch schon unter normalen Umständen mit seinen extrem dünn besiedelten Gegenden ein Spezialfall, was die medizinische Betreuung anlangt: Medizinische Notfälle werden im Skandinavien Deutschlands schon mal mit dem Bundeswehrhubschrauber in die nächste Klinik geflogen.

Flächenmäßig ist Mecklenburg so groß wie Niederösterreich und das Burgenland zusammen. Für deutsche Verhältnisse ist das Land im Nordosten aber sehr dünn besiedelt. Rostock als größte Stadt zählt gemeinsam mit Warnemünde eine Viertelmillion Einwohner, die Hauptstadt Schwerin 100.000. Stralsund und Greifswald kommen je knapp über 50.000 Bewohner. Neben ein paar anderen größeren Städten wie Neubrandenburg, Wismar und Güstrow ist Mecklenburg sehr dünn besiedelt – und ein Gebiet, das mit Überalterung und Wegzug der Jungen außerhalb der touristischen Hotspots zu kämpfen hat.

Mit allen Mitteln möchte man die Verbreitung der Infektion in Mecklenburg so niedrig wie möglich halten. Bis Ende März ist bisher nur eine Person an Covid-19 gestorben, die Infektionsrate des Bundeslandes liegt bei einem Drittel der Bundesrepublik.

Eine wirtschaftliche Katastrophe

Wirtschaftlich ist die Strategie der rot-schwarzen Landesregierung für das strukturschwache Land, das maßgeblich vom Ostsee-Tourismus lebt, eine Katastrophe. Jeder fünfte Arbeitsplatz in Mecklenburg hängt in der Region mit den Hotspots Rügen, Usedom und Darß/Hiddensee am Tourismus. Viele Hamburger und Berliner haben in Mecklenburg Zweitwohnsitze. Sie dürfen ebensowenig in das Bundesland wie Touristen, die man mehr als weniger unsanft aus der Region geworfen hat.

Ganz ähnlich ergeht es dem Nachbarbundesland Brandenburg: „Wir appellieren an die Berliner: Bleibt zu Hause“, wandte sich etwa jüngst der Sozialdezernent der Kreisverwaltung Prenzlau an die Medien. Prenzlau ist das Verwaltungszentrum der Uckermark, der Heimatregion der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

An Gebieten wie der Uckermark, aber auch inneren Landkreisen Mecklenburgs wird ein Problem Ostdeutschlands offenbar: Das Land ist durch den Abzug der Jungen komplett überaltert. Und die Krankenhäuser verfügen über sehr geringe Kapazitäten an Intensivbetten.

Laut Robert-Koch-Institut liegt der deutsche Intensivbettenschnitt bei 29 pro 100.000 Einwohner und ist damit ähnlich wie der in Österreich. Laut Krankenhausplan hat es im Mecklenburg bisher 212 Intensivbetten gegeben. Diese habe man aber auf 512 mit Beatmung aufstocken können, gab man am Montag bekannt. Mit 212 Intensivbetten mit Beatmung wäre man nur auf einen Schnitt von 13 Betten pro 100.000 Einwohner gekommen. Mit der Erhöhung der Bettenzahl sieht das nun besser aus – das Problem der ungleichen Verteilung an Kliniken und großen Distanzen im Land bleibt aber.

„Maßnahmen treffen uns ins Herz“

„Uns treffen die Maßnahmen ins Herz“, sagte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), zuletzt in den ARD-Tagesthemen. Der Tourismus sei eine Erfolgsgeschichten der Nachwendezeit. Jetzt müsse man aber versuchen, die eigene Bevölkerung zu schützen und die Rate der Infektionen so niedrig wie möglich halten, weil man mit der eigenen medizinischen Versorgung sonst in Notsituationen käme.

Schwesig: „So eine Nummer wie in Österreich kann es nicht geben“

Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern erklärte in den ARD-Tagesthemen, warum man die Touristen rasch des Landes verwiesen hat.

„So eine Nummer wie in Österreich“, so Schwesig mit Verweis auf Tirol, „dass man zuerst Geld verdient und zu spät handelt, das geht nicht.“ Man stelle die Gesundheit der Bevölkerung über wirtschaftliche Interessen, so die Politikerin, die selbst an Krebs erkrankt ist und das öffentlich gemacht hat. Gerade aus ihrer eigenen Situation heraus sei sie sensibilisiert und halte alle Maßnahmen im Umgang penibel ein. So wie andere Kräfte, die im Moment in Kliniken, in der Pflege und im Supermarkt zum Einsatz kämen, könne sie sich aber auch nicht zurückziehen, sondern wolle ihren Beitrag leisten.

Ostergeschäft bleibt aus

500.000 bis 600.000 Touristen zählt man in Mecklenburg in den Hochzeiten der Saison. Jetzt wäre das Ostergeschäft vor der Tür gestanden. Bis auf Weiteres gilt in Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls: Ins Land kommt nur, wer einen Arbeitsplatz oder Hauptwohnsitz im Land vorweisen kann. Alle anderen werden recht unsanft an der Landesgrenze zum Umdrehen bewegt. Auch Elternbesuche sind von außen in Mecklenburg nicht mehr möglich. „Ein Land igelt sich ab wie sonst keines in der Bundesrepublik“, bekannte zuletzt die ARD in einer Reportage an Ort und Stelle.