Schweißarbeiten bei der voestalpine
Reuters/Dominic Ebenbichler
Kein Homeoffice

Die vergessenen Hackler

Die Coronavirus-Krise hat die heimische Wirtschaft in die Knie gezwungen und das Arbeitsleben vieler Menschen radikal verändert. Für einige verwandelte sich das eigene Zuhause zum Büro, andere wiederum wurden zu „systemrelevanten Berufen“ – etwa das Krankenhauspersonal und Supermarktangestellte. Vergessen wird aber meist auf Arbeiter und Arbeiterinnen, die noch in den Betrieben sind.

Wie viele Erwerbstätige seit Anfang der Krise ihre Arbeit in die eigenen vier Wände verlagert haben, ist nicht bekannt. Eine Homeoffice-Pflicht gibt es hierzulande nicht. Anzunehmen ist, dass viele Arbeitgeber ihre Büros geschlossen haben, um die Ausbreitung im eigenen Betrieb zu verhindern. Doch nicht alle Gebäude sind verwaist. Insbesondere im produzierenden Bereich läuft das „Radl“ weiter. In den Betriebsstätten und Werkshallen ist zwar weniger los als vor der Krise, produziert wird aber trotzdem mit anwesenden Arbeitern und Arbeiterinnen.

Viele Unternehmen hatten angekündigt, ihre Produktion wegen der Krise zurückzufahren. Die Nachfrage wichtiger Kunden aus dem Ausland hat nachgelassen, wichtige Produktionsmittel oder Waren aus Asien hingen für Wochen in der Warteschleife. „Aber im Sinne von ‚da ist jetzt keine Arbeit da‘ – das ist bei der Mehrheit der Unternehmen nicht der Fall“, sagte Reinhold Binder, Bundessekretär der Produktionsgewerkschaft (Pro-Ge) zu ORF.at. Die Wirtschaftskammer weist darauf hin, dass die Produktion nur unter Einhaltung der Hygienevorschriften weiterlaufe.

Tausende Kurzarbeitszeitanträge in der Produktion

Der produzierende Bereich – darunter fallen etwa die Bauwirtschaft und die Herstellung von Waren – beschäftigte im Dezember 2019 mehr als 960.000 Personen in über 66.300 Unternehmen. 650.000 davon waren zuletzt in der Warenherstellung tätig – mehr Männer als Frauen, mehr Arbeiter als Angestellte. Mehr als drei Viertel der Unternehmen sind kleinbetrieblich strukturiert, also mit weniger als zehn Beschäftigten. Rund ein Prozent der Unternehmen beschäftigt mehr als 250 Personen.

Arbeiter an einer Ölbohrstation in Österreich
Reuters/Leonard Föger
Nicht für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ist Homeoffice eine Alternative

Auch die Industrie wurde vom Coronavirus schlagartig erwischt. Doch der Produktionsbereich ist – im Gegensatz zu vielen Dienstleistern – in Sachen Kurzarbeit schon erprobt. In der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 wurde die Arbeitszeit vieler Beschäftigter massiv reduziert. Auch jetzt sei in vielen Unternehmen schnell gehandelt worden, so Binder. Tausende Kurzarbeitsanträge seien erledigt worden, täglich kommen Hunderte dazu, sagte der Pro-Ge-Bundessekretär.

Doch Kurzarbeit heißt nicht, dass die Produktion stillsteht. Deshalb wurden in vielen Unternehmen, in denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen physisch anwesend sind, einige Vorkehrungen getroffen. So etwa bei der voestalpine in Linz, wie Manfred Hippold, Betriebsratsvorsitzender der Arbeiter, im Gespräch mit ORF.at bestätigte. Täglich würden rund 2.000 Beschäftigte den Linzer Standort des Stahlkonzerns betreten und verlassen. Das sind etwa 20 Prozent aller Beschäftigten dort.

„12er-Radl“ bei der voestalpine

„Die Hochöfen wurden an die derzeitige Situation angepasst, einige Maschinen wegen der Kurzarbeit abgestellt“, sagte Hippold. Aber viele Firmen würden noch Stahlerzeugnisse der voestalpine beziehen. Das sei auch der Grund, warum Beschäftigte – „von der Giesserei bis zur Veredelung“ – im Betrieb arbeiten. „Wir schauen, dass es ihnen so gut wie möglich geht“, so der Betriebsrat. Die Angst, sich anzustecken, weil man außerhalb seiner eigenen vier Wände arbeitet, bestehe natürlich.

Lehrling bei der voestalpine
Reuters/Dominic Ebenbichler
Gerade in Industrie- und Handwerksbetrieben wird in der Coronavirus-Zeit noch an den Maschinen gearbeitet

Als zusätzliche Maßnahmen – neben den Hygienevorschriften wie der Bereitstellung von Masken und Desinfektionsspendern – wurden etwa einzelne Schichten gestreckt. Üblicherweise wird in drei Schichten zu je acht Stunden gearbeitet. Während der Coronavirus-Krise sind es zwei Schichten zu je zwölf Stunden. Damit gibt es nur noch einen Schichtwechsel pro Tag, der völlig kontaktlos über die Bühne gehe. „In den Schichtbussen hat jede Person eine eigene Sitzreihe, Kantinen sind geschlossen, aber Jausen kostenlos zur Verfügung gestellt“, so Hippold.

Neben den Arbeitern und Arbeiterinnen in der Produktion sind auch Angestellte, die mit der Schichtarbeit verbunden sind, anwesend. Rund um die Uhr sei der Betriebsmediziner erreichbar. Laut Hippold werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Kinderbetreuung – falls Schule oder Kindergarten nicht möglich ist – freigestellt. „Den Leuten geht es gut, sie werden bestens versorgt. Ein Riesendankeschön“, sagte er. „Sie halten das Werk aufrecht.“

Mondi nur mit nötigstem Personal

Ebenfalls Kurzarbeit für einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde bei dem Papier- und Verpackungsunternehmen Mondi im Kärntner Frantschach beantragt. Wegen der nach wie vor guten Auftragslage sei die Produktion aber weiterhin im Betrieb, so Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Knes. „Für die kommenden zwei Monate gibt es noch viel zu tun“, wie er weiter im Gespräch mit ORF.at ausführte. Das Ziel von Unternehmen und Betriebsrat sei, dass nur das nötigste Personal anwesend ist.

Insgesamt beschäftigt Mondi 470 Personen, 110 davon sind Angestellte, wobei bis auf 23 alle im Homeoffice seien. Bei den Arbeiterinnen und Arbeitern sei es nicht so einfach, von zu Hause aus zu arbeiten, so Knes, der von 2013 bis 2019 für die SPÖ im Nationalrat saß. „Lehrlinge und Personen, die mit Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören, wurden mit 100-Prozent-Entgeltfortzahlung freigestellt. Der Rest arbeitet im Betrieb in verschiedenen Schichtrhythmen.“ Das bedeutet: Um das Infektionsrisiko zu minimieren, wurden Ablösezeiten geändert.

„Es treffen nie mehr als zwei Personen mit ein Meter Mindestabstand aufeinander“, betonte Knes. Außerdem gebe es nun zwei Teams, die unabhängig voneinander arbeiten könnten. „Falls eine Schicht wegen einer Infektion ausfällt, dann kann das andere Team einspringen und weiter produzieren. Und im Notfall gibt es auch eine Kinderbetreuung.“ Das Kurzarbeitszeitmodell lobte der langjährige Betriebsrat wegen seiner Flexibilität. „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, wenn man Leute beim AMS anmelden muss.“

Lebensmittelproduktion weiter auf Hochtouren

Freilich wird nicht nur am Bau und in den Industriehallen gearbeitet. Auch in der Lebensmittel- und Nahrungsmittelproduktion läuft der Betrieb auf Hochtouren. Kurzfristig gab es etwa beim Schlachthof und Fleischverarbeitungsbetrieb Großfurtner sogar einen Personalmangel. Viele Arbeiter und Arbeiterinnen aus den östlichen Nachbarländern fehlten wegen der Grenzschließungen. Großfurtner habe Personal aufgenommen, wie Martin Lindinger von der Geschäftsführung zu ORF.at sagte.

Arbeiter bei der Fleischverarbeitung
ORF.at/Roland Winkler
In der Fleischverarbeitung ist die Auftragslage weiterhin hoch

„Wir waren sehr nervös, weil die Nachfrage hoch war und wir nicht wussten, wie viele unserer Mitarbeiter, die in ihren Heimatländern waren, wieder zurückkommen“, so Lindinger. Aber man habe sehr viele „Wochenpendler“, die für längere Zeit in Österreich bleiben. „Für den Moment ist der Personalstand ausreichend. Die Maßnahmen gegen das Virus sind sinnvoll, aber dennoch brauchen wir im Fall des Falles auch eine Perspektive.“

Am Schlachthof selbst gab es für die Arbeiterinnen und Arbeiter einige Änderungen – denn Homeoffice ist keine Alternative. Einzelne Abteilungen wurden bestmöglich getrennt, Mittagspausen angepasst und ein „Kontakttagebuch“ eingeführt. „So wissen wir, wer in welcher Abteilung mit wem zusammengearbeitet hat“, erklärte Lindinger. „Falls wir einen positiven Fall haben, können wir die Kontakte dokumentieren und vielleicht einer ganzen Betriebsschließung zuvorkommen.“

Angst vor behördlicher Schließung

Um eine behördliche Schließung zu vermeiden, wurden in allen Unternehmen, mit denen ORF.at gesprochen hat, Vorkehrungen getroffen. Niemand will riskieren, dass die gesamte Produktion zum Stillstand kommt. Dennoch ist genau das möglich, wie Beispiele in der Tourismusbranche zeigten. Gerade Kurzarbeit trüge zu einer Entspannung der Lage bei, beteuerten die Pro-Ge und die WKÖ.

Nicht nur, dass das Personal durch die Kurzarbeit beschäftigt bleibt: In den Betrieben können die Hygienevorschriften wegen der geringen Anwesenheit besser und einfacher eingehalten werden. Einige Unternehmen, die ihre Produktion gedrosselt haben, würden aber damit rechnen, dass sie in ein paar Wochen ihre Produktion erhöhen können. Bis dahin werden jedenfalls nicht wenige Arbeiter und Arbeiterinnen weiter im Betrieb produzieren.