Karl Nehammer, Sebastian Kurz und Werner Kogler
APA/Helmut Fohringer
Krisenmodus

Neuland für Regierungskommunikation

Politik, insbesondere das Regieren, ist immer auch eines: die Kunst der richtigen Inszenierung. Das gilt erst recht in Zeiten der Krise. Auch die ÖVP-Grünen-Regierung hat ihre Kommunikation stark geändert. Mehrere Prinzipien leiten dabei die Regierung, der diese Gratwanderung manchmal mehr, manchmal weniger gut gelingt.

Mit dem Näherkommen der Coronavirus-Pandemie habe man frühzeitig „in einen anderen Modus geschaltet“, wurde aus dem Kanzleramt gegenüber ORF.at betont. Parteitaktische Überlegungen habe man völlig beiseitegeschoben. Anders gesagt: Die von der türkisen ÖVP betriebene „Message Control“, also das gezielte Setzen von eigenen Themen und die damit einhergehende Bearbeitung von Redaktionen, um die Oberhoheit über die innenpolitische Debatte zu haben, wurde nach eigenen Angaben faktisch eingestellt.

Man versuche seither alles, um eine einheitliche Kommunikation mit der Öffentlichkeit sicherzustellen, betont man im Kanzleramt. Dazu wurden auch die Zuständigkeiten – wer in der Regierungsriege zu welchen Aspekten öffentliche Aussagen machen darf – klar festgelegt.

Der wöchentliche Ministerrat der Bundesregierung am 19.02.2020 im Bundeskanzleramt.
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So sieht es normalerweise bei Pressekonferenzen im Kanzleramt aus

Kein fertiger Leitfaden

Einen fertigen Leitfaden dafür – wie es ihn etwa im deutschen Innenministerium seit Jahren gibt – hat die Regierung laut Kanzleramt übrigens nicht. Doch in wesentlichen Punkten folgt die derzeitige Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Regierung den Handbüchern für Krisenkommunikation, wie der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at bestätigt.

Dazu gehört, eine möglichst gute Bestandsaufnahme der Gefahrensituation zu geben und auch die möglichen Folgen klar zu kommunizieren. Zentral ist eine „geschlossene Kommunikation“, also, dass alle Regierungsmitglieder mit einer Stimme sprechen, geschlossen und kohärent nach außen auftreten, selbst wenn es im Hintergrund Streit über die Maßnahmen geben sollte. In regulären Zeiten sei es ja völlig normal, interne Konflikte auch öffentlich abzuhandeln. In der aktuellen Lage würde das die Bevölkerung aber „massiv verunsichern“, so Filzmaier.

Wichtig sei auch, die gesamte Bevölkerung anzusprechen. Auch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) habe daher von „Österreicherinnen und Österreichern“ auf „Österreicherinnen und Österreicher und Menschen, die in unserem Land leben“ umgeschaltet, so Filzmaier.

Pressekonferenz mit Karl Nehammer und Rudolf Anschober am 27.03.2020 im Bundeskanzleramt in Wien
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Ein maximal ausgedünntes Medienkorps. Fragen werden in diesen Tagen großteils online gestellt.

Filzmaier sieht „Bemühen um Transparenz“

Filzmaier attestiert der Regierung das „Bemühen um weitgehende Transparenz“, wie er es genau formuliert. Keinerlei Verständnis hat er etwa dafür, dass unterschiedliche Zahlen – zuletzt etwa bei den verfügbaren Beatmungsgeräten, aber auch bei der Zahl der Infizierten – von öffentlicher Seite kommuniziert werden. Umso mehr, als die Zahlen die Grundlage für die mathematischen Prognosen sind. Gibt es Wirrwarr bei den Zahlen, könnten auch die Genauigkeit der Prognosen und das Vertrauen in sie leiden.

Gut gelinge es der ÖVP-Grünen-Koalition dagegen, „auf den Ernst der Lage hinzuweisen, ohne dabei Angst zu schüren“. Das sei eine schwierige Gratwanderung, so Filzmaier, der auf ein bekanntes psychologisches Phänomen hinweist: Schürt man zu große Ängste, dann löse das erst recht eine Verweigerungshaltung bei den Empfängern aus.

„Vertrautes Bild“ als Ziel

Laut Kanzleramt bedeutete das Umschalten auf Krisenkommunikation unter anderem, dass man derzeit darauf verzichtet, einzelnen Medien exklusiv Themen anzubieten. Es wird vielmehr weitgehend zentral über die täglichen Regierungspressekonferenzen, die von wechselnden Teams bestritten werden, über die aktuelle Lage und die geplanten Maßnahmen informiert.

Teil der Krisenkommunikation ist auch die Inszenierung: So finden alle Pressekonferenzen zentral im selben Raum im Bundeskanzleramt vor der immer gleichen Kulisse statt. Damit, so das Ziel, soll ein „einheitliches, vertrautes Bild“ geschaffen werden. Tatsächlich gibt es seit Wochen täglich mindestens einen dieser Pressetermine. Mindestens einmal pro Woche tritt dabei quasi die große Formation an – also Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), beide flankiert von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Nehammer.

Signal der Beruhigung – und Fragezeichen

Über den reinen Inhalt hinaus sollen diese Auftritte – und ihre Regelmäßigkeit und Dichte – vor allem auch beruhigen und symbolisch vermitteln: Die Regierung hat das Heft des Handelns in der Hand. Das gelingt auch, wie Umfragen zeigen, in denen die Bevölkerung der Regierung eine hohe Glaubwürdigkeit bescheinigt.

Freilich kam es dabei auch zu Schnitzern. Wiederholt wurden Maßnahmen angekündigt, ohne dass die Details noch geklärt waren: Zuletzt etwa die Maskenpflicht in Supermärkten, wo entscheidende Details – wie die Verfügbarkeit von Masken – offenbar mit den Ketten nicht abgeklärt waren.

Davor gab es auch Unklarheit über die Verordnung zur weitgehenden Homeoffice-Pflicht. Und auch die Frage, ob Kinder von getrennt lebenden Eltern beide Elternteile weiter sehen können, wurde erst in einem zweiten Anlauf (ja, ist erlaubt, Anm.) geklärt. Dazu wurde am Donnerstag – wegen eines Fehlers bei der Eintragung der Infiziertenzahlen – zunächst ein völlig falsches Datum für die erste Infektion in Ischgl veröffentlicht.

Schrittweise und in Andeutungen

Auf Kritik etwa der Opposition, die Regierung kommuniziere nicht offen, sondern mit einer Art Salamitaktik, räumt man im Kanzleramt ein, dass die Regierung bewusst Einiges nicht sofort sagt oder nur zwischen den Zeilen andeutet. Damit wolle man aber verhindern, dass eine Panik ausbreche. Man wolle Verhältnisse wie in Italien, wo die Ausgangssperren über Nacht verhängt wurden, verhindern.

Die Sorge ist berechtigt: Denn obwohl Apotheken, Drogerien und Supermärkte explizit ausgenommen wurden, führte die Ankündigung von Geschäftsschließungen am Tag danach, am 13. März, zu einem Ansturm auf zahlreiche Supermärkte. Es sei eine ständige „Gratwanderung“ – man müsse die Menschen darauf einstellen, ohne aber einen Schock auszulösen. Ziel der Regierung sei es immer, die Bevölkerung auf die aktuellen Entwicklungen und jeweiligen die Maßnahmen einzustellen.

Vereinfachung als komplexe Aufgabe

Auch Filzmaier unterstreicht, dass eine klare Kommunikation, bei der möglichst bei der gesamten Bevölkerung die gleiche Botschaft ankommt, schwierig sei. Immerhin müsse die Regierung gleich auf drei Ebenen vereinfachen: auf der medizinischen, auf der technischen – etwa wenn es darum geht, ob Handydaten zur Nachvollziehung von Infektionsketten verwendet werden sollen – und auch auf der politischen. Denn die Regierung handle in der Krise mit Erlässen. Da die Regierung vom Parlament dazu ermächtigt wurde, sei dieser Weg zwar ungewöhnlich, aber demokratiepolitisch korrekt.

Außenminister Alexander Schallenberg im Rahmen eines Informellen EU-Außenministerrats via Videokonferenz
APA/Außenministerium/Michael Gruber
Minister Alexander Schallenberg in seinem Büro während eines EU-Außenministerrats per Liveschaltung

„Fatales Signal“

Klar sei jedenfalls, dass auch das politische Leben in der Krise weitergehe. Die Reaktion des Kanzlers auf eine Frage zum ungarischen Ermächtigungsgesetz – sinngemäß meinte Kurz, er habe sich jetzt um Wichtigeres zu kümmern – sei deshalb ein „fatales Signal“. Auch in dieser Situation dürfe man als Regierungschef nicht „monothematisch“ werden.

Und noch etwas kritisiert Filzmaier: Bei den vielen Fragen, die sich rund um das Handling der Krise in Tirol stellen, reiche der Verweis darauf, dass man etwaige Fehler nach der Krise aufarbeiten werde, nicht. Da komme es schon auf die Zwischentöne an. So könnte Kurz etwa darauf verweisen, dass in der Causa Ischgl Ermittlungen eingeleitet wurden. Die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak sprach zuletzt in einem Kommentar im „Standard“ von einer „neuen Message Control“ – deren Inhalt: Jetzt sei „nicht die Zeit für Zweifel, Kritik oder Konflikt“.

Frage der Sensibilität

Filzmaier geht davon aus, dass es derzeit bei der Kommunikation keine parteitaktischen Hintergedanken gibt, solche wolle er zumindest „nicht unterstellen“. Anhand des Streits zwischen der Bundesregierung und der Wiener Stadtregierung über die Schließung der Bundesgärten, etwa des Schlossparks Schönbrunn, betont der Politologe aber: In dieser Situation gehe es auch um die „Sensibilität, zu verstehen, was als parteitaktisches Manöver ausgelegt werden könnte“.